Heft 
(1878) 17
Seite
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Stammesangehörigen mit Gliedern anderer Zunge, die un­bedingte Nothwendigkeit, sich gegenseitig einer Sprache zu be­dienen, die wenigstens jeder versteht, das alles muß ein Sprach- nivellement so gut herbeiführen, wie dies seiner Zeit in Frank­reich geschehen ist. Eine eigenthümliche Seite der Sache zeigt das jetzt so stark hervortretende Verlangen nach einer einheit- ! lichen deutschen Orthographie. Ist einmal eine solche wirklich ! durchgeführt, so müssen darunter die Dialekte leiden. Der ! eine Dialekt spricht z. B. in demselben Wort dent-" oder ! p"-Laut hart, den andere weich, der eine dieselbe Silbe ge- i dehnt, der andere geschärft aus. Ist aber einmal für jedes Wort die eine oder andere Aussprache offiziell und muß sie so ! namentlich in den Schulen getrieben werden, so fällt auch von selbst, freilich nur allmählich die mundartliche Abweichung weg. Das Fatale in diesem Spracheinheitsprozeß, was ihm anderer­seits auch Eintrag thut, ist nur dies, daß wir in Deutschland niemals eine solche mächtige Centralmacht in dieser Beziehung haben werden und haben können, wie es in Frankreich die Fwuckörnis I geworden ist, und wie es neben dieser in Frankreich für die, bei Gebildeten allein passirende Aussprache als solche der Ein­fluß des TIröütno t'rair<,--u8 ist. Etwas ähnliches werden wir in Deutschland nie besitzen, und, denke ich, wir wollen's auch ! nicht. Damit ist freilich immer wieder einer gewissen Uneben- heit Thür und Thor geöffnet. Wenn es für die Orthographie ! am Ende gelingen sollte, eine Einheit herzustellen, welcher ^ Typus der tausendzüngigen deutschen Aussprache soll denn ' der normale werden? Sollen wir Schwabenpreußisch" oder sächsisch" oder, was man uns immer als das non xlns nitro, anempfiehlt,hannoverisch" reden lernen? Nein, sagt man, sondern eben schriftdeutsch:so reden, wie es geschrieben steht". Ach, wer thut denn das? Da haben wir Süddeutschen, ehr­lich gestanden, immer ein wenig Angst, es möchte uns mit derschriftdeutschen" Aussprache doch faktisch ein wenigpreu­ßisch" u. dgl. aufoktroyirt werden. Wir finden z. B., daß die Herren Preußen, die zu uns kommen und bei uns Dienste nehmen, sehr selten ihrj" oder wenigstensch" stattg" aufgeben; nun sollen wir unserg" drangeben? Ist denn nichtg" schriftdeutsch da, wog" steht, undch" da, woch" steht? Das mag spaßhaft lauten, es steckt aber Ernst hinter dem Scherz. Bis auf den heutigen Tag ist eine einheitliche deutsche Sprache zwar wohl als geschriebene, nicht aber als gesprochene Sprache vorhanden. So lauge nur das erstere der Fall ist,

so lange haben die Dialekte, sowohl in dem Mund der Leute, als in der Schrift noch nicht ihren Untergang zu befürchten; je mehr aber das letztere der Fall ist und irgend wie wird es doch zu einer einheitlichen Mundart der Gebildeten kommen desto sicherer gehen sie in beiden Beziehungen ihrem Unter­gänge entgegen.

Anders ausgedrückt: mehr und mehr werden die deutschen Stammesmundartenzu todten Sprachen; sie werden vielleicht noch längere Zeit, gerade je mehr sie aus dem Munde ver­drängt werden, um so mehr sich in der Schrift behaupten. Und manchen wird es noch wohl in Jahrzehnten, schwäbisch geredet,anheimeln", wenn er wenigstens liest (wenn auch nicht mehr hört), wie man in seiner Jugend, wie man da und dort gesprochen hat. Und mancher wird es bedauern, daß so ein Schatz von Originalität, um nicht zu sagen Produktivität, ver­loren gegangen ist und immer mehr verloren geht. Nicht als ob der Volksgeist nicht auf anderem Wege den Schaden wird zu ersetzen wissen. Es sind ja schon manche Dialekte zu Grunde gegangen in diesem und jenem Volk, und sind dafür andere Spracherscheiuungen hervorgetreten. Aber eine gewisse Weh- muth kann doch der Freund der möglichst lebensvollen Mannig­faltigkeit auf dem Gebiete des Sprachlebens seines Volkes nicht unterdrücken, und vielleicht könnte inan wir reden im Ernst, obgleich wir es nicht gerade so tragisch ausehen, wie es hier lautet auf das letzte Resultat dieses Prozesses mit kleinen Aenderungeu die Worte des Philosophen desUnbewußten", E. v. Hartmann anwenden, welcher der Menschheit folgendes Horoskop ihres Endes stellt, das wir wie gesagt, nur auf das Ende dieses Sprachprozesses uns umzudeuten erlauben:auch für die deutsche Sprache kommt nach der kräftigsten Mannes- thätigkeit das Greisenalter, wo sie, zehrend von den praktischen und theoretischen Früchten der Vergangenheit, in eine Periode der reisen Beschaulichkeit eintritt, wo sie in erhabener Melan­cholie, gleichsam wie ein Verklärter, über ihrem eigenen Leibe schweben und nur noch ein Mitleiden mit sich selbst fühlen wird." Für die Sprache wäre hiermit das Versiegen der Quelle der Produktivität bezeichnet, und was damit dem Volk, das diese Sprache spricht, prophezeit wäre, liegt auf der Hand. Soweit gehen sicher unsere Befürchtungen nicht. Aber item, Schade wäre es doch, wenn auch nur auf dem Gebiete der dia­lektischen Literatur die jetzige starke Produktivität der Vorbote baldiger Unfruchtbarkeit, baldigen Ersterbens wäre.

Am Jamil'ientWe.

Bei den Rcnthierlappcn.

(Lu dem Bilde aus Seite 260.>

Ein kurzer Ausflug von Tromsö in das Trömsdal genügte, um nach mit den Lappen und ihren Renthierherden bekannt zu machen. Das Trömsdal bildet einen ungeheueren Bogen zwischen hohen Berg­reihen, der Grund ist theils felsig, theils mit Unterholz und Gestrüpp malerisch bedeckt und von den: grauen Gestein an beiden Seiten hüpften und plätscherten zahllose Büchlein herab, die alle Paar Schritte unseren Weg durchschnitten und eilend sich in die Trömsdal Elf ergossen. Wir mochten wohl eine Meile weit in dieses romantische Thal cingedrnngen sein, als plötzlich, vom leichten Windhauch getragen, ein nicht un- melodischer Schall zu unseren Ohren drang. Horch, es wiederholt sich! Gewiß ist es die Stimme eines Lappen, der seine Renthierherde an­ruft. Wir blieben stehen, blickten scharf durch das die Aussicht ver­sperrende Felsgewirr, und siehe da, sie waren es. Renthicre von allen Größen, zu zweien, zu dreien, zu Dutzenden, zu Hunderten. Ja, sie waren es, die eingeborenen Bürger der Wildnis), zu einer Masse von Leben und Bewegung vereinigt. Seht ihr auf- und uiedertanchendes Geweih, dicht gestellt wie ein Wald, seht ihr im nordischen Sonnen­licht schimmerndes Fell!

Im Augenblick war ich mitten unter ihnen und sah dann erst, daß ein lappländischer Bursche und ein Mädchen damit beschäftigt waren, sie nach dem Lager zu treiben. Der Jüngling hatte Helle, muntere, braune etwas tief liegende Augen; seine Hände waren klein. Sein Poesk (Oberkleid) bestand aus einem Pelz mit der Wolle nach innen und reichte bis an die Knie, auf dem Kopfe trug er die runde Wollene lappische Mütze mit der rothen Troddel. Diese beiden, von einigen kleinen Hunden unterstützt, trieben die Herde gemächlich vor­wärts und riefen von Zeit zu Zeit den saumseligen Thieren zu, sie zur größeren Eile mahnend, während ich ans tiefster Lunge, um meiner Freude Ausdruck zu geben, ein lautes Halloh dazwischen erschallen ließ. Die ganze Scene war äußerst lebhaft und erregend. Der Helle Son­nenschein, das muntere Grün, der Reiz des Neuen, alles traf zusammen, um den Gang durch das Trömsdal zu einem der angenehmsten zu machen.

Eigenthümlich war das Geräusch, das die Herde von sich gab. Die Geweihe der Hirsche schlugen aneinander, gar seltsam knackten und klappten die Hufe der Hunderte von Thieren und sehr auffallend war ihr Schnauben. Die Herde war eben daran, ihr Winterkleid abznwerfen und die Felle hatten daher ein etwas kahles und zerzaustes Ansehen.

Endlich näherten wir uns dem Lager der Lappen, welches ans zwei großen Gammen (Sommerhütten), einer Art Hängeboden und einem Pferch für die Renthicre bestand. In letzteren wurde die Herde getrieben und bald trat auch die ganze Gesellschaft der Lappen aus den Hütten, mit allen zum Melken nothwendigeu Geräthschaftcn versehen: langen Schlingen aus Renthierhaut und hölzernen unförmlichen Ge­fäßen zum Auffangeu der Milch.

Es mochten etwa zwanzig Lappen beisammen sein, die alle wie unser Führer gekleidet waren. Die Frauen trugen lederne Gürtel, die mit blanken messingenen Zierrathen, dem Stolz der Schönen, dicht be­setzt waren, während im einfachen Gürtel der Männer ein Messer in der Scheide steckte. Es war eine Versammlung von Zwergen, denn die Männer waren kaum fünf Fuß hoch, die Weiber um ein bedeuten­des kleiner. Doch hatten die meisten einen robusten Bau und breiten Brustkasten. Die erste Sorge dieser Nordländer war nun, die wider­spenstigen Thiere einzufangen. Dies geschieht, indem der Lappe mit sicherer Hand eine Schlinge um das Geweih des Thieres wirft, welches er sich ausgesucht hat. Zuweilen macht es dann keinen weiteren Wider­stand; oft aber läuft es mit der Wurfschlinge und dem daran hängen­den Lappen im Pferche herum und schleppt ihn eine Weile mit sich fort. Endlich steht es still und das Melken beginnt. Wie lebhaft es hierbei im Pferche zuging, ist schwer zu beschreiben. Ein jeder hatte vollauf zu thun, und sogar die kleinen schmutzigen Lappenkinder übten sich im Werfen der Schlinge. Wir bestiegen einen Bergabhang, um das Lager aus der Vogel­perspektive zu beschauen. Ein wilder Bach rauschte herab, den wir bis zur Quelle verfolgten. Hier sing der ewige Winter an und das Wasser rann zwischen gefrorenem Schnee, der es an einigen Stellen überbrückte. Als wir in die'Tiefe blickten, lagen die Gammen und der Pferch unter uns, und das ganze Dal glühte in Hellen sonnigen Farben, obgleich es