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sahrungen reichen, kann ich das auch nur bestätigen. Nur sind die Thäler der Alpen viel fruchtbarer, denn das alpinische Gestein verwittert leichter und bildet dann einen guten Ackerboden, auf dem man noch in beträchtlicher Seehöhe die schönsten Aehreu- felder wogen sieht. In den engen Thälern der Sierra Nevada dagegen findet man vorzugsweise Geröll und groben Kies, und mit Ausnahme der Fußhügel wird wohl schwerlich der Pflug hier jemals seine Furchen ziehen. Noch ist die Sierra herrlich bewaldet, allein man ist im Begriffe, mit der Abholzung in so großartigem Maßstabe vorzugehen, daß man schon den Zeitpunkt berechnen kann, wann diese Höhen nackt und kahl sein werden, wie diejenigen Nevadas. Denn von einer forstmäßigen Behandlung, von einer Nachzucht des Waldes ist überall keine Rede. Man wirthschaftet in den Wäldern wie der Bergmann in den Minen und der Farmer drunten in den Feldern darauf los, ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse kommender Generationen, nur ans die momentane rasche Ausbeute der sich darbietenden Naturschätze bedacht. Ueberall nur ein Raubbau rohester Art, der sich natürlich an Kind und Kindeskinder schwer rächen muß.
! Der Urwald der Sierra Nevada bietet in doppelter Be-
! ziehuug eine abweichende Erscheinung von dem, was man im übrigen Amerika, Californieu nicht ausgenommen, unter Urwald ^ versteht. Sofort unter der Schneelinie beginnt nämlich ein
! hoher kräftiger Baumwuchs, also ungleich der Vegetation an
derer Hochgebirge, die an der äußersten Grenze mit verkrüp- j peltem Buschwerk beginnt und je tiefer je stärkere Repräsentanten
! zeigt. Und dann hat der Urwald, von dem ich spreche, nur alte,
! fast gleich große Bäume, aber durchaus keinen Nachwuchs, wie
1 er sich in jedem ungepflegten Walde doch durch Sameufall bilden
muß und auch in jedem Urwald ein dichtes Gemisch von Bäumen jeder Größe bildet. Jmponirender wird dadurch der Wald der Sierra, auch seine Abholzung sehr erleichtert, allein wo ein Baum gefällt ist, da wächst kein anderer nach, und so ist denn z die Frage wohl berechtigt: „Was wird aus diesem herrlichen Hochgebirge werden, wenn diese schlanken Fichtenstämme alle in die Sagemühlen gewandert sind?
Einer der triftigsten Gründe für den enormen Holzverbrauch ist die Kohlenarmuth Califoruiens uud Nevadas. Da nun dieses schätzbare Material aus entfernten Ländern,
! größtentheils aus England und Australien, hierher geschafft
werden muß und deshalb hohe Preise bringt, so greift man ^ zu dem Brennstoff, der vor der Thüre wächst. Selbst die Loko-
i motiven werden bei Eintritt in das californische Gebiet mit
Holz geheizt, da es bis jetzt noch billiger wie Kohlen ist. Enorm ist außerdem der Holzverbrauch in den zahlreichen Bergwerken, und man veranschlagt den Verbrauch des benachbarten Virginia- City mit seinen weltberühmten Minen zu taufend Klafter ! täglich.
Vier Lokomotiven hat man vor den Zug gespannt, der i jetzt eine Steigung zu überwinden hat, wie sie bis jetzt wohl nur einmal auf der Erde versucht worden ist. In dieser Hinsicht hält z. B. die berühmte Semmeringbahn keinen Vergleich aus.
^ Durch dunkele Fichtenwälder hindurch ziehen uns die Loko
motiven keuchend aufwärts, und wenn wir glauben, daß wir an einem Punkte angelangt seien, wo uns ein voller Blick in die großartige Sceuerie gegönnt ist, da fahren wir ein in die Schneedächer, die im Vereine mit 13 Tunnels, 40 Meilen lang die Bahn überdecken, um sie vor-Lawinensturz zu sichern, und uns so fast jede Aussicht benehmen. Wenn man diese Schneedächer durchfährt, glaubt mau sich in einem einzigen riesigen Tunnel zu befinden, der uns nur von Strecke zu Strecke durch seine Fenster und Oeffnungen einen flüchtigen Blick in die Gebirge thun läßt, uud dadurch entsteht bei schnellem Fahren vordem Auge des Reisenden ein ganz eigenthümliches Aufschließen und Verschwinden neuer Landschaftsbilder. Nur einmal öffnen sich die Dächer zu längerem Ausblick und zwar am wildromantischen Donnersee. An steiler Felswand fahren wir vorüber und schauen hinunter in die schwindelnde Tiefe, wo die tannenbewachsenen Felswände sich in dem klaren Gewässer des herrlichen Sees widerspiegelu. Jetzt lagern Indianer da unten, die dem Fischfang obliegen und deren riesige Lagerfeuer hoch
auflodern gegen den schönen milden Abendhimmel. „Eine Idylle" — denkt wohl der Fremde, wenn er dieses „Auge" der Sierra sieht. Den Kundigen aber, den Mann, der dieses Hochgebirge selber unter unzähligen Mühen und Gefahren durchstreifte, den durchschauert es leise bei der Erinnerung an eine Tragödie, die sich an den Donnersee knüpft und — eine Wahrheit wie sie ist — von der Sage schon mit einem Kranze von Ausschmückungen umwoben wurde. Diese Tragödie ist entsetzlich; doch möge sie hier eine Stelle finden, um den Beweis zu geben, mit welchen Gefahren die ersten Pionniere dieses Landes zu kämpfen hatten.
Es war in dem Jahre, in welchem die erste Kunde vom neuentdeckten Ophir jene fieberhafte Aufregung an den Gestaden des atlantischen Ozeans hervorrief, als eine Anzahl Emigranten unter Führung von Donner, einem Deutschen, von dem später jener See seinen Namen erhielt, sich aufmachten, um in Cali- fornien Gold und Glück zu suchen. Nachdem sie sich den ganzen Sommer über auf der Wanderung in jener öden trostlosen Wildniß, die ich oben beschrieben habe, befunden hatten, erreichten sie endlich kurz vor Beginn des Winters die Pässe der Sierra. Am Donnersee überraschte sie ein Schneewetter, und sie wurden so vollständig eingeschneit, daß an eine Weiterreise nicht zu denken war. Die Zahl der Unglücklichen wird verschieden angegeben. Einige behaupten, 50 seien diesem fürchterlichen Loose verfallen gewesen, andere sagen, daß nur 16 zurück geblieben seien, da die anderen sich noch rechtzeitig in tiefer gelegene Gegenden hätten retten können. Wie dem auch sei, so viel ist gewiß, daß diejenigen, welche am Donnersee blieben, durch die fürchterlichste Noth dem Kannibalismus in die Arme getrieben wurden. Pferde, Ochsen und die Lebensmittel, die sie mit sich geführt, waren schon lange vor Ende des Winters aufgezehrt, dann begann die Wahl zwischen dem schrecklichsten Tode und dem abscheulichsten letzten Rettungsmittel. Die Liebe zum Leben siegte, und als einige der Emigranten vor Hunger und Kälte starben, da verzehrten die Ueberlebenden ihre Leichen. Ob im Verlaufe dieser düstern Katastrophe alle die Unglücklichen, deren Leiber ihren Gefährten zur Nahrung dienten, eines natürlichen Todes gestorben, oder ob sie durch die Hand der Kannibalen ihren Tod fanden, darüber hängt ein undurchdringlicher Schleier, da die Ueberlebenden niemals die Einzelheiten jener schrecklichen Tage erzählt haben.
Ein Jäger, Namens Blount, der die Unglücklichen fand und sie aus dem Thale führte, traf sie in einem schrecklichen Zustande an. Viele waren durch den Frost, verkrüppelt, manche vom Wahnsinn nmnachtet, und bei einigen hatte sich eine solche Gier nach Menschenfleisch eingestellt, daß man einen Mann an dem gebratenen Arme einer Frau nagend fand, nachdem die Retter schon mit reichlichen Lebensmitteln eingetroffen waren.
Noch mit diesen düstern Bildern beschäftigt, erreichen wir Station Summit, den höchsten Punkt der Pacisicbahn, 7042 Fuß über dem Meeresspiegel gelegen. Hier kann man auch hinanfschauen nach den 10,000 Fuß hohen Bergen, die den Paß umsäumen und mit großartigem Reize immer uud immer wieder das Auge des Reisenden fesseln. Selbst in dem trockenen Gesicht des Aankee leuchtet es auf, wenn er diese dunkelgrünen mächtigen Fichtenwälder sieht, an die sich, hart und ohne vermittelnden Uebergang weite Schneefelder und glänzende Gletscher reihen.
Und nun geht's abwärts. Ich. habe einmal in wundervoller Vollmondnacht allein auf der Plattform des Wagens gestanden, als wir hinunterjagten in die Thäler Californiens, und daß ich es nur offen gestehe, selbst mir, dem gefahrgewohnten Manne, jagte das Blut rascher durch die Adern, und in unheimlicher Aufregung wandte ich manchmal meinen Blick von den gähnenden Abgründen weg und hinauf nach den Gletschern der Hochkuppen, die vom Mondschein fahl beleuchtet, dort oben in unnahbarer Majestät thronten und mir Muth zuzurnfen schienen.
Die Lokomotiven sollten Wasser einnehmen, und alle Bremsen wurden mit Macht angezogen, allein alle Anstrengungen erwiesen sich als vergeblich, nnv rasend schoß der lange schwerbeladene Zug abwärts, so daß schließlich auch die Bremser die