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Geburtstage gezeigt. Bei dieser Gelegenheit erhielt sie als großes Geschenk des Tages ihr eigenes Zimmer. Beide Knie- hases führten sie, mit einer gewissen Feierlichkeit, in die nördliche Giebelstube, die geradeaus den Blick auf den Park, nach rechts hin auf die Kirche hatte und sagten: „Marie, das ist ^ nun Dein; schalte und walte hier; erfülle Dir jeden kleinen Wunsch; uns soll es eine Freude sein."
Marie, im ersten Sturm des Glückes, hatte ein Hin- und Herschieben mit Schrank und Nähtisch, mit Bücherbord und Kleidertruhe begonnen, aber dabei war es geblieben. Es kam ihr nicht in< den Sinn, ihrem alten, ihr lieb gewordenen Besitz etwas Neues hinzuzufügen. Was sie hatte, freute sie, was sie nicht hatte, entbehrte sie nicht.
„Sie hat Muth und sie ist demüthig" hatte, nach jener ersten Begegnung im Park, Frau von Vitzewitz zu Pastor ^ Seidentopf gesagt. Sie hätte hinzu setzen dürfen: „vor allem ist sie wahr." Jenes Wunder, das Gott oft in seiner Gnade thut, es hatte sich auch hier vollzogen: innerhalb einer Welt des ^ Scheins war ein Menschenherz erblüht, über das die Lüge nie !
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Macht gewonnen hatte. Noch weniger das Unlautere. Tante Schorlemmer sagte: „Unsere Marie sieht nur, was ihr frommt, für das, was schädigt, ist sie blind." Und so war es. Phantasie und Leidenschaft, weil sie sie ganz erfüllten, schützten sie auch. Weil sie stark fühlte, fühlte sie rein.
Im Hohen-Vietzer Herrenhause, — es war im Winter vor Beginn unserer Erzählung — sang Renate ein Lied, dessen Refrain lautete:
Sie ist am Wege geboren,
Am Weg, wo die Rosen blühn ....
Sie begleitete den Text am Klavier.
„Weißt Du, an wen ich denken muß, so oft ich diese Strophen singe," fragte Renate den hinter ihrem Stuhl stehenden Lewin.
„Ja," antwortete dieser, „Du gibst keine schweren Räthsel auf." „Nun?"
„An Marie."
Renate nickte und schloß das Klavier.
(Fortsetzung folgt.)
III.
Mit der Vertiefung und Erstarkung des Gegensatzes zwischen Preußen und Oesterreich zersetzte sich selbstverständlich die bisherige Majorität der Paulskirche, Herr von Gagern als Vorkämpfer des preußischen Kaiserthums fand sich dadurch veranlaßt, sich der Linken jener Versammlung zu nähern, um mit deren Hilfe eine entsprechende Majorität für den Erbkaiser zu rekonstruiren. Der Preis, um welchen ihm dies gelang, war dahin vereinbart, mit der Linken für ein rein demokratisches Wahlgesetz und gegen das absolute Veto des künftigen Kaisers zn stimmen, auch sich gleichzeitig zu verpflichten, an der Reichsverfassung nachträglich nichts ändern zu lassen. Für diesen Preis gelang es alsdann in der Sitzung vom 28. März, die Wahl Friedrich Wilhelm IV znm Erbkaiser der Deutschen mit 290 gegen 248 Stimmen durchzusetzen. Die Nachricht von dieser Abstimmung traf am 29. zugleich mit der Kunde von der für die Oesterreicher siegreichen Schlacht von Novara in Berlin ein. Am 3. April erschien alsdann die von der Versammlung gewählte Deputation, dem Könige die deutsche Krone anzutragen. Wie groß die Gleichgiltigkeit dagegen in Berlin geworden war, habe ich damals auf dem Potsdamer Bahnhofe wahrgenommen, wo sich eigentlich außer den von dem Magistrat abgesandten Dienern niemand um die Ankunft der Deputation bekümmerte. Als man demnächst in den vom Magistrat gestellten Kutschen in die Stadt einfuhr, sah man es den Gesichtern der einzelnen Deputirten an, wie völlig überrascht sie durch den nicht erwarteten kühlen Empfang waren, und wie einer und der andere sich fast ängstlich umsah, ob sich nicht ein mildes Herz finden würde, ihnen ein Hurrah zuzurufen oder sie wenigstens zu grüßen. Die Demokratie Berlins sah eben in der Majorität der Paulskirche den Zerstörer ihrer Hoffnungen und in dem besitzenden Theile der Bevölkerung war einerseits das Verlangen nach Ruhe und Ordnung, andererseits das preußische Selbstgefühl so stark, daß man am liebsten mit dem „ganzen Schwindel" nichts mehr zu thun haben wollte.
Wenn nun auch die Deputation nichts desto weniger von dem König sehr ehrenvoll ausgenommen wurde, so empfing sie doch einen ablehnenden Bescheid, dessen Motivirung wesentlich aus der mangelnden Zustimmung der betheiligten Fürsten und freien Städte Deutschlands hergenommen wurde.
Oesterreichischerseits beantwortete man jenes Votum der Paulskirche damit, daß man sämmtliche österreichische Abgeordnete abberief, die Fortdauer des Parlaments für ungesetzlich erklärte, nichts desto weniger aber ? d^n Reichsverweser verhinderte, sein Amt m .-:zulegen, ihn vielmehr anwies, seine Machtbefugniß nur einer solchen neuen Bundesgewalt abzutreten, bei .Welcher Oesterreich vertreten sei. Man sieht, Oesterreich spielte ein kluges und energisches Spiel und besaß in dem Fürsten Schwarzenberg den geeigneten Mann, um dasselbe ohne
Nachdruck verboten.
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Skrupel und Rücksichten zn Ende zn führen. Er war eben Oesterreicher und nichts als solcher und war völlig gewiß, in allem, was die Einigung und Kräftigung Deutschlands zu hindern bestimmt war, auf die volle Beistimmung und nöthigen- falls Unterstützung Englands, Frankreichs und insbesondere Rußlands zählen zu dürfen. Rußland bedurfte des handgreiflichen Beweises, wie „undankbar Oesterreich sein könne", bevor es sich dazu entschloß, die Entwickelung Deutschlands mit andern Augen anzusehen.
Glücklicherweise war es dem Herrn Bunsen nicht gelungen, die Entschlüsse des Königs von Preußen in dem Maße zn erschüttern, daß eine nachträgliche Annahme der Frankfurter Verfassung als möglich erschien, obschon jener sonst wohl das Zeug dazu hatte, einen maßgebenden Einfluß auszuüben und den König unvermerkt einen Schritt nach dem andern vorwärts zu drängen. Da indes ebenso wie bei Radowitz die reellen Bausteine für das von ihm projektirte Gebäude deutscher Einheit fehlten und die Kartenhäuser, welche man aus Abstimmungen, Konferenzen und Depeschen zu bauen versuchte, durch jeden Wechsel der politischen Windrose wieder umgeworfen wurden, so langte man alsbald bei einem Punkte an, wo ein Fortschreiten auf dem bisherigen Wege eben nicht weiter möglich erschien.
Die aus den „Kleindeutschen" und der Linken zusammengesetzte Majorität setzte deshalb bereits unter dem 10. April, und zwar je zur Hälfte von beiden Seiten, den sogenannten Dreißigerausschuß nieder, welcher für die Durchführung der Reichsverfassung Sorge tragen sollte, vorbehaltlich der Oberhauptsfrage, welche eine offene blieb. Man glaubte einander gegenseitig zu bedürfen und zwar, wie man damals schon richtig bemerkte, die Kleindeutschen der Linken, um die Masse der Bevölkerung auf ihre Seite zu bekommen, und wenn möglich eine neue Märzbegeisterung zu erwecken; die Linke der Kleindeutschen, um für ihre revolutionären Zwecke ein quasi gesetzliches Aushängeschild zu gewinnen.
Seitens Preußen wurde dieser Schritt mit der definitiven Ablehnung der Kaiserkrone beantwortet, doch waren gewisse Einflüsse noch immer stark genug, um den Beschluß zu bewirken: unter dem 3. Mai der Paulskirche noch einmal anheim zu geben, ob sie sich den Bedingungen des Königs fügen wolle. Die „souveräne Versammlung" lehnte dies ab und es entwickelte sich nunmehr das aus Tragödie und Komödie gemischte Schauspiel, welches unter dem Gesammtnamen der „Mairevolutionen" bekannt ist.
Zunächst faßte man unter dem 4. Mai den Beschluß, alle Regierungen, Gemeinden und Stände der einzelnen Staaten aufzufordern, die Reichsverfassung durchführen zu helfen. Wolle der König von Preußen nicht das Oberhaupt sein, so solle es der mächtigste Fürst nach ihm werden. Zugleich solle gemäß
persönliche Erinnerungen aus den Jahren 1848—1850.