Fünf Tage dauert in der Regel die Reise von New- Aork nach Omaha, und wenn auch oft die Geduld auf eine harte Probe gestellt wird, so findet man doch auch manchmal Gelegenheit, schneller, wie man wünscht, befördert zu werden. Ich hatte ein Mal eine folche Gelegenheit. Zwei Bahnen, die verschiedenen Gesellschaften gehören, liegen auf einige Meilen fo dicht neben einander, daß Bahnkörper an Bahnkörper stößt. Oft treffen sich die Züge dort, wo die Eisenschienen so dicht neben einander herlaufen. Das gibt dann einen „Jux" für die Locomotivführer. Weitaus fliegen die Ventile; mit dämonischer Eile rast der Zug dahin, der sich um keinen Preis von seinem Konkurrenten überholen lassen will. Kies und Funken stieben, man sieht die Telegraphenstangen nicht mehr, und entsetzt biegt sich der Reisende vom Fenster zurück, denn er sieht schon im Geiste, wie mau seine Knochen sammelt. Die wilde tolle Jagd dauert, bis die Schienenstränge nach verschiedenen Richtungen ablaufen. Dann wird es ruhiger und die Herren auf der Lokomotive ergötzen sich noch lange an diesem Kapitalspaß. Und warum sollen sie sich die kleine angenehme Aufregung, nicht machen, wenn es hoch kommt, gehen einige Menschenleben zu Grunde und die haben hier wenig Werth.
In Omaha ist es räthlich, sich zu verproviantiren. Die Bahnverwaltung kommt darin den Passagieren in einer Art und Weise entgegen, die volle Anerkennung verdient. Durch einen Ausrufer legt sie es allen Passagieren ans Herz, sich mit Lebensmitteln zu versehen, zu welchem Zwecke sie selbst in dem Stationsgebäude ein Depot errichtet hat, das Schinken, kaltes Fleisch, Eier, Käse, Wein, Whisky re. zu ganz mäßigen Preisen abgibt. Auch aus Bast geflochtene Körbchen zur Aufbewahrung des Proviants sind dort zu haben. Wer morgens nicht ohne Kaffee oder Thee sein kann, der muß für ein kleines Blechgeschirr und die nöthigen Zuthaten sorgen, denn erfindet Gelegenheit, diese Herzenslabung kochen zu können.
In jedem Wagen steht nämlich ein Ofen, der sehr liberal mit Kohlen versehen wird. Da ist denn morgens ein Kochen und Brodeln, ein Putzen und Fegen, das mich oft an die fahrenden Paläste deutscher Künstler, die von Jahrmarkt zu Jahrmarkt ziehen, gemahnte. Denn gerade wie diese, so müssen wir uns in unserem Wagen häuslich einzurichten suchen, da vorderhand an einen Wagenwechsel nicht zu denken ist.
Den kleinen Ofen in der Ecke aber würde ich, wäre ich ein Poet, in unsterblichen Strophen besingen, so sehr macht er sich uni das Wohl und die Behaglichkeit der Reisenden verdient. Wer das nicht glaubt, dem will ich sagen, daß wir von Omaha langsam zu einem Hochplateau aussteigen und wir eine geraume Zeit in einer Seehöhe von 6 — 8000 Fuß unser Dasein fristen müssen. Da wird es über Nacht selbst im Sommer kalt, und dann gedenkt man dankbar derer, die jenen schwarzen Tröster in die Ecke setzen ließen. Frostdurchschüttelt nach oft unterbrochenem Schlafe, der in unbequemer Lage genossen, nicht erquicken konnte, wie schmeckt da „das köstliche Naß der Waschfrauen" so herrlich, namentlich wenn es von schönen Händen kredenzt wird. Denn das sei auch gleich erwähnt, daß man sich auf dieser Reise menschlich näher rückt, daß man da noch Bekanntschaften fürs ganze Leben schließt, wie es der Fall war, als die alte Postkutsche, noch nicht verdrängt durch die Eisenbahn, dem Schwager Gelegenheit gab, auf trautem Posthorn das Echo in den deutschen Wäldern zu wecken. Da erzählen unsere Altvordern ja auch, daß sie, durch jeglichen Mangel an Hast und Eile begünstigt, Bekanntschaften, ja sogar — und das mögen des Posthorns Klänge gethan haben — Freundschaften für das ganze Leben geschlossen haben. Da Poesie und Romantik auf der Pacisicbahn keine Stätte haben, so kann man nicht Freundschaften, nur Bekanntschaften schließen, und das ist auch nöthig, denn man muß sich hier, will man sich die Reise nicht zur Qual machen, kameradschaftlich vertragen und entgegenkommen. Sind doch die Wagen gewöhnlich so gut besetzt, daß niemand eine Bank für sich allein occupiren kann, und wenn das Gedrängtsitzen auch während des Tages erträglich fein mag, mit Beginn der Nacht aber muß absolut ein Concordat abgeschlossen werden, wollen wir anders, daß uns der Schlaf mit seinen Fittichen umfächele.
Die wohl erwogenen Stipulationen laufen gewöhnlich darauf hinaus, daß zwei aus den Bänken bleiben dürfen, d. h. da dieselben keine Auszieher haben, so müssen sie sich wie Igel zusammenrollen oder die Beine, von den Knieen abwärts, hängen über den Seitenarmen der Bank herunter, so daß der süß Schlafende einen spitzen Winkel mit einseitigem kurzen Schenkel plastisch darstellt. Der dritte im Bunde muß sich auf den Fußboden zwischen den beiden gegenüber stehenden Bänken hinlegen. Er muß sehen, wie er fertig wird. Der vierte endlich sucht zu erreichen, daß er auf irgend einem Haltepunkte ein Stück Brett „mitgehen heißen" lassen kann. Das legt er zu Hänpten der beiden Bankinhaber, oben nämlich über die Bankrücken. Dort schläft er in der Regel nicht, bis ihn der erste Morgenstrahl küßt, sondern ein Ruck, ein Aufschrei und er kollert herunter auf die, so da ahnungslos schlafen, deren Dank er dann mürrisch ablehnt und auf die Platform verschwindet, um dort seinen verstörten Sinn von der frischen Brise wieder in die alte Ordnung blasen zu lassen. Es ist noch dunkel, und doch erheben sich schon die beiden Bankinhaber und suchen sich in ihre frühere menschliche Gestalt znrückzurecken. Auch der am Boden liegt, erhebt sich mühsam, behutsam, ruckweise, just als ob er das Podagra habe. Da stehen nun die vier Gesellen und danken ihrem Schöpfer, daß sie vorüber ist — die lange, die bange Nacht. Wer von den vieren ist aber am meisten zu beneiden, wer am meisten zu bemitleiden?
Nachdem der Kaffee gekocht ist, denkt man daran, sich zu waschen. In einer Ecke des Wagens finden wir nämlich einen Behälter mit frischem Wasser (im Sommer sogar Eiswasscr), so daß der Reisende nie zu dürsten braucht und sich jederzeit waschen kann. Zu diesem Zweck führt Jedermann ein Handtuch mit sich. Die Mitreisenden Amerikaner sind in diesem Punkte sehr streng und wollen keinen ungewaschenen Passagier dulden. In unserm Wagen kam der Fall vor, daß ein Elsäßer, der meinte, er habe in San Franzisko noch Zeit genug zum Waschen, in aller Form gezwungen wurde, sich gründlich mit Wasser zu benetzen.
Ist die Reinigung vorüber dann wird gegessen, geraucht, geschlafen und allerhand Kurzweil getrieben, denn zu sehen gibt es auf der Reise nichts.
Bei einem kleinen Bretterhäuschen, das den hochkliugeu- deu Namen Eisenbahndepot N. N. führt, wird angehalten. Niemand sagt uns, wo wir sind, und niemand sagt uns, wie lange wir da halten. Man steigt aus, um durch einen Gang in der Sandwüste die Glieder etwas gelenk zu machen, doch will ich niemandem rathen, sich weit zu entfernen. Ohne jede Aufforderung zum Einsteigen, ja ohne den üblichen „Pfiff" der Lokomotive fährt der Zug ab, just als ob er einen Theil der Passagiere zurücklassen wollte, um es sich leichter zu machen. Oft müssen dann die Passagiere in lebensgefährlicher Hast dem Zuge Nacheilen und ich habe cs mit angesehen, daß Reisende sich dadurch erhebliche Verletzungen zugezogen haben.
Nachdem wir die Territorien Wyoming und Utah durchflogen haben, müssen wir noch den Staat Nevada in seiner ganzen Breite durchziehen, bevor wir nach Californien kommen. Nevada, der vielleicht metallreichste Staat der Erde, ist auf seiner Oberfläche ebenso öde und nackt wie das ganze ungeheure Gebiet, das wir vom Missouri ab durchzogen haben. Nur hier und da, ganz spärlich ein grünes Fleckchen, das durch künstliche Bewässerung gewonnen wurde. Sonst ist nichts da, was das Auge erfreut, denn die faulen Sümpfe und alkalihaltigen Seen, die nahe der californischcn Grenze zu sehen sind, beleben das landschaftliche Bild gewiß nicht. Da erscheinen endlich die Ausläufer der Sierra Nevada und wie mit einem Jubelschlage ändert sich der ganze Charakter der Landschaft. Ein Jubelruf ringt sich aus Jedermanns Brust, denn wir fahren in einen hohen prächtigen Fichtenwald ein, dessen balsamische Düfte wir athmen, und doppelt empfinden wir jetzt, was die entbehren müssen, die da ostwärts in der großen, großen Wüste leben müssen.
Man sagt, daß von allen Hochgebirgen der Welt keines eine größere Uebereinstimmung mit den Alpen zeige als die Sierra Nevada (das ist Schneegebirge) und soweit meine Er-