Heft 
(1878) 21
Seite
330
Einzelbild herunterladen

330

tigte, und ein vorzüglicher Chablis, der gereicht wurde, kam ihr zu Hilfe, während von Medewitz, ohne Furcht dem Streite dadurch neue Nahrung zu geben, die Namen Narbonne und Desaix noch einmal in die Debatte zog.Es sind doch Männer von Familie, der eine wie der andere," so hob er an,aber mit wie sonderbaren Leuten hat Seine Majestät vom ersten Tage seiner Regierung an zu Tische sitzen müssen! Mit einem war ich im Weißen Saale selbst zusammen, mit dem Abbö Sieyös. Ich erschrak, als ich seinen Namen hörte. 1793 sprach er einem Könige von Frankreich das Leben ab, und 1798 saß er einem Könige von Preußen als Ambassadeur gegenüber. Er trug eine trikolore Schärpe; ich sah nur das Roth darin, und so oft er sagte:Votro Ug^ostö", war es mir immer, als hörte ich:ln mort 8NN3 xlirass".

Ich habe ihn auch gesehen," bemerkte Krach, mit Wich­tigkeit an seinem Halstuch zupfend.Medewitz will ihn nicht gelten lassen, aber er war doch wenigstens ein Abbs. Auch gehört etwas dazu, einem Könige von Frankreich das Leben abzusprechen. Doch diese Marschälle! Gastwirths- und Böttcher­söhne."

Je nun," fiel Drosselstein ein,Böttchersöhne oder nicht, sie haben von halb Europa so viele Reifen abgeschlagen, daß die Dauben nach rechts und links hin- und auseinandergefallen sind. Ich liebe diese Marschälle nicht, an denen die Korporals- litzen immer wieder zum Vorschein kommen, aber eines sind sie: Soldaten."

Das sind sie," rief jetzt Bamme, sein Ragout en Coquille schärfer in Angriff nehmend,und wer nur je einen Halbzug ins Feuer geführt hat, der hat Respekt vor ihnen, Schelme und Beutelschneider wie sie sind."

Wie sie sind," wiederholte der Domherr, eingedenk jener schweren Tage, in denen er seine Dosensammlung nur mit Mühe vor den Händen Soults gerettet hatte.

Trotzdem," fuhr Bamme fort,an dem Tage, wo mir meine Quirlsdorfer den ersten Marschall todt oder lebendig einbringen, leg' ich dem Pfarracker zehn Morgen zu, obschon ich Seine Hochwürden nicht leiden kann."

Aber, Bamme, was haben Sie beständig mit Ihrem Geist­lichen?" bemerkte Krach, der mit seinem eigenen Prediger auf einem guten Fuße stand, seitdem ihm dieser einen Streifen Gartenland ohne Entschädigung abgetreten hatte.

Er ist mir noch nicht gefällig gewesen," antwortete Bamme scharf.Diese Päffchenträger sind malitiöse Kerle, und je grauer sie aussehen, desto mehr. Der meinige ist ein Anspielungs­pastor."

Das klingt, als ob Sie die Kirche besuchten, Bamme," schaltete die Gräfin ein.Ich wette, Sie haben seit zehn Jahren keine Predigt gehört."

Nein, gnädigste Gräfin. Aber ich habe ein tonäro für Begräbnisse. Jeder hat so seine Andacht, ich habe die meinige, und es ärgert mich, durch allerhand plumpes Zeug darin ge­stört zu werden. Mit dem Jüngling zu Nain oder dem be­kannten weiblichen Pendant desselben fängt er an, aber ehe fünf Minuten um sind, ist er bei Babel, bei Sodom und ähn­lichen schlecht renommirten Plätzen, starrt mich an, läßt etwas Schwefel vom Himmel fallen und sagt dann mit erhobener Stimme:Selig sind, die reines Herzens sind, denn sie werden Gott schauen." Und das alles an meine Adresse. So hat er es fünf Jahre getrieben. Aber seit letzte Ostern habe ich Ruhe."

Nun?" fragte die Gräfin.

Wir hatten wieder ein Begräbniß, eine hübsche junge Dirne; es war also Ja'iri Töchterlein an der Reihe. Aber ihre Herrschaft wahrte nicht lange; schon auf halbem Wege war xastor looi wieder bei Lot und seinen Töchtern, und sah mich an, als wäre ich mit in der Höhle gewesen. Ich dachte, nun muß Rath werden. Und so lud ich ihn aufs Schloß, nicht zu einer Auseinandersetzung, sondern einfach zu Tisch. Als wir ber der zweiten Flasche waren trinken kann er sagte ich:Und nun, Pastorchen, einen Toast von Herzen; stoßen wir an: es lebe Lot! Ein guter Kerl. Schade mit den beiden Töchtern. Und die Mutter kaum in Salz. Apropos, wie hieß doch der Sohn der ältesten Tochter?" Nun denken Sie sich meinen

Triumph, er wußte es nicht. Vielleicht war er blos verwirrt. Ich aber, mich an seiner Verlegenheit weidend, schrie ihm ins Ohr:Bamme." Wir haben seitdem schon drei Leichen gehabt, aber er verhält sich ruhig."

Die Gräfin fand mit Rücksicht aus Renate, daß es Zeit sei, die Tafel aufzuheben. Sie erhob sich, und dem Grafen ihren Arm reichend, bat sie die sich mit erhebenden Gäste, ihre Plätze behalten und sich die bevorzugte Stunde des Desserts um keine Minute verkürzen zu wollen. Renate folgte mit Krach. Am Eingänge des Salons verneigten sich beide Da­men gegen ihre Kavaliere, die der dadurch angedeuteten Wei­sung folgend, an die Tafelrunde zurückkehrten.

XX. Nach Tisch.

Der Kaffee wurde im Spiegelzimmer genominen. Als auch die Herren hier erschienen, um die nächste halbe Stunde wieder in Gesellschaft der Damen zu verplaudern, fanden sie die Scene anders, als sie erwarten durften. Renate, von einem leichten Unwohlsein befallen, hatte sich zurückgezogen; statt ihrer kam ihnen Berndt von Vitzewitz entgegen, der eben von Berlin her eingetroffen, die Aufforderung seiner Schwester der Gräfin, an dem Schlußakte des Diners theilzunehmen, lächelnd abgelehnt hatte. Er war alt genug, um das Mißliche solchen verspäteten Eintretens aus Erfahrung zu kennen.

Lewin begrüßte den Vater. Auch die anderen Gäste gaben ihrer Freude Ausdruck, am lebhaftesten Bamme, der ohne jede Spur von Kleinlichkeit, seine Schätzung anderer nicht davon abhängig machte, wie hoch oder niedrig er seinerseits taxirt wurde. Nur auf das, was er seinegesellschaftlichen Gaben" nannte, war er eitel. Und nach dieser Seite hin, wenn auch mit Einschränkungen, ließ ihn Berndt von Vitzewitz gelten.

Das Spiegelzimmer in seinem zurückgelegenen Theile wurde von drei rechtwinkelig zu einander stehenden Estraden ein­genommen, die, mit Blumen und Topfgewächsen dicht besetzt, einen hufeisenförmigen Separatraum bildeten, der sich in den Trn- meaux der gegenüber gelegenen Fensterpfeiler spiegelte. Inner­halb dieses Raumes um einen länglichen, auf vier Säulen ruhenden Marmortisch, der fast die Form eines Altars hatte, nahmen die Gäste Platz und waren, während die kleinen Tassen präsentirt wurden, alsbald in einem Gespräch, das an Leb­haftigkeit die kaum beendigte Tischunterhaltung noch übertreffen zu wollen schien. Berndt hatte das Wort, alles war begierig von ihm zu hören, er hatte den Minister gesprochen.

Schlagen wir los?" fragte Bamme.

Wir? Vielleicht. Oder wenn ich zu entscheiden habe: gewiß! Aber die Herren im hohen Rathe? Nein. Am wenigsten der Minister. Er treibt Diplomatie, nicht Politik. Unfähig feste Entschlüsse zu fassen, sucht er das Heil in Halbheiten. Er spricht vonNegociationen", ein Lieblingswort, das ihm noch ans alten Zeiten her auf den Lippen sitzt. Wir haben nichts von ihm zu erwarten. Er läßt uns im Stich."

Ich glaubte Dich anders verstanden zu haben," bemerkte die Gräfin.Er sei Dir entgegen gekommen."

Entgegen gekommen! Ja persönlich, und so lange es sich um Worte handelte. Unter vier Augen schlägt er jede Schlacht. In der Idee sind wir einig: der Kaiser muß gestürzt, Preußen wieder hergestellt werden. Aber wie? Da werden die Herzen offenbar. Er will es auf dem Papier ausfechten, nicht mit der Waffe in der Hand, am grünen Tisch, nicht auf grüner Haide. Er hat keine Ahnung davon, daß nur ein rücksichts­loser Kampf uns retten kann. Rücksichtslos und ohne Be­sinnen. Noch haben wir das Spiel in der Hand; aber wie lange noch! Es fehlt ihm das Erkennen der Wichtigkeit dieser Tage. Jede Stunde, die unbenutzt vorüber geht, schreit gen Himmel und klagt ihn an als einen Schädiger und Verräther. Nicht aus bösem Willen, aber aus Schwäche.

Und schilderten Sie ihm die Stimmung des Landes?" fragte Drosselstein.

Gewiß, und mit einer Dringlichkeit, die jeden anderen fortgerissen hätte. Aber er! Als ich ihm unsere Gedanken eines Volksaufstandes entwickelte, als ich ihn beschwor das Wort zu sprechen, erschrak er und suchte sein Erschrecken hinter einem