273
entschiedener festzuhalten. Weitaus fein- und fernsichtiger in politischer Beziehung war der General von Gerlach, doch wurde derselbe durch seine amtliche Stellung an einem offenen Heraustreten verhindert. Um so offener und rückhaltloser aber war er in seinem Verhältniß zur Krone und man läßt seinem Angedenken nur Gerechtigkeit widerfahren, wenn man die That- fache konstatirt, daß er dem Könige mit ebenso viel Offenheit als Hingebung diente. Die Schmeichler, welche den König umgaben, kamen aus einem andern Lager.
Nach Mißlingen des ersten Versuches octroyirte das Ministerium alsdann ein neues Wahlgesetz, das Dreiklassen-Wahl- system, und leitete damit sowohl auf dem Politischen als auf dem wirtschaftlichen Gebiete eine Entwickelung ein, in deren Konsequenzen wir uns heute noch befinden, die aber damals freilich nur von denjenigen vorausgefthen wurde, welche auf dem sozialen Gebiete wenigstens so weit orientirt waren, um
den innigen Zusammenhang der politischen mit der gesellschaftlichen Entwickelung zu erkennen. Mit Hilfe dieses neuen Wahlgesetzes kam man dahin, eine neue Versammlung zu Stande zu bringen, welcher die Vereinbarung einer Verfassung mit der Krone in soweit gelang, daß der König dieselbe in der Hoffnung, mit ihr regieren zu können, zugleich aber mit der Betonung ihrer Revisionsbedürftigkeit am 6. Februar 1850 feierlich beschwor. Man hielt den endlichen Abschluß des preußischen Verfassungswerkes damals nicht allein um Preußens willen, sondern auch um deswillen für nothwendig, weil man damit die Sympathien der Konstitutionellen des gesammten Deutschlands zu gewinnen und festzuhalten hoffte.
Wie viel diese Sympathien noch Werth seien, nachdem die Führer jener Partei sich abgenutzt und die Bewegung selbst in die Hände der republikanischen Partei übergegangen war, darüber schien man sich leider im Unklaren zu befinden.
Won Wew-Work nach San Imnzisko.
Schilderungen eines Auswanderers.
Nachdruck verboten. Ges. v. 11./VI. 70.
Wie man vermittelst der Bahn von New-Jork nach San Franzisko kommt, das hat man schon oft beschrieben und dabei nie vergessen, von der Pünktlichkeit der Züge und von dem Komfort der Wagen zu sprechen, vergessen hat man aber zn sagen, daß der Emigrant auf diesen prompten eleganten Zügen nicht reift. Warum nicht? Nun, das macht das „leidige" Geld, denn wenn er mit einem Emigrantenzuge reist, so spart er runde 40 Dollars, und in den meisten Fällen hat der Auswanderer für dieses Sümmchen bessere Verwendung, als daß er sich den Luxus erlauben sollte, mit einem sogenannten Expreß- znge das Land seiner Wünsche 5—6 Tage früher zu erreichen; namentlich, wenn er mit Familie reist, dann bauscht sich aus dieser Differenz schon ein kleines Kapitälchen auf.
Es sei hier bemerkt, daß die amerikanischen Bahnen, wenn sie Hauptverkehrsadern für den Einwandererstrom bilden, besondere Emigrantenzüge einlegen, die man gewöhnlich aus aus- rangirten Wagen, die man von den gepolsterten Sitzen befreit hat, zusammenstellt. Von der berühmten wilden Eile, mit welcher sonst amerikanische Züge befördert werden, ist bei Emigrantenzügen allerdings nichts zu bemerken; allein der Einwanderer, der es auch niemals sehr eilig hat, spart ein Erkleckliches am Passagepreis, diese Einrichtung ist somit als eine große Wohl- that zu bezeichnen.
Wollen wir von New-Uork nach San Franzisko, so finden wir, daß der Reisende drei große Routen zu seiner Fortbewegung benutzen kann. Eine nördliche, die über Chicago, eine südliche, die über Washington und St. Louis und eine mittlere, die über Philadelphia und über das Alleghanygebirge führt. Alle diese Routen treffen aber am Missouri in der Stadt Omaha zusammen, wo die Pacificbahn die ihr auf den verschiedenen Linien zugeführten Waaren und Passagiere zur Weiterbeförderung nach dem Westen übernimmt. Ich habe die mittlere Route gewählt, denn ich wollte das schöne Pennsylva- nien, das fruchtbare Ohio kennen lernen und habe es auch nicht zu bereuen gehabt.
Der Weg zieht zunächst durch den Staat New-Jersey und führt daun, Philadelphia links liegen lassend, durch das prächtig angebaute Hügelland von Pennsylvanien, dem Alleghanygebirge zu, das viele hübsche Partien besitzt.
Die Dörfer in Pennsylvanien sind meist sehr schön. Gewöhnlich auf einem Plateau gelegen, durchziehen schnurgerade 60 Fuß breite gut chaussirte Straßen den Ort, der wie fast alle amerikanischen Städte, in Quadraten angelegt ist. Die Straßen sind mit schönen Schattenbäumen bepflanzt, und wenn der Ort eine einigermaßen aufstrebende Bevölkerung besitzt, dann hat man auch noch Trottoirs hergerichtet. Die Gehöfte stehen nicht dicht zusammen, sondern gerade so weit von einander ab, daß der Besitzer sich frei und behaglich mit Geschirr bewegen kann. Das Wohnhaus grenzt an die Straße und weiter ab nach hinten auf geräumigem Hofe stehen die Oekonomiegebäude, welchen sich der Obstgarten anschließt.
XIV. Jahrgang. 17. L*
Alles ist bequem und praktisch eingerichtet, und wenn auch das Wohnhaus nur aus eitel Holz erbaut ist, so bietet es doch mit seiner vorspringenden Veranda und seinen schönen hohen Räumen, die durch große Fenster erhellt werden, einen behaglichen wohnlichen Anblick. Um das Ganze in möglichst freundlichem Licht erscheinen zu lassen, werden Gebäude und Zäune mit Kalkwasser, dem etwas Oel und Salz zugesetzt wird, bestrichen. Dieses sogenannte Weißwascheu wird von den Farmern selbst besorgt und alle 3—4 Jahre erneuert. Außerordentlich billig wie dieses Mittel ist, gibt es doch den Dörfern am atlantischen Ocean, wo es ausnahmslos an jeder Farm angewandt wird, ein ungemein freundliches und gewinnendes Ansehen.
Pennsylvanien hat eine schon 100jährige Kultur hinter sich, was wir wohl berücksichtigen müssen, wenn wir nun Hinuntergleiten nach dem jüngeren Ohio, wo die Dörfer nicht mehr so hell und freundlich leuchten und schon mehr ein hinterwäldlerisches unfertiges Gepräge tragen. Hier sehen wir noch links und rechts von der Bahn den Ansiedler den Urwald abbrennen und ausroden, wie denn in diesem Staate noch weite Landstrecken ihres Bebauers harren. Ohio ist das Land der Buche. Neben ihr findet ein anderer Waldbaum fast keinen Raum, während in allen übrigen Theilen der Union die Nadelhölzer vorherrschend und ausschlaggebend sind.
Haben wir das Alleghanygebirge hinter uns, so befinden wir uns in dem großen Becken, das vom Ohio, Missouri und Missisippi durchströmt wird, ein hügeliges Diluvialgebilde, theils aus fruchtbarstem Boden, theils aus mageren Sandrücken bestehend, das jeder landschaftlichen Schönheit bar ist. Ohio, Indiana, Illinois und Iowa sind die vier Staaten, welche unsere Bahn durchzieht, bevor sie uns in Omaha an die Pacificbahn abgibt. Das Auge ermüdet an dem ewigen Einerlei, das sich ihm da zum Beschauen bietet, denn überall tragen Landschaft, Städte, Dörfer und Bewohner denselben stereotypen Charakter. Nur der Wald wird immer seltener, je weiter man nach Westen kommt, und schon in Iowa kann man tagelang reisen, ohne sich an dem Anblick eines Baumes erfreuen zu können.
Am Missouri aber wird es still und öde und trübe. Nicht mehr wie sein Bruder Ohio, bespült er mit seinen schmutzigen Wogen weite grüne Wälder mit frischen Auen, in welchen sich eine muntere Thierwelt tummelt. Ein frostiger Ernst lagert auf dieser unfreundlichen Ebene, und der Reisende schaut nach Westen und hofft dort, wo die Sonne untergeht, wohlthuende Ruhepunkte für das Auge zu finden.
Enttäuscht aber wendet er den Blick zurück, denn was er dort im Westen sah, das ist eins endlose ermüdende Ebene mit struppigem Gras bestanden, auf der kein Baum grünt, kein Strauch blüht und kein üppiges Aehrenfeld wogt. Kahl ist's gerade aus, kahl ist's rechts und kahl ist's links, und wer mag da sein, wo keine Bäume wachsen und die Vögel nicht singen?