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Das historische Charakterbild solcher Männer bleibt ja gesichert, und mich für die rein äußerliche Erscheinung sorgt in deseriptiver Weise die Photographie; aber die Verbindung beider, die Zurückführung der ganzen geistigen Kraft, des ganzen idealen Könnens, auf das leibliche Bild, das bleibt doch Lenbachs unerreichte Meisterschaft. Auf der Weltausstellung in Wien (1873) waren neben anderen Werken von seiner Hand die Bildnisse des deutschen und des österreichischen Kaisers sichtbar, die selbstverständlich an hervorragender Stelle Platz fanden, und denen es auch an Bewunderern nicht fehlte, obgleich ihnen andere Bilder Lenbachs vielleicht überlegen sind.
Wenn er in Wien verweilte, dann war es vor allen anderen Künstlern der geniale Makart, an welchen sich Lenbach anschloß, denn die beiden waren ja durch alte Schulerinnerungen aus München verknüpft und auch in ihrem Wesen lagen mannigfache Berührungspunkte. Gemeinsam zogen sie im Winter 1875 nach Aegypten, wo der Erbe der Pharaonen ihnen eine glänzende Gastfreundschaft gewährte; die Studien, welche die beiden Künstler mitgebracht, gehören zu den herrlichsten Skizzen, die Wohl jemals in der Mappe deutscher Maler lagen, und tragen nicht wenig bei zu jenem vornehmen exotischen Gepräge, welches Lenbachs Künstlerwerkstatt uns heute bietet.
Es wird überhaupt nur wenige Ateliers in Deutschland geben, deren Besuch so fesselnd und anregend wirkt. Da fühlen wir es erst, wie weit die Welt, und wie weit das Reich der Kunst ist; das Beste und die Besten aller Lande umgeben uns, köstliche Geräthe liegen allenthalben, eine Skizze von Rubens Händen schmückt die getäfelte Wand, und ringsumher stehen Bildnisse, die es uns schwer machen, eines um des anderen willen zu verlassen. Hier sind es holde Frauen, auf denen zuerst unser Auge haftet, dort sind es Männer der That, die uns von stummer Leinwand so beredt entgegenblicken. Dies erregte Antlitz, das verwittert scheint, und doch so sorglich gepflegt, ist das Bildniß des Grafen Andrassy; die feingeglättete Gestalt, die selbst im Bilde den vollendeten Gentleman hervor- kehrt, heißt Minghetti. Lenbach hatte viel in seinem Hause verkehrt, als er das letztemal in Rom gewesen, es waren gerade die stürmischen Tage, da sich der Wechsel im italienischen Cabinet vollzog, und da die Spitzen der politischen Bewegung allabendlich in den Salons des Präsidenten znsammentrafen.
Von schlagender Wirkung ist das Bildniß Richard Wagners und jenes von Franz Liszt; dort aus der Ecke schaut uns
Schopenhauer entgegen (der übrigens nicht mehr nach dem
Leben gemalt ward). Und dann ein Malerbild — das ist Arnold Böcklin, der geniale Träumer am Meeresstrande, der mit dem Pinsel jene wunderbaren antiken Idyllen schuf, welche jetzt eine Zierde der Schackschen Galerie sind.
Unter all den Schätzen aber steht Lenbach selber im letzten dieser prunkvollen Gemächer mit breitem Pinsel vor der breiten Leinwand, nnd spielend lockt er die feinsten Töne aus dem
Bilde, wie nur der Spielmann sie der Fidel ablockt. Man hat nicht das Gefühl, daß er je mit Mühe schafft, so sehr auch
seine Auffassung ins Tiefe dringt, und so intensiv er auch zu Werke geht, um in den wenigen Stunden einer zwanglosen Sitzung der ganzen Individualität eines Menschen auf den Grund zu kommen; um das geistige Gehcimniß derselben auszuforschen und den harmonischen Ausgleich der inneren und äußeren Erscheinung zu finden. Jedes Porträt und vor allem das Bildniß jedes bedeutenden Menschen ist für den Künstler anfänglich ein Problem, und zwar ein um so größeres Problem, je höher die geistige Kraft des Künstlers selber steht, je mehr er im Stande ist, die innere Komplieirtheit eines Cha
rakters zu durchschauen. Allein selbst für die Technik gilt bei Lenbach dies Gesetz; er malt nicht den einen Kops wie den andern, sondern für jedes neue Bild sucht er erst während des Schaffens die adäquatesten Mittel aufzufinden, die ihm sein unermeßliches malerisches Können bietet. Und doch gewahrt man von Mühe nie das geringste; wie von selber scheint das Gemälde unter seiner Hand zu wachsen, in anregendem Gespräch gehen die Stunden dahin und unversehens ist das Bildniß fertig. Das fesselt, und jeder, der einmal hier zu Gast gewesen, kehrt gern wieder; selbst der große Moltke reist nie durch München, ohne Lenbachs Werkstatt aufzusnchen.
Er hat sich dies Vorrecht erhalten trotz jener gewissen Herbigkeit, die noch heute in seinem Wesen liegt, die kein Erfolg ihm weggeschmeichelt, die kein vornehmer Verkehr ihm abgestreift. Vielleicht kann man sagen: gerade deswegen; denn man freut sich in unseren sensitiven Tagen, wo alles nach Beifall hascht, über einen Charakter, dem weder Lob noch Tadel seine Ruhe raubt; es imponirt uns am meisten ein Mann, der sich durch nichts imponiren läßt. Und so steht Lenbach noch heute der großen Welt gegenüber, wie er als Knabe einst seiner kleinen Welt gegenüber stand — eine wunderbare Mischung von Anspruchslosigkeit und Selbstbewußtscin, ganz auf sich selber stehend, ohne je einen Zoll seiner Eigenart zu opfern.
In einem Jahrzehnt ist er aus einem unbekannten Manne zu einem der ersten lebenden Maler geworden, nnd er ward es ganz aus eigener Kraft. Er war ein Kind des Volkes, er ist auf armer schönheitloser Erde emporgewachsen und hat sich alles selber erzwungen, die Freundschaft der Großen, die Achtung der Besten und die Macht, das Schönste wiederzugeben. So manche Stimme hat sich auch für ihn erhoben, die seine Bedeutung damit am besten zu erhärten glaubte, daß sie alt seinen Vorgängern im Porträt die Bedeutung absprach; wir aber glauben, dessen bedarf weder Lenbach selber, noch die Kunst. Auch sie ist ja ein Kind ihrer Zeit, es treten andere Begriffe und andere Normen für die Darstellung des menschlichen Bildes ein und auch hier gilt das große Wort, daß der für alle Zeit genug gethan, der den Besten seiner Zeit genug that. Jene Freiheit, wie sie heute das individuelle Leben besitzt, hat nicht wieder existirt seit der Blütezeit der Renaissance bis in die jüngste Gegenwart, und darum konnte sie sich nicht in den Bildern jener Epoche spiegeln, die zwischen beiden steht. Ein konventionelles Gepräge, etwas Förmliches lag in dem geistigen Verkehre, lag in der Gesellschaft jener dreißiger nnd vierziger Jahre, und wenn die Bildnisse damals wahr sein wollten (was doch ihr erstes Erforderniß ist), so konnten sie dies Gepräge nicht verleugnen; es ist nicht die Schuld der Maler, es ist die Schuld der Zeit, wenn uns jene Männerköpfe zu offiziell und jene Frauen zu romantisch anfgesaßt erscheinen. Es war ja die Zeit der Romantik; die Atmosphäre, in der sie entstanden, forderte ihr Recht.
Freuen wir uns, daß diese Fessel konventionellen Zwanges hinweggefallen ist, daß man heutzutage sich auch große Männer denken kann ohne offizielle Pose, daß der Künstler ihr Bildniß ans die reine menschlich-geistige Erscheinung rednziren darf, ohne die Darstellung ihrer Größe und die Vorstellung seiner Zeit zu verletzen. Das ist das eigentliche Geheimniß dessen, was man in der Kunst „Realismus" nennt, cs ist ein gewaltiger befreiender Schritt zur Natürlichkeit, zur Natur — nnd dann erst hat cs vollen Sinn, wenn man behauptet: Lenbach ist der erste Bildnißmaler der realistischen Schule. Wir alle bewundern ihn — er selber scheint zu denken über sich und über die anderen: biii nckinirari!
Am Immtientische.
Bücherschall. WVll.
Philemou, oder von der christlichen Freundschaft. Aufzeichnungen der Fräulein Susanua Katharina von Klettenberg und ihres Freundeskreises. Herausgegeben von Franz Delitzsch. 3. Auflage. Gotha, 1878. G. Schloeßmanu.
Zu Goethes hundertjährigem Geburtstag, dem 28. August 1819, gab der Hamburgische Archivar Lappenbcrg einen der schätzbarsten Beiträge zum Berständniß der Werke des großen Dichters heraus. Es waren die „Reliquien der Fräulein von Klctteuberg" (Agentur
d. Rauh. Hauses zu Horn b. Hamburg). Durch dieses Buch wurde die von Schleiermacher schon 1799 ausgesprochene scharfsinnige Behauptung, „daß Goethe bei den Bekenntnissen einer schönen Seele in Wilhelm Meisters Lehrjahren irgend einen Originalanfsatz in Händen gehabt habe", außer allen Zweifel gestellt; augenscheinlich hatte der Dichter die Aufzeichnungen seiner innig verehrten frommen Jugendfreundin nur künstlerisch überarbeitet nnd allein das Ende poetisch frei gestaltet. Acht Jahre vor dem Erscheinen des Lappenbergschen Buches hatte Professor Delitzsch eine Sammlung älterer, 1751 unter dem