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Lächeln zu verbergen. Rüsten wir!" rief ich ihm zn. „Das gefiel ihm. Ich hatte jetzt selber das Wort gesprochen, durch das er mich in geschickter Ausnutzung, worin er Meister ist, zn beschwichtigen hoffte. Er trat mir näher und sagte mit geheimnisvoller Miene meine Worte wiederholend: „Vitzewitz, wir rüsten." Aber auch dieses Nichts war ihm schon wieder zu viel. „Wir rüsten," fuhr er fort, „ohne höchst wahrscheinlich dieser Rüstungen zu bedürfen, Napoleon ist herunter, er muß Frieden machen und wir werden ohne Blutvergießen zu unserem Zwecke kommen. Englands und Rußlands sind wir sicher."
Ich war starr. Wir trennten uns in gutem Vernehnien,
scheinbar selbst in Einverständniß, während doch jeder die Kluft empfand, die sich zwischen unseren Anschauungen aufgethan hatte. Als ich die Treppe Hinabstieg, sagte ich mir: „also noch nicht belehrt! Die Zeit noch nicht begriffen! Napoleon noch nicht kennen gelernt!"
Drosselstein, Bamme, Krach, den Unninth Berndts th eilend, schüttelten den Kopf; Medewitz aber, der seiner Unbedeutendheit gern ein Loyalitätsmäntelchen nmhing, glaubte jetzt den Moment zur Geltendmachung seiner ministeriellen Rechtgläubigkeit gekommen.
„Ich kann Ihre Entrüstung nicht theilen, Vitzewitz, Ihre Hitze reißt Sie fort. Die Kuriere und Stafetten, die beinahe stündlich aus allen Hauptstädten Europas eintreffen, — wissen wir, was sie bringen? Nein. Sie, wie wir alle, sehen die Dinge von einem Standpunkt mittlerer Erkenntniß aus. Der Minister aber hat jenen Ueberblick über die Gesammtverhält- nisse, der uns fehlt. Er ist gut unterrichtet, ein Netz unserer Agenten umspannt Paris, der Kaiser ist auf Schritt und Tritt beobachtet. Wenn Seine Excellenz ausspricht: „Er ist herunter, er muß Frieden machen," so finde ich keine Veranlassung, dem zn widersprechen. Er ist Minister. Er muß es wissen, und verzeihen Sie, Vitzewitz, er weiß es auch."
Berndt lachte. „Es ist mit dem Wissen, wie mit dem Sehen. Ein jeder sieht, was er zu sehen wünscht, darin sind wir alle gleich, Minister oder nicht. Seine Excellenz wünscht den Frieden und so erfindet er sich einen friedensbedürftigen Kaiser. Das „Netz seiner Agenten" ist ihm dabei mit entsprechenden Berichten gefällig; Creaturen widersprechen nicht. Ein heruntergekommener Napoleon! O heilige Einfalt! Er ist rühriger denn je, und keck und herausfordernd wie immer. An den österreichischen Gesandten trat er während des letzten Empfanges heran. „Es war ein Fehler von mir, dies Preußen fortbestehen zu lassen," so warf er hin, und als der Angeredete, den diese Worte verwirren mochten, vor sich hinstotterte: „Sire, ein Thron .. . ." unterbrach er ihn mit einem „ah bah", und setzte übermüthig hinzu: „was ist ein Thron? Ein Holzgerüst mit Sammet beschlagen."
Bamme lächelte; die Gräfin bemerkte ruhig: „Darin hat er nun eigentlich Recht, il tllvd sn eonvsillr. Wir machen zuviel von solchen äußerlichen Dingen und sehen Erhabenheiten, Ivo sie nicht sind. Wer so viele Throne zusammengeschlagen hat, kann nicht hoch von ihnen denken; pa so dosnMrmid. Ich liebe ihn nicht, aber in einem hat er meine Sympathien, 11 atkronto IMS xroMAos. Er fährt durch unsere Vorurtheile wie durch Spinneweb hindurch."
„Das thut er," erwiderte Berndt, „und es ist nicht seine schlimmste Seite. Aber von Dir, Schwester, eine Zustimmung dazu zu hören, überrascht mich. Denn wem verdanken wir diesen Fetischdienst, in dem auch wir drin stecken, diese tägliche Versündigung gegen das erste Gebot: „Du sollst nicht andere Götter haben neben mir", wem anders als Deinen gefeierten Franzosen, vor allem jenem aufgesteiften Halbgott, dem auch Du die Schleppe trägst: Ucmis gnatono."
„Ls wsst pas pa, Berndt," sagte die Gräfin mit einen: Anfluge von Heiterkeit, dem sich abfühlen ließ, wie erfreut sie war, einen Jrrthum berichtigen zu können. „Es ist das Gegen- theil von dem allen. Ich hasse diese Doktrinen; st es llonls mSms, 66 illsst PN8 MM Idols. LaebsL dlsir, ich liebe die französische Nation, aber ihren Zrand inonargris liebe ich nicht, weil er seine Nation in feinem pomphaften Gebühren ver- läugnet. Denn das Wesen des Französischen ist Scherz, Laune,
Leichtigkeit. In diesem Ludwig aber spukt von mütterlicher Seite her etwas schwerfällig Habsburgisches beständig mit. Er hat immer mit fremdem Pfluge geackert. So war keine Spur von einem Feldherrn in ihm und doch sind Dichter und Maler nicht müde geworden, seinen kriegerischen Ruhm zu verkünden."
„Ich glaube gehört zu haben," bemerkte Berndt, „daß er eines gewissen militärischen Talentes, wie es hohe Lebensstellungen sehr oft ausbilden, nicht entbehrte."
„Graf Tauentzien war der entgegengesetzten Meinung. Und ich darf annehmen, daß seine Meinung übereinstimmend mit dem Urtheil des Prinzen war."
„Das Urtheil des Königs würde mir kompetenter sein."
Die Gräfin schwieg piquirt, aber nach kurzer Weile fuhr sie fort: „Du weißt, Berndt, daß der König selber aussprach: „Io xrinos 6st Io ssul Mi n'ait samais lütt ds tarckss." Es scheint mir darin zugestanden, daß er in der Theorie des Krieges, in allem was Wissen und Urtheil angeht, der bedeutendere war."
Berndt zuckte. „Wer die Praxis hat, hat auch die Theorie. Was entscheidet, sind die Blitze des Genies."
„Aber das Genie hat mannigfache Formen der Erscheinung. Der Prinz würde bei Hochkirch nicht überrascht worden sein."
„Und bei Leutchen nicht gesiegt haben. Du überschätzest den Prinzen."
„Du unterschätzest ihn."
„Nein, Schwester, ich weise ihm nur die Stelle an, die ihm zukommt: die zweite. Zu allen Zeiten ist die Neigung dagewesen, in solchen Personalsragen die Weltgeschichte zu korri- giren. Aber Gott sei Dank, es ist nie geglückt. Das Volk, allem Besserwissen der Eingeweihten, allem Spintisiren der Gelehrten zum Trotz, hält an seinen Größen fest."
„Aber es sollte ds tsmxs ä. tsrnxs diese Größen richtiger erkennen."
„Gerade hierin erweist es sich als untrüglich, wenigstens das unsere, das in seiner Nüchternheit vor Ueberrumpelungen gesichert ist. Es zweifelt lange und sträubt sich noch länger. Aber zuletzt weiß es, wo seine Liebe und seine Bewunderung hingehört. Ich habe dies in den letzten Jahren des großen Königs, wenn Dienst oder Festlichkeiten mich nach Berlin riefen, mehr als einmal beobachten können."
„Ich meinerseits habe von entgegengesetzten Stimmungen gehört, und mir sind Drohreden des „untrüglichen Volkes" hinterbracht worden, die sich hier nicht wiederholen lassen."
„Es wird auch an solchen nicht gefehlt haben. Ein gerechter König, während er sich Tausende zu Dank verpflichtet, wird von Hunderten verklagt. Aber was er den Tausenden war, das ließ sich erkennen, wenn er von der großen Revue kommend, seiner Schwester, der alten Prinzeß Amalie, die er oft das ganze Jahr über nicht sah, seinen regelmäßigen Herbstbesuch machte."
Nutze, der sich solcher Besuche erinnern mochte, nickte zustimmend mit dem Kopf; Berndt aber fuhr fort: „Ich seh' ihn vor mir wie heut, er trug einen dreieckigen Montirungshut, die weiße Generalsfeder war zerrissen und schmutzig, der Rock alt und bestaubt, die Weste voll Tabak, die schwarzen Sammethosen abgetragen und roth verschossen. Hinter ihm Generale und Adjutanten. So ritt er auf seinem Schimmel, dem Conds, durch das Hallesche Thor, über das Rondel, in die Wilhelmsstraße ein, die gedrückt voller Menschen stand, alle Häupter entblößt, überall das tiefste Schweigen. Er grüßte fortwährend, vom Thor bis zur Kochstraße wohl zweihundert Mal. Dann bog er in den Hof des Palais ein und wurde von der alten Prinzessin an den Stufen der Bortreppe empfangen. Er begrüßte sie, bot ihr den Arm, und die großen Flügelthüren schlossen sich wieder. Alles wie eine Erscheinung. Nur die Menge stand noch entblößten Hauptes da, die Augen auf das Portal gerichtet. Und doch war nichts geschehen: keine Pracht, keine Kanonenschüsse, kein Trommeln und Pfeifen; nur ein dreiundsiebzigjähriger Mann, schlecht gekleidet, staubbedeckt, kehrte von seinem mühsamen Tagewerk zurück. Aber jeder wußte, daß dieses Tagewerk feit 45 Jahren keinen Tag versäumt worden war, und Ehrfurcht, Bewunderung, Stolz, Vertrauen