Heft 
(1878) 21
Seite
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Studien beschäftigt, vor allen unter der Führung des berühm­ten Abbate Joseph Graziosi, der ihm in der Wissenschaft und allen Tugenden ein Vorbild wurde. Der junge Waisenvater wurde Ende 1818 Subdiakon. Das Jahr darauf erhielt er die Priesterweihe und las am Ostersonntag 1819 seine erste heilige Messe. In jenen Jahren gewann auf den Grafen einen nach­haltigen Einfluß der junge Prälat Prinz Karl Odescälchi, der später als Kardinal den Purpur ablegte, um in die Gesell­schaft Jesu als schlichter Noviz einzutreten. Er vor allem hat dem jüngeren Freunde die frühe Vorliebe für die Jesuiten eingepslanzt.

Ein größerer Wirkungskreis, reich an Romantik und Müh­sal, öffnete sich dem Grafen. Er wurde mit einem apostoli­schen Delegaten nach dem Freistaate Chili und den südameri­kanischen Nachbarstaaten entsandt, um dort nach Losreißung dieser Lande von spanischer Herrschaft die kirchliche Ordnung zu wahren und neu zu gründen. Ueber Genua, Teneriffa und St. Helena ging die Fahrt nach Rio de Janeiro und Buenos Ayres und von da zu Lande durch die Sumpfebenen der Pampas und die Andespässe nach St. Jago, der Haupt­stadt von Chili. Die Mission blieb erfolglos, aber der junge Auditor hatte einen Blick gethan in die Weltstellnng seiner Kirche und die Aufgaben, die deren Leitern daraus erwuchsen. Nach Rom heimgekehrt, trat Mastai an die Spitze des großen aus sechs Anstalten bestehenden Hospizes San Michele, dessen Verwaltung er mit kräftiger Hand reformiere. Hier war eine Schule für Regententugenden. Schon nach zwei Jahren saß der bewährt Gefundene auf dem Bischofsstuhle von Spoleto, bald mit dem Titel eines Erzbischofs. Es kam die Zeit der Aufstände, wo österreichische Truppen die Ordnung wieder auf­richteten und der Bischof durch Milde und Klugheit die Herzen gewann und ein volksthümlicher Name ward. Ende 1832 er­nannte ihn Papst Gregor XVI zum Bischof von Jmola in der Romagna. Auch hierhin folgten ihm die Gefahren und Hemmnisse der Revolution. Jahre vergingen in der Leitung des Bisthums. Er verstand auch, das geistliche Leben des Klerus wie des Volkes anznspannen und zu heben. Es ge­schah durch die Handhabung schärferer Zucht, durch die Ein­führung geistlicher Disziplinen, Volksmissionen und Gebets­zeiten, durch die Gründung von Wohlthätigkeitsanftalten, Orden und Bruderschaften, durch den Eifer für die Jugenderziehung. Wir kennen den Apparat, den die römische Kirche oft so meister­haft und so erfolgreich in Bewegung zu setzen versteht. Spät erst (Ende 1840) wurde der Bischof zum Kardinal ernannt, wahrscheinlich jetzt erst, weil seine politische Milde dem strengen päpstlichen Regiments anstößig gewesen war. Am 1. Juni 1846 entschlief Papst Gregor XVI. Als die Kardinäle im Conclave zur Papstwahl zusammentraten, wurden manche Namen ge­nannt, von keiner Seite anfangs der Mastais. Und doch traf ihn die Wahl. Das Conclave hatte 48 Stunden gedauert und war sonach eines der kürzesten in den letzten dreihundert Jahren. Es war der Erzbischof von Ravenna, Kardinal Fallonieri, an den viele Wähler gedacht hatten, der aber mit Nachdruck ablehnte und auf Mastai als den würdigeren hin­wies. Im vierten Wahlgang erhielt dieser das erforderliche Zweidrittel der Stimmen. Er selbst als Stimmensammler hatte die Zettel zu verlesen; überwältigt von der Größe des Augenblicks vermochte er längere Zeit nicht weiter zu lesen. Endlich rief der älteste Kardinaldiakon:Unbonuis poiwillosm!" (Wir haben einen Papst.) Am Altar der Wahlkapelle hatte sich Mastai betend niedergeworfen und antwortete auf die Frage des ältesten Kardinals, ob er annehme, mit fester Stimme: Xoeaxto!" (Ich nehme an.) An die Stelle des purpurnen Kardinalgewandes trat nun alsbald die weißwollene Soutane und dazu die purpurnen, mit goldgesticktem Kreuz geschmückten Pantoffeln, die weiße golddurchwirkte Mitra und der Fischer­ring als Zeichen kirchlicher Herrschaft. In Erinnerung an Pius VII, seinen Vorgänger in Jmola und das Vorbild seiner Jugend, nannte er sich den neunten Pius.

Es folgte die glänzende Krönungsfeier, wo sich geistliche und weltliche Pracht zu einzigartigen Festen mischte; die Scene die ewige Stadt mit dem Hintergrund altklassischer und

kirchlicher Größe, mit ihren Riesentempeln und Plätzen nnd dem angeborenen Geschick der Römer für solche Prachtfeste. Dieser Jubel steigerte sich durch die erste Regiernngshandlung des neuen Papstes, die Amnestie politischer Verurtheilter. Man erkannte in Rom, was man vorher schon geahnt hatte, daß eine neue mildere Richtung heraufzog. Unter Gregor XVI, dessen rechte Hand Lambruschini war, hatte das engherzigste System geherrscht, durch österreichische Bajonette, Kerker und Verfolgungen künstlich gestützt. Keine Zeitung als die amtliche und wenige auswärtige dursten im Kirchenstaate gehalten und gelesen werden. Und dieser dunkle dumpfe Geist herrschte, von Rom ausgehend nnd sanktionirt, fast in allen Staaten Italiens. Nun schien eine neue Aera anzubrechen. Auch sonst wurden von der menschenfreundlichen Art des Papstes viele Züge er­zählt, die ihm die Herzen gewannen, nnd wo er sich zeigte in Rom, ward er mit immer neuem, oft fast tollem Jubel be­grüßt. Aber dem grellen Lichte folgten bald düstere Schatten. Der Papst glaubte allmählich an die ausreichende Macht seiner Popularität, an den Zauber seiner Persönlichkeit, um den Ver­such wagen zu können, seinem Volke schrittweise Konzessionen zu machen, bei denen, wie er hoffte, es sich beruhigen würde. So wurde ein Ministerrath eingesetzt, die Bürgerwehr bewil­ligt, fremde Journale zugelassen, eine freisinnige Municipal- verfassung eingeführt, eine berathende Volksvertretung, die Staatskonsulta eingesetzt. Alle diese Reformen steigerten das Entzücken über den liberalen Papst, der es liebte, sich durch immer neue öffentliche Feste und Aufzüge huldigen zu lassen. Aber wenn das römische Volk auf dem Riesenplatz von St. Peter in die Knie sank und der vergötterte Papstarbi st orbl" (der Stadt und dem Erdkreis) den Segen spendend die Hönde darüber breitete, ließen sich Tausende segnen, die in jenen Be­willigungen keineswegs die Endziele ihrer politischen Wünsche, sondern nur Abschlagszahlungen Hinnahmen.Jung-Jtalien", von dem Agitator Joseph Mazzini inspizirt und geleitet, wollte die Einheit der Halbinsel und zuletzt die Republik.

Aber auch die Gemäßigten begehrten jenes erste nationale Ziel und ein konstitutionelles Königthum. Wenn Pio nono wie im Triumphzug durch die Straßen zog, mischten sich schon ein Jahr nach seinem Regierungsantritt in die Evvivas ganz andere unheimliche Rufe, wiefort mit den Priestern ans der Re­gierung!" und bei Illuminationen sah man auch die Bilder von Gioberti und Ganganelli, der Feinde der Jesuiten. Die Gährung der Geister in Italien war natürlich nur ein Glied in der elektrischen Kette jener Gährungen, die Ende 1847 und Anfang 1848 einen großen Theil Europas durchzogen. Das römische Volk wurde vor allem bearbeitet durch den Bürger Angelo Brunetti, der, seines Zeichens Fuhrmann, Heu- Händler und Schenkwirts), seit lange Mitglied des Geheim­bundes der Carbonari, eine so volksthümliche Beredsamkeit be­saß und man weiß, was zündende Worte dem Italiener bedeuten daß man ihn Ciceroacchio, d. h. den kleinen Cicero nannte. Dieser Mann wußte die Massen durch täglich sich wiederholende öffentliche Kundgebungen in steter Erregung zu er­halten. Man wollte den Papst fortdrängen auf der abschüssigen Bahn der Neuerungen, ja Mazzini selbst schrieb an ihn, er solle sich seiner Partei und der Revolution anvertranen zur Hebung und Rettung des Vaterlandes.

Aber der Höhepunkt war auch der Wendepunkt in der päpstlichen Volksbeliebtheit, demHosiannah!" folgte das Kreuzige!" Pius konnte es nicht hindern, daß im März des Sturmjahres 12,000 Römer an die Grenze des Kirchenstaates eilten, um dieselbe gegen Einmärsche der Oesterreicher von der Lombardei aus zu schützen. Aber der General Durando über­schritt seine Ordre und rückte in das Venetianische ein. Aller­dings protestirte der Papst gegen den eigenmächtigen Schritt, aber der Protest zeigte doch nur, daß er nicht mehr Herr war im eigenen Hause. Mit einem Schlage war seine Popularität verloren, nnd den man kurz zuvor als denEngel des Frie­dens", als dieWonne des Menschengeschlechts" in den Himmel erhoben hatte, hieß jetztFeind Italiens und Verräther des Vaterlandes".

Das neue Laienministerium, dessen Seele der Graf Ma-