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weist sich alles als leere pomphafte Redewendung, als bloße Maske, hinter der sich der alte Dünkel birgt."
Die Schwester wollte antworten, Lewin aber fuhr fort: „Nein, nein, Renate, suche davon nichts abzudingen; ich kenne sie, so sind sie sammt und sonders, diese Rheinsberger Com- tessen, denen die französischen Bücher und Uiincs Henri die Köpfe verdreht haben. Humanitätstiraden und dahinter die alte eingeborene Natur. Es ist mit ihnen, wenn Du das prätentiöse Bild verzeihen willst, wie mit den Palimpsesten in unseren Bibliotheken, alte Pergamente, darauf ursprünglich heidnische Verse standen, bis die frommen Mönche ihre Sprüche darüber schrieben. Aber die Liebesseufzer an Chloe und Lalage kommen immer wieder zum Vorschein. Rund heraus, das Vor- nrtheilsvolle lasseich gelten; nur das Unwahre verdrießt mich."
„Daß ich Dir's nur bekenne," nahm jetzt Renate das Wort, „ich hatte ein Gespräch mit der Tante über eben diesen Gegenstand. Sie hat sich zu dem Widerspruchsvollen, das in ihrer Haltung liegt, bekannt, und dies Bekenntniß, das sie sehr liebenswürdig gab, wird Dich schließlich auch entwaffnen müssen. Ich müßte Dich nicht kennen."
Lewin lächelte. „Wo war es, hier oder in Guse drüben?"
„Hier. Es war bei Gelegenheit derselben Begegnung, von der Du aus meinem Briefe weißt; nur über das Gespräch, das folgte, ging ich kurz hinweg. Wir waren zu dritt, Papa, die Tante und ich. Unsere gute Schorlemmer fehlte wie gewöhnlich; die „beiden Tanten", wie Du weißt, stimmen nicht gut zusammen. Marie trat ein und stutzte einen Augenblick. Sie ist zu klug, als daß sie nicht lange schon empfunden hätte, wie die Tante zu ihr steht. Rasch faßte sie sich aber, verneigte sich, richtete des Pastors Auftrag an mich aus und entfernte sich wieder unter einer freimüthigen Entschuldigung, unser Beisammensein gestört zu haben."
„Und die Tante?"
„Sie schwieg, wiewohl ihre scharfen Augen jede Bewegung gemustert hatten. Erst als Papa fort war, sagte sie, ohne daß ich es gewagt hätte eine Frage an sie zu richten: „Die Kleine ist elmrnmnte, eine psuutv aus dem Märchen, welche Wimpern!" — „Wir lieben sie sehr," wagte ich schüchtern zu bemerken, worauf die Tante nicht ohne Herzlichkeit, zugleich in ihrem allerfranzösischsten Stil, den ich Dir erspare, fortfuhr: „Ich weiß, ich weiß, und jetzt, wo ich sie gesehen habe, begreife ich, was ich bisher für eine Laune hielt. Bei Lewin hielt ich es für mehr. Kann sein, daß ich mich irre," setzte sie hinzu, als sie bemerkte, daß ich den Kopf schüttelte. Eine kurze Pause folgte, in der die Tabatwre ein paarmal auf und zugemacht wurde; dann sagte sie lebhaft: „Ich habe mir's diese Minuten überlegt, ob ich euch anffordern sollte, die Kleine mit nach Guse hinüber zu bringen; es fehlt uns dergleichen, und so sehr ich alte Damen hasse, so sehr liebe ich junges Volk. Aber Renate, nm cllörs, es geht nicht. Ich nehme wahr, daß gewisse Vorstellungen und Geschmacksrichtungen in mir stärker sind als meine Grundsätze. Es bestätigt sich: On renonoe plu8 uiseinsill ü 868 priiuchmb, gn'ü 80N A0üt. Wohl entsinne ich mich des Tages, wo uns Urinoe Usnri durch ein ähnliches Geständniß überraschte. Der Prinz und der Philosoph lagen immer in Fehde. Nun sieh, dieses Kind hat einen Zauber; aber ich fühle doch, daß wenn sie selbst im längsten Kleide käme, ich mich des Gedankens nicht erwehren könnte, jetzt verkürzt sich die Robe und sie beginnt den Shawltanz zu tanzen. Ich will dem Kinde durch solche Gedanken nicht wehe thun, ich denke also, wir lassen's beim Alten."
Lewin, der aufmerksam gefolgt war, seufzte und gab dann dem Gespräch eine andere Wendung.
XVI. Schloß Guse.
Der Lauf unserer Erzählung führt uns während der nächsten Kapitel von Hohen-Vietz und dem östlichen Theile des Oderbruchs an den westlichen Höhenzug desselben, zu dessen Füßen, heute wie damals, die historischen Dörfer dieser Gegenden gelegen sind, altadelige Güter, deren meist wendische Namen sich schon in unseren ältesten Urkunden finden. Hier saßen, um Wrietzen und Freienwalde herum, die Sparrs und
Uchtenhagens, von denen noch jetzt die Lieder und Sagen erzählen, hier hatten zur Reformations- und Schwedenzeit die Barfus, die Psuehls, die Ihlows ihre Sitze, und hier lebten in den Tagen, die dem siebenjährigen Kriege unmittelbar folgten, die Lestwitz und Prittwitz freundnachbarlich bei einander, Pritt- witz, der bei Kunersdorf den König, Lestwitz, der bei Torgau das Vaterland gerettet hatte. Oder wie es damals in einem Kurrentausdruck des wenigstens sprachlich französirten Hofes
hieß: „UrUtwit^ u 8UNV6 lö rot, 4,68tvvit2 a 8UNV6 I'ötut".
Alle diese Güter begannen bald nach der Trockenlegung des Oderbruchs, also etwa dreißig Jahre vor Beginn unserer Erzählung, zu ihren sonstigen Vorzügen auch noch den landschaftlicher Schönheit zu gesellen. Wer hier um die Pfingst- zeit seines Weges kam, wenn die Rapsfelder in Blüte standen und ihr Gold und ihren Duft über das Bruchland ausstreuten, der mußte sich, weit aus der Mark fort, in ferne beglücktere Reichthumländer versetzt fühlen. Die Triebkraft des jungfräulichen Bodens berührte hier das Herz mit einer dankgestimmten Freude, wie sie die Patriarchen empfinden mochten, wenn sie, inmitten menschenleerer Gegenden, den gottgeschenkten Segen ihres Hauses und ihrer Herden zählten. Denn mir da, wo die Hand des Menschen in harter, nie rastender Arbeit der ärmlichen Scholle ein paar ärmliche Halme abgewinnt, kann die Vorstellung Platz greifen, daß er es sei, der diesen armen Segen geschaffen habe; wo aber die Erde hundertfältige Frucht treibt und aus jedem eingestreuten Korn einen Reichthum schafft, da fühlt sich das Menschenherz der Gnade Gottes unmittelbar gegenüber und begibt sich aller Selbstgenügsamkeit.
Es war an diesem westlichen Höhenrande des Bruches, daß der große König, über die goldenen Felder hinblickend, die Worte sprach: „Hier habe ich in Frieden eine Provinz gewonnen."
Ein Bild, das diesen Ausruf gerechtfertigt hätte, bot die Niederung am dritten Weihnachtstage 1812 freilich nicht. Alles lag begraben im Schnee. Aber auch heute noch war ein Blick von der das Bruch beherrschenden „Seelower Höhe" aus nicht ohne Reiz; über den zahlreichen ausgebauten Höfen und Weilern zog ein Rauch, die Stelle menschlicher Wohnstätten verkündend, während auf Meilen hin die nur halbverschneiten Kirchthürme der größeren Dörfer im Hellen Sonnenschein blitzten.
Einer dieser Kirchthürme, der nächste, zeigte sich in kaum Büchsenschußentfernung von der ebengenannten Höhe, und eine Allee alter Eichen, deren braunes Laub, wo der Wind den Schnee abgeschüttelt hatte, klar zu erkennen war, lief in gerader Richtung auf die Kirche zu. Neben dieser, weit über den Wetterhahn der Thurmspritze hinaus, erhoben sich mächtige, zum Theil fremdartig aussehende Bäume, allem Anscheine nach einem großen Parke zugehörig, der von links her das Dorf umfaßte.
Dieses Dorf war Guse.
Wie sein Name bekundet, wendischen Ursprungs, führten es doch erst begleitende Vorgänge des dreißigjährigen Krieges, um welche Zeit die Schaplows hier ansässig waren, in unsere Landesgeschichte ein. 1646 vermählte sich Georg von Derff- linger, damals noch General in schwedischen Diensten, mit Margarethe Tugendreich von Schaplow und übernahm das Gut. ^ Nicht als Frauenerbe, sondern gegen Kauf; die verschuldeten ! Minorennen konnten es nicht halten.
Als dann sein Sohn Friedrich im Jahre 1724 starb, ging das Gut durch verschiedene Hände, bis es in den Besitz des Grafen von Pudagla kam. Die Wittwe dieses Grafen war Tante Amelie.
TanteAmelie war die ältere Schwester Berndts von Vitzewitz.
Um die Mitte des Jahrhunderts, also zu einer Zeit geboren, wo der Einfluß des fridericianischen Hofes sich bereits in den Adelskreisen geltend zu machen begann, empfing sie eine französische Erziehung, und konnte lange Passagen der Henriade auswendig, ehe sie wußte, daß eine Messiade überhaupt existire. Uebrigens würde schon der Name ihres Verfassers sie an der Kenntnißnahme des Inhalts gehindert haben. s
Sie war ein sehr schönes Kind, früh reif, der Schrecken aller nachbarlichen, in Wichtigkeit und Unbildung aufgebauschten !