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größte, das in Afrika noch zu lösen war — denn sein Marsch mußte ihn mitten durch die ungeheure 60,000 Quadratmeilen bedeckende weiße, unbekannte Fläche unserer Karten führen — so setzte er seinen ohnehin schon großartigen Verdiensten die Krone auf, und er trat damit ein in die Reihe der größten Reisenden aller Zeiten und Völker.
Seinen Fuß südlich wendend langte Stanley am 27. Mai 1876 zum zweiten Male in Udschidschi am Tanganjikasee an, denn schon am 10. November 1871 war er hier mit Livingstone, wie wir gesehen haben, zusammengetroffen. In wenigen Tagen war sein tragbares Boot, die „Lady Alice", flott und schon am 11. Juni wurde die Umschiffung dieses riesigen Sees (entdeckt 1857 von Burton) angetreten, welche Stanley in 51 Tagen zum ersten Male in vollständiger Weise ansführte; denn Burton und Speke befuhren nur kleine Theile des Ufers, während Cameron allein den Südtheil des Sees umschiffte. Am 1. August war Stanley wieder in Udschidschi. „Der Tanganjika," schreibt er von hier, „ist von mir umfahren und ausgenommen worden und seine enorme Küstenlinie so genau niedergelegt, als ein ziemlich guter Chronometer und Sonnenbeobachtungen dies gestatten. Kapitän Burtons Entdeckung ist jetzt ein vollendetes Ganzes, mit keiner unbestimmten Ecke noch unbekannten Einbuchtung. Die von mir zurückgelegte Entfernung beträgt über 800 geographische Meilen." Auch den Abfluß des Tanganjikasees nach Westen zu, den von Cameron entdeckten Lukugasluß, fand Stanley wieder und fuhr eine Strecke weit denselben hinab. Er gibt eine höchst merkwürdige Schilderung desselben, nach welcher der Lukuga eigentlich nur ein Arm des Tanganjika mit gelegentlichem Abfluß nach Westen hin ist.
Als Stanley nach Udschidschi zurückgekehrt war, fand er, daß unter seinen Leuten die Pocken ausgebrochen und acht Mann daran gestorben waren; weitere 43 desertirten aus Furcht vor den Kannibalen von Manjema, in deren Land man zunächst reisen wollte; unter diesen auch der Negerknabe Kalulu, welcher Stanley auf seiner ersten Reise so treu begleitet und in England eine gute Erziehung genossen hatte. Er wurde jedoch zurückgeholt, um später auf der Kongofahrt in einem Wasserfall zu ertrinken. Nur durch die energischsten Mittel- konnte Stanley den Abmarsch erzwingen. Er ließ 32 der Meuterer in Ketten legen und trieb alle seine Leute in die Canoes, welche sofort nach dem Westufer des Tanganjika hinüberfuhren. In der außerordentlichen kurzen Zeit von 40 Tagen erreichte er den Marktort Nyangwe am Lualabastrom, der hier in der Regenzeit bis zwei englische Meilen breit ist. Er stand nun au der Schwelle der großen, gänzlich unbekannten Region. Livingstone und Cameron, die vor ihm bis hierher vorgedrungen, mußten in Nyangwe umkehreu, ohne das Räthsel des Kongolaufes lösen zu können. Stanley aber war fest entschlossen unterzugehen oder den Lualaba-Kongo hinabzuschiffen. Nachdem er durch Anwerbung seine Expedition wieder auf 140 mit Gewehren und 70 mit Lanzen bewaffnete Leute verstärkt hatte, verließ er am 15. November 1876 mit 18 Canoes und dem zerlegbaren Forschungsboote „Lady Alice" sowie Vorräthen auf sechs Monate Nyangwe, gerade zwei Jahre, nachdem er Baga- moyo an der afrikanischen Ostküste verlassen hatte Noch sollten dreiviertel Jahre vergehen, ehe er, nach der abenteuerlichsten Fahrt, die wohl je unternommen wurde, am 8. August 1877 bei Boma an der Kongomündung wieder in das Bereich der europäischen Machtsphäre trat, nun einer der ruhmreichsten, von beispiellosem Erfolge gekrönten afrikanischen Entdeckungsreisenden.
Indem wir die überaus fesselnden Erlebnisse Stanleys auf seiner Fahrt den Kongo abwärts in einer folgenden Nummer mitzutheilen uns Vorbehalten, theilen wir hier nur noch die geographischen Resultate seiner Kongofahrt mit.
Das ganze Flußgebiet des Kongostromes nimmt nach Stanley einen Flächenraum von 40,450 geogr. Quadratmeilen ein. Einen Vergleich hierfür gewinnen wir, wenn wir bedenken, daß des Rheines Stromgebiet nur 3600 Quadratmeilen groß ist. Das Stromgebiet des Kongo ist also gerade viermal so groß wie das ganze deutsche Reich. Die Quellen des Kongo
müssen weit im Süden unter 10 Grad südlicher Breite in der Landschaft Ubisa gesucht werden. Dort fließt der breite, sehr tiefe, schon von Livingstone passirte Tschambesifluß nach Westen zu in den Bangweolosee, ein weites seichtes von Livingstone entdecktes und zweimal besuchtes Wasserbecken. An der nordwestlichen Ecke desselben als Luapula heraustretend, erreicht der Fluß nach einem Laufe von etwa 30 Meilen abermals einen See, den Moero, welcher nur 85 Quadratmeilen groß ist. Er durchfließt auch diesen und tritt, immer nördliche Richtung beibehaltend, als Lualaba heraus. Von Westen her empfängt er bedeutende Zuflüsse, so den seenreichen Kamalondo; dann nimmt er bei dem oft genannten Orte Nyangwe den Namen Ugarowa*) an und ist schon 1400 Ellen breit. Von seiner Quelle (dem Tschambesi) bis hierher hat er bereits einen Lauf von 240 geographischen Meilen zurückgelegt. Etwas nördlich von Nyangwe, wo der Fluß auf Ausläufer der Uregga- berge trifft, beginnen dann die ersten tosenden Wasserfälle, ein Hinderniß für die Schifffahrt. Auch auf dem Landwege sind diese Wasserfälle schwer zu umgehen, denn ein außerordentlich wildes und dem Fremden feindseliges Volk wohnt gerade hier, das alle Araber, welche es versuchten, von Nyangwe aus hierher vorzudringen, noch zurückjagte. Diese Schwarzen nennen sich Wabroiro. Sie wohnen in großer Ausdehnung am rechten Ufer. Am linken Hausen die nicht weniger kriegerischen Wagenja und Bakusu. „Auf dieses Volk," schreibt Stanley, „würde ein ganzer Kongreß von Bischöfen und Missionaren keinen Einfluß haben; es sei denn als einheimisches Roastbeef." Von Osten her empfängt nun der Kongo-Lualaba zahlreiche Zuflüsse, deren Aufzählung wir unterlassen, und tritt dann, indem er sich dem Aequator nähert, in die große centralafrikanische Tiefebene, deren Vorhandensein Stanley konstatirt. Von allen Seiten strömen ihm hier ungeheure große Nebenflüsse zu, darunter der mächtige Aruwimi und der Mangala — von denen einer wohl mit dem 1870 von Schweinfurth entdeckten Uelle identisch sein dürfte. Der Kongo selbst aber, majestätisch durch diese Tiefebene in vorherrschend westlicher Richtung hinströmend, erweitert sich oft seeartig, wird mehrere Meilen breit und löst sich zuweilen, bedeckt von Inseln, in zahlreiche Kanäle auf, so daß es Stanley schwer wurde, den Haupistrom aufzufinden. Allmählich entdeckte er aber, daß fast nur der Hauptlauf bevölkert war. Nur wenn der Hunger ihn trieb, versuchte Stanley zu landen, fand aber stets, „daß die Interessen der wilden Eingeborenen und der Geographie nicht harmonirten." Die Schwarzen hatten hier noch nie von weißen Leuten gehört; es war ihnen eine unbegreifliche Sache, daß Fremdlinge auf ihrem Strome dahinfahren wollten, denn nie kommt es dort vor, daß ein Mitglied eines Stammes Übertritt in das Gebiet des Nachbarstammes. Der Handel ist dort kein durchgehender, sondern wird von Landschaft zu Landschaft, von Hand zu Hand geführt. Nur drej Stämme haben sich an dem ganzen langen Laufe zu etwas höherer Bedeutung emporzuraffen gemocht.
Der größte Zufluß, welchen der Kongo überhaupt empfängt, kommt von Süden her. Es ist der Jkelemba, welcher „fast so groß wie der Hauptfluß selbst" ist. Kein Zweifel, daß wir in ihm den weiter südlich als Kassabi bekannten Fluß Wiedersehen. „Die eigenthümliche Farbe seines Wassers, die dem Thee gleicht, vermischt sich mit den silbernen Wellen des Kongo erst nach einem Laufe von 130 englischen Meilen." Dann erst, wenn diese Vermischung stattgefunden hat, nimmt der Kongo die bräunliche Farbe seines Unterlaufes an. Auch an der Mündung des Quangoflusses, hier Nkutu genannt, kam Stanley vorüber, dann aber beginnt der majestätische Hauptfluß, der oft eine ganz enorme Breite erreicht hat, sich langsam zusammen zu ziehen, er wird von Felsenriffen durchsetzt, von Lavabänken, und donnert, Stufe auf Stufe, in einer 180 englische Meilen langen Kataraktenreihe zum unteren Kongo herab. 62 solcher Wasserfälle führt Stanley hier an, die er zu Fuß, bald auf der nördlichen, bald auf der südlichen Seite des Stromes umgehen mußte; der Gesammtsall des Flusses aus dieser Strecke beträgt 180 Meter. Die Schwarzen, welche an dieser Strecke
*) Nur eine dialektische Umbildung von Lualaba.