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regte sich in jedes einzelnen Brust, sobald sie dieses Mannes der Pflicht und der Arbeit ansichtig wurden. Lbäro Amelie, auch Dein Rheinsberger Prinz ist eingezogen. Hast Du je Bilder wie diese vor Augen gehabt oder auch nur von ihnen gehört?"
Die Gräfin wollte antworten, aber der eintretende Jäger meldete, daß die Schlitten vorgesahren seien. So wurde das Gespräch unterbrochen. Es erfolgte nur noch eine Einladung auf Sylvester, bis zu welchem Tage Baron Pehlemann hoffentlich von seinem Anfall wieder hergestellt, Dr. Faulstich aber seiner Ziebinger Umgarnung entzogen sein werde. Eine Viertelstunde später flogen die Schlitten auf verschiedenen Wegen ins Oderbruch hinein. Berndt, behufs Erledigung von Kreis- und anderen Amtsgeschäften, begleitete Drosselstein nach Hohen- Ziesar. Den weitesten Weg hatten Lewin und Renate, quer durch das Bruch hindurch. Als sie vor dem Hohen-Vietzer Herrenhause hielten, berichtete Jeetze mit einem Anflug von Vertraulichkeit, daß die „jungen Berliner Herrschaften" vor einer Stunde angekommen, aber ermüdet von der Reise schon zur Ruhe gegangen seien.
„Also aus morgen!" Damit trennten sich die Geschwister.
XXI. Kirch-Göritz.
Der andere Morgen sah die beiden Geschwisterpaare beim Frühstück versammelt. Nach herzlicher Begrüßung und sich überstürzenden Fragen, die theils der Christbescheerung in: Ladalinskischen Hanse, theils der gestrigen Röunion in Schloß Guse galten, wurden die Dispositionen für den Tag getroffen. Kathinka und Renate wollten auf der Pfarre vorsprechen, daun Marie zu einer Plauderstunde abholen, während die beiden jungen MänM einen Besuch in Kirch-Göritz verabredeten. Die Anregung dazu ging von Tnbal aus, der in der Jenaer Literaturzeitung einen mit dem vollen Namen Dr. Faulstichs Unterzeichneten „Aufsatz-Arten und Unarten der Romantik" gelesen und sofort den Entschluß gefaßt hatte, bei seiner nächsten Anwesenheit in Hohen-Vietz den Doktor aufzusuchen.
Nachdem die beiden Freunde das Zimmer verlassen hatten, um sich für ihren Ausflug zu rüsten, standen auch die jungen Damen auf, und Renate begann die Brotreste zu verkrümeln, mit denen sie jeden Morgen ihre Tauben zu füttern pflegte. Kathinka, in einem enganschließenden polnischen Ueberrock von dunkelgrüner Farbe, der erst jetzt, wo sie sich erhoben hatte, die volle Schönheit ihrer Figur zeigte, war ihr dabei behilflich. Alles, was Lewin für sie empfand, war nur zu begreiflich. Ein Anflug von Coqnetterie, gepaart mit jener leichten Sicherheit der Bewegung, wie sie das Bewußtsein der Ueberlegenheit gibt, machten sie für jeden gefährlich, doppelt für den, der noch in Jugend und Unersahrenheit stand. Sie war um einen halben Kopf größer als Renate; ihre besondere Schönheit aber, ein Erbtheil von der Mutter her, bildete das kastanienbraune Haar, das sie, der jeweiligen Mode Trotz bietend, in der Regel leicht ausgenommen in einem Goldnetz trug. Ihrem Haar entsprach der Teint und beiden das Auge, das hellblau wie es war, doch zugleich wie Feuer leuchtete.
„Sieh," sagte Renate, während sie mit einer Schale voll Krumen auf das Fenster zuschritt, „sie melden sich schon." Und in der That hatte sich draußen auf das verschneite Fensterbrett eine atlasgraue Taube niedergelassen und pickte an die Scheiben. „Das ist mein Liebling," setzte sie hinzu und drehte die Riegel, um die Krumen hinauszustreuen. Kathinka war ihr gefolgt. In dem Augenblick, wo das Fenster sich öffnete, huschte die schöne Taube hinein, setzte sich aber nicht auf Renatens, sondern aus Kathinkas Schulter und begann unter Gurren und zierlichem Sichdrehen ihren Kopf an Kathinkas Wange zu legen.
„Untreuer Verzug," rief Renate, und in ihren Worten klang etwas wie wirkliche Verstimmung.
„Laß," sagte Kathinka. „Das ist die Welt. Untreue überall; auch bei den Tauben."
In diesem Momente traten die beiden Freunde wieder ein, um sich bei den jungen Damen bis auf Spätnachmittag zu empfehlen. Sie trugen Jagdröcke, Pelzkappen, hohe Stiefel, dazu die Flinten über die Schulter gehängt. „Nehmen wir einen Hund mit?" fragte Tubal.
„Nein. Tiras lahmt und Hektar scheucht alles auf und bringt nichts zu Schuß. Das beste Thier und der schlechteste Hund." So brachen sie auf.
Kirch-Göritz liegt an der andern Seite der Oder, südöstlich von Hohen-Vietz. Es standen zwei Wege zur Wahl, und die beiden Freunde beschlossen auf dem Hinmärsche den einen, aus dem Rückmärsche den andern einzuschlagen. Sie passirten zuerst das Dorf, daun den Forstacker. Als sie bei Hoppen- mariekens Häuschen vorüberkamen, das stumm und verschlossen dalag, standen sie neugierig still und lugten hinein. Sie sahen aber nichts. Dann schlugen sie einen Fußsteig ein, der diesseitig in halber Höhe des Oderhügels hinlief. Dann und wann flog eine Schackelster auf; nichts was einen Schuß verlohnt hätte.
Sie sprachen von Fanlstich, und Tubal skizzirte den Artikel aus der Jenaer Literaturzeitung, den Lewin nicht gelesen hatte.
„Ich fürchte fast," sagte dieser, „daß der Verfasser hinter dem ! Eindruck, den seine Arbeit auf Dich machte, Zurückbleiben wird. ! Er ist ein kluger und interessanter Mann, aber doch schließlich von ziemlich zweifelhaftem Gepräge."
„Desto besser. Ich bin, wie Du übrigens wissen könntest, ^ unserer Tante Anwlie gerade verwandt genug, um alles, was ! einen „Stich" hat, zum Theil um dieses Stiches willen zu be- ! Vorzügen. Und Faulstich wird keine Ausnahme machen. Er ist i mir schon interessant dadurch, daß er in Kirch-Göritz lebt, ein ! Mann, der sich au die sublimsten Fragen wagt! Welche Schick- i salswelle hat ihn an diesen Strand geworfen?"
„Wir wissen wenig von ihm, und das wenige bedarf wahrscheinlich auch noch der Korrektur. Er ist ein Altmärker, wenn ich nicht irre, aus der Gardelcgener Gegend, wo sein Vater Prediger war, ein strenggläubiger, was dem Sohne von Jugend auf widerstand. Nichtsdestoweniger ging er, dem Willen des Vaters nachgebend, nach Halle und begann theologische Studien. Er kam aber, durch literarische Liebhabereien abgezogen, nicht recht vorwärts. Eine Art ästhetische Fcin- schmeckerei war schon damals seine Sache. Er lernte den um mehrere Jahre jüngeren Ludwig Tieck kennen, spielte den Beschützer, zugleich das oberste kritische Tribunal, und diese Be- ! kanntschast, so kurz und oberflächlich sie war, war es doch, . was ihn schließlich nach allerhand Zwischenfällen, nach Kirch- ! Göritz führte." j
„Und diese Zwischenfälle laß mich hören." ;
„Gewiß; denn sie sind charakteristisch für den Mann. Es kam endlich zum völligen Bruch zwischen Vater und Sohn, und schon erwog dieser, ob er sich nicht einer herumziehenden >
Schauspielergesellschaft anschließeu solle, als er sich durch in !
Berlin angeknüpfte Verbindungen in den Kreis der Rietz- ^
Lichtenau gezogen sah. Dieser Kreis, wie Du von Deinen: !
Papa oft gehört haben wirst, war besser als sein Ruf. Die ^
Rietz, zu manchem anderen, das sie besaß, hatte gute Laune, j
scharfen Verstand und ein natürliches Gefühl für die Künste. !
Sie paßte für ihre Rolle. Es war eben allerlei Verwandtes !
zwischen ihr und Faulstich, der sich bald unentbehrlich zu j
machen wußte. Er stellte Bilder, erfand Bonmots fürstlicher l
Personen, sorgte für Klatsch und Anekdoten und machte die Festgedichte. All dies hatte natürlich ein Ende, als die Seifenblase der Lichtenanschen Größe zerplatzte, und Fanlstich, wie vier Jahre früher in Halle, sah sich zun: zweiten Male den bittersten Verlegenheiten gegenüber."
„. . . aus denen ihn nun Tieck, wie der besternte Fürst in der Komödie befreite."
„Du sagst es. Die gelockerten Beziehungen knüpften sich wieder an; Faulstich that den ersten Schritt. Tieck seinerseits, der eben damals den „gestiefelten Kater" gebracht hatte und mit dem „Zerbino" und der „Genovefa" in Vorbereitung war, begriff leicht, was ihn: Faulstich in den zu führenden Fehden Werth sein mußte. Denn er war kein gewöhnlicher Kritiker. Voller Phantasie verstand er es den Intentionen, selbst den Capricen der jungen Schule zu folgen. So halb aus Interesse, halb aus Gutmüthigkeit empfahl ihn Tieck an die Burgsdorffs nach Ziebingen hin. Den Rest erräthst Du leicht."
„Doch nicht, gib wenigstens eine Andeutung."