Heft 
(1878) 11
Seite
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Titel:Der Christ in der Freundschaft" anonym veröffentlichter Aufsätze, mit Hinznfügnng einiger eigenen (übrigens keineswegs der geringsten", wie er in seiner großen Bescheidenheit meint) heraus­gegeben. Zur Erinnerung an Ciceros heidnisches Buch von der Freund­schaft, denLülius", nannte er sein christliches Gegenstück:Phi- lemon". Er wußte aber damals nicht, wer die unter den Chiffern o, x und p verborgenen Verfasser jener Aufsätze seien. Da wurde durch einen Brief des trefflichen deutschen Staatsmannes, Freiherrn Fr. Carl von Moser (st 17981, der sich in der Autographensammlung des Archivraths Kästner erhalten hatte, das Räthsel gelöst: e bedeutete da­nach Goethes Frankfurter Freundin, x ihre Schwester Maria Magdalena, 1 > Moser selbst, denPhilo" derBekenntnisse". So theilte es Delitzsch, nach Lappenbergs Angaben, in der zweiten Auflage seinesPhilemvn" mit. Die so eben erschienene dritte Auflage dieses trefflichen Buches, das abgesehen von der feinsinnigen und tiefernsten Behandlung seines interessanten Gegenstandes ein wichtiger Beitrag zur Goethe- Literatur genannt werden muß, bringt uns nui?eine neue Bereicherung, die inan auch eine Enthüllung nennen kann. Sie enthält nämlich das

Fußen gesessen, darstcllte. Diese Skizze hatte er einer ihrer auswärtigen Freundinnen mit den nachfolgenden schönen Versen zugefandt:

Sieh in diesem Zanbcrspiegel Sieh dein Bild ihr gegenüber

Einen Traum, wie lieb und gut Unter ihres Gottes Flügel Unsre Freundin leidend ruht.

Schaue, wie sie sich hinüber Aus des Lebens Woge stritt;

Und den Gott, der für euch litt.

Fühle, was ich in dem Weben Dieser Himmelslnst gefühlt,

Als mit nngeduld'gem Streben Ich die Zeichnung hingewühlt.'

Diese Zeichnung scheint verloren gegangen zu sein das Bild Julius Hammels zu Ludwig Diestels Aussatz:Goethe und die schöne Seele" im I. Jahrgange unseres Blattes (S. 184) war nur ein Versuch, Goethes Skizze nach den Geleitversen zu reproduziren. Da­gegen hatte sich in dem Goetheschen Nachlaß ein Aquarellbild erhalten, welches seine Jugendfreundin noch unmittelbarer vergegenwärtigt, als es die aus dem Gedächtnis; entworfene Zeichnung des Greises vermochte. Fräulein von Klcttenberg selber hatte sich nämlich in ihrem 44. Lebens­jahre (1767) für eine Freundin malen lassen. Nach dem Tode derselben

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(1774) hatte ihre Erbin bei Gelegenheit eines Besuches Goethes i seiner Vaterstadt (1.815) dem Dichter das Bild geschenkt, das dann 181 unter den festen Verschluß des Nachlasses kam. Vergeblich halte Lappenberg gestrebt, eine Copie davon zu erlangen; doch dem Leipziger Professor war es durch seine besonderen Beziehungen zum Goetheschen Hanse gelungen, das Bild sich zugänglich zu machen. Tie Herren Walther nnd Wolfgang von Goethe, wie deren nun entschlafene Mutter Ottilie hatten ihm bereits vor zwanzig Jahren die Erlaubnis; gegeben, das Bild photographisch reproduziren zu lassen, nm es seinem Philemon" als Titelbild vorzusetzen. Durch allerhand Ilmstände ver­zögert, ist aber erst jetzt die alte Zusage erfüllt worden. Leider be­reitet das Bildnis; dem Beschauer eine unangenehme Enttäuschung. Das Gesicht zwar entspricht dem Eindruck, den wir alle von der fein­sinnigen, bis in den Tod bewährten Christin haben, aber wunderlicher­weise hat sie sich als Klosterfrau in Nvnnenkleidern malen lassen; sic beabsichtigte", wie sie selbst äußerte,dabei den Scherz: zu beobachten, ob ihre Freundin sie auch in dieser Tracht ähnlich finden werde". Trotz dieser Bermnmmnng darf man sich des Bildes aber doch freuen; eine etwaige Mißdeutung wird ein flüchtiger Einblick in das durch und durch evangelisch gehaltene, im edelsten Sinne erbauliche Buch sofort zerstreuen. R. K.

Gustav Frey tag-Galerie. Photographien nach Originalgemälden der ersten Meister der Neuzeit reproduzirt von Fr. Bruckmann in München. Kunstverlag von Edwin Schloemp in Leipzig.

Wie cs scheint, wird das diesjährige Weihnachtsfcst keinen neuen Band derAhnen" von Gustav Freytag bringen. Um so will­kommener wird es den zahlreichen Freunden des Dichters sein, sich seine sämmtlichen Werke im Lichte der Kunst gewissermaßen rekapi- tnliren zu können. Die hervorragendsten Maler unserer Zeit haben sich vereint, um in 24 Blättern charakteristische Scenen aus Freytags Schöpfungen darznstellen, und die acht uns vorliegenden Bilder, die in verschiedenen Formaten den verschiedenen Bedürfnissen nnd Börsen angepaßt bisher erschienen sind, liefern den Beweis, daß der Ge­danke dieses Unternehmens ein höchst anerkennenswerthcr und glück­licher zu nennen ist. Da führt uns O. Wisniecki ein re-zendes Genrebild aus Freytags populärstem Roman:Soll und Haben", die erste Begegnung Antons mit Leonoren im sommerlich duftigen Park vor, während Herterich die prächtig gelungene 2. Scene ans dem II. Akt derJournalisten", in der Bolz nnd Piepenbrink Brüderschaft trinken, ebenbürtig illustrirt hat. DieBilder aus der deutschen Vergangenheit" sind durch drei Gemälde vertreten; A. v. Heyden führt uns ans der Sage von Hailaga nnd Sigurnna den Moment vor, in dem der ermordete König der Gattin am Todten- hügel erscheint; Jos. Flüggen hat den Spaziergang Felix Plätters nach GundeIdingen zur Darstellung gewählt; der bekannte Luther - maler Gustav Spangenberg die Verlobung Luthers mit Katha­rina von Bora. Ans dem ersten Bande derAhnen" hat A. Liez en - Mayer in einfach erschütternder Weise den Untergang Ingos und Irmgards gemalt; H. Kan Ibach die anmnthigstc Scene aus dem Nest der Zaunkönige", wo Jmmo am Tische des Grafen Ger­hard der schlanken blonden Hildegard gegenüber sitzt; C. E. Döpler

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zeigt uns Ivo aus denBrüdern vom deutschen Hause", wie er nach den Waffen greift, um die geraubte Fridernn zu befreien, und Hedwig von Meran ihn am Arm faßt, um die That zu verhindern. Sind auch die Bilder nicht alle gleich werthvoll mag auch daS eine oder das andere die voreingenommene Auffassung des Lesers täuschen: zur erneuten Freude an den beliebtesten Werken Freytags werden alle ohne Ausnahme doch beitragen und den Wunsch nach der Fortsetzung nnd Vollendung in jedem Beschauer erwecken.

1. Bilder aus Elsaß-Lothringen. Originalzeichnnngen von Robert Aßmns. (45 große ganzseitige Bilder in Tondruck nnd 150 Text-Illustrationen.) Schilderungen von Karl Stieler. 274 S. Verlag von Paul Neff in Stuttgart.

2. Friederike Brion von Sesscnheim. Geschichtliche Mitthci- lungen von Phil. Ferd. Lucius, Pfarrer in Sessenheim, Verlag von Eduard Heitz in Straßburg.

Seit sieben Jahren sind sie wieder unser, die alten deutschen Reichslande. Und nicht nur äußerlich verbunden sind sie, auch innerlich gewinnen sie immer mehr und mehr Fühlung mit uns der vor­jährige Empfang des Kaisers im Elsaß hat es bewiesen. An uns ist es nun vor allen, den Bund der Herzen hüben nnd drüben zu festigen auf jede Weise. Auch die belletristische Presse kann dazu beitragen: das zeigt so recht das Stieler-Aßmus sche Prachtwerk. In feiner herz­gewinnenden fesselnden Weise versteht unser süddeutscher Freund Stieler cs den neugewonnenen Brüdern zu Gemüth zu führen, wie eng sie zu uns gehören, wie auch die Zeit der unnatürlichen Trennung es nicht vermocht hat, ihr eigenstes nrdentsches Wesen zu zerstören. Und uns zeigt er zugleich, was wir verloren nnd was wir wieder gewonnen haben. Wer an der Hand dieses liebenswürdigsten nnd geistreichsten aller Reiseführer dis altdeutschen Lande am linken Ufer des Oberrheins durchwandert und seine Schilderungen durch Robert Aßmus' treffliche Bilder und Skizzen sich ergänzen läßt, wer bald mit ihnen die geschicht­liche Entwickelung sich vergegenwärtigt, bald die Kunstschätze durchforscht oder die landschaftlichen Schönheiten betrachtet und dazu immer nnd immer wieder auf lebendige Spuren des gemeinsamen Vorlebens in Sage und Poesie stößt der wird erst recht mit Bewußtsein sagen können, wie von einem felbstcrworbenen Herzens- und Geistesbesitz: wieder unser!" Wie heimatlich muthet uns doch auf Tritt und Schritt besondersunser Landet" an; wie freudig begrüßt man die wunderschöne Stadt", wie gern betheiligt man sich an denAusflügen von Straßbnrg!" Durch Goethes Jngenderlebnisse ist uns das alles ja besonders nahe gerückt; auch der strengste Sittenrichter kann sich dem Zauber nicht verschließen, der auf demIdyll von Sesenheim" ruht. Stieler hat dasselbe unangetastet und sein Verhältnis; zur Wirk­lichkeit unberührt gelassen. Man schlägt gern mit ihm den Weg nach jener Stätte der Poesie ein, die für alle Goetheverehrcr ein klassischer Wallfahrtsort geworden ist. Während Aßmus uns einen Blick thnn läßt auf das im Grün still und freundlich liegende Dorf von dem kleinen hochgelegenen Wäldchen ans, wo der Ruheplatz Fricderikens (die sogenannteFricderikens Ruhe") war und uns das alte traute Pfarrhaus, wie es zu Goethes Zeiten existirte, skizzirt, führt nnS Stieler in das neue Pfarrhaus, das aus dem Jahre 18.15 stammt und ganz nahe an der unverändert gebliebenen Kirche liegt. Dann treten wir in den Pfarrgarten und setzen uns unter den alten Hol- lnnderbusch, - -nlicm:Jasminlaube" - unter dem Friederike mit Goethe einst gesessen haben soll.All unsere Gedanken werden festgehalten im Bannkreis jener Zeit," schreibt Stieler, nnd fährt dann fort:Wir hören Goethe in der Laube, wie er dieschöne Melusine" erzählt, wir hören den lärmenden Kreis von jungen Freunden, die schon beim Frühstück den Wein nicht gespart, und nun ihre tollsten Streiche treiben, wir sehen Friederike, wie sic durch die blühenden Fluren wandelt." Das waren die Tage," schließt er,die der größte deutsche Dichter auf dieser Scholle imsüßen Elsaß" verlebte, nnd welche Wonne athmct nicht dies Leben! Durch seine Schilderung, wie durch unser eigenes Empfinden, wenn wir das kleine Sesenheim besuchen, hallt gleichsam wie ein Grnndton das Wort:Ich war grenzenlos glücklich an Fric­derikens Seite."

Wie anders als das Goethesche Idyll nnd das dichterische Echo Stielers klingt der streng geschichtliche Bericht, den uns der seit sechzehn Jahren in dem berühmten Dorfe waltende Nachfolger des Vaters Fricderikens, Pfarrer Lucius, gibt! Zuerst fühlt mau sich von seinem kritischen Verfahren, von feinen gewissenhaften Unter­suchungen, von feinen urkundlichen Berichtigungen peinlich berührt. Schon daß wir an Stelle von Sesenheim das unzweifelhaft richtige Sessenheim setzen sollen, mißfällt uns. Ebenso ungern erfahren wir, daß der NameFricderikens Ruhe" durchaus in das Gebiet der GoetheschenDichtung" gehört, und daß die altberühmteJasmin- laube" schon längst von ihrer ursprünglichen Stelle in ein kleines Gärtchen zwischen der Straße und der Scheune verpflanzt ist und ganz anders anssieht, als der von Aßmns etwas poetisch anfgefaßteHvllunder- busch". Glücklicherweise stimmt das alte Pfarrhaus, das sich der ans dem XV. Jahrhundert stammenden Kirche gegenüber erhob, mit der Lueiusschen Beschreibung und der von Pfarrer Lambs entworfenen Zeichnung desselben, der zum Vergleich die Grundrisse des Pfarrhofes von 1770 und 1870 hinzugefügt sind. Auch sonst berichtigt Lucius noch eine Reihe kleiner Jrrthümer; so weist er nach, daß das neue Pfarrhaus nicht nach Goethes Plänen gebaut ist: daß Friederike über 18 Jahre alt war, als Goethe sie zum ersten Male sah, nnd nicht 15 oder 10 Jahre, wie man es gewöhnlich annimmt w. w. Kurz, man fühlt sich versucht, in des ersten Sessenheimer Wallfahrers, L. Tiecks Klage