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nriani war, und die neuen Kammern ließen dem Papst keinen Willen mehr. Und als Graf Rosst leitender Minister wurde und wieder einlenkte in konservativere Bahnen, fiel er durch meuchlerischen Dolchstoß im Sitzungsgebäude des Unterhauses. Dem Papste sollten die „Grundsordernngen des Volksvereins" dann abgetrotzt werden: Verkündigung des Prinzips der italienischen Nationalität, Berufung eines konstituirenden Parlamentes, Durchführung des Befreiungskrieges, ein demokratisches Ministerium. Der Quirinal sollte gestürmt werden, die Hand voll Schweizergarden vermochten auf die Dauer nicht zu widerstehen; Pius, willen- und rathlos, gab nach, er hatte thatsäch- lich aufgehört, weltlicher Herr zu sein. Die Flucht aus Rom ! war die einzige Rettung. Sie gelang besser als weiland Lud- !! wigs XVI Flucht in ähnlicher Lage. Der Botschafter des repu- i blikanischen Frankreich, Herzog Harcourt und der bairische Ge-
- sandte Graf Spaur und dessen Gemahlin retteten den verkleideten i Papst ins Neapolitanische. König Ferdinand II wies dem Flüchtling
? das Schloß von Gaöta als Asyl an. In diesem Erdenwinkel reiften ! die größten Pläne des Papstes und des Papstthums. Zwar war Pius auch auf die Heimkehr nach Rom und die Mittel und Wege der Wiederherstellung seiner weltlichen Macht bedacht. Der Krater der Revolution sollte in sich selbst ver- ' kohlen, und die Ordnungsstister von außen Sicherheit gewähren, bevor er seinen Thron wieder dort aufschlug. Aber ungleich lebendiger füllten seinen Geist die kirchlichen Weltplane. Bis dahin hatte er mehr den weltlichen Fürsten hervorgekehrt, jetzt, nachdem er die innere Gebrechlichkeit dieser Hälfte seiner Stellung erfahren hatte, richtete er den Blick aus das Ganze der katholischen Welt. Auf geistigem Gebiete wollte er zurück erobern, was er an Macht und Einfluß auf dem politischen eingebüßt hatte. Dort, in dem kleinen Gaöta keimte der Gedanke, das Dogma von der unbefleckten Empfängniß der heiligen Jungfrau kirchlich festzustellen; dort schon wurde an ein allge- S meines Konzil gedacht; dort endlich wurden die Fäden an-
! gesponnen, die zu jener sichtbaren Hebung des kirchlichen Be
wußtseins in den ältkatholischen, zu jener kräftigen Propaganda in protestantischen Ländern wie England, den Niederlanden, Deutschland sich fortspannen. Auf die Ausspannung und Verdichtung dieses Netzes läßt sich hier nicht eingehen; aber die römische Kirche bewies aufs neue den alten Satz, daß unter dem Druck von außen ihre innere Lebenskraft um so nachhaltiger sich entfaltet. Um den Flüchtling von Gaöta sammelten sich die Gesandten der europäischen Mächte beim päpstlichen Stuhl, bald auch die Kardinale der Kirche. Protest folgte auf Protest gegen die inzwischen improvisirte römische Republik, zu deren Triumvirat sogar ein Mazzini gehörte. Aber das papstlose Rom war nicht Rom mehr. Verlassen von seinem Adel, verödet von Fremden lag es darnieder, bis die Franzosen unter Oudinot die Stadt nahmen, während Oesterreicher und Spanier ! den übrigen Kirchenstaat besetzten. Erst im April 1850 kehrte Pius in seine Hauptstadt zurück, aber nicht mehr im Quirinal, den ihm die Schrecken der Revolution verleidet hatten, sondern im Riesenpalast des Vatikan, dicht am St. Petersdome, schlug er nun seinen Sitz auf und blieb dort bis auf den heutigen Tag. Die Reaktion folgte der Revolution, wie überall so auch ! im Kirchenstaate. Aber die gemäßigten und geschichtlich noth- I wendigen Ideen von 1848 waren nicht zu tödten, die nationale und die freiheitliche. Und während sich hier die Geschicke Schritt
- um Schritt erfüllen, während Garibaldi, der alte Revolutionär, dienstbar doch höheren und reineren Zwecken, die Karte Jta-
! liens aufrollt und Graf Cavour, der große Minister, die Seele der nationalen Politik wird, dehnen sich die Ideen des Papstthums, denen der irdische Boden unter den Füßen schwindet, kirchlich ins Ungemessene aus. Drei Akte hoben das Papstthum zu schwindelnder Höhe, die den Freunden die Verwirklichung der höchsten Ideen, den Gegnern die Karrikatur eines Grundirrthums, der Anfang des Endes dünkt. Es ist das Dogma von der unbefleckten Empfängniß der aller- seligsten Jungfrau (vom 8. Dezember 1854), vorbereitet durch Gutachten der Kardinale und Theologen, verkündet vor fast 200 Bischöfen; die Syllabus-Encyclica (genau zehn Jahre später), worin dem herrschenden Zeitgeist in achtzig
Nummern der Krieg der Kirche erklärt wird, um von diesem archimedischen Punkt aus die moderne Welt aus den Angeln zu heben; endlich das große vatikanische Konzil mit dem Ergebniß der Kirchenlehre von der Unfehlbarkeit des Papstes. Solche Erfolge waren nur möglich durch das straffste Anziehen der Zügel, durch die fast willenlose Unterwerfung der nationalen Episkopate unter den päpstlichen Stuhl, der niederen ! Geistlichkeit unter die Diöcesanbischöfe, der eifrigsten Agitation !' der Jesuiten, durch die Energie des ersten päpstlichen Rath- f gebers, des nun verstorbenen Kardinals Giacomo Antouelli, der dem weicher geformten Oberhirten seinen energischen Willen einhauchte.
Der deutsche Krieg von 1866 wirkte auch auf die Lage des Papstes und des Kirchenstaates zurück. Die Franzosen ließen Rom in Stich, und ein kleines Heer von 12,000 Mann, aus katholischen Freiwilligen aller Länder bunt zusammengesetzt, hatte die dornige Aufgabe, die ewige Stadt und den Rest des Kirchenstaates zu schützen. Bei Mentana (3. Nov. 1867) schlug es sich siegreich, aber die Ereignisse von 1870 fügten Rom selbst als Schlußstein und Hauptstadt dem Königreich Italien ein.
Hier rücken dicht zusammen der Fall der weltlichen Herrschaft und die größte Manifestation der kirchlichen Macht.
Am 17. Juli 1870 ging die französische Kriegserklärung nach Berlin, deren Rückschlag auf Italien und Rom bald sichtbar werden sollte. Am 18. Juli erklärte das vatikanische Konzil das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes. Pius hatte erkannt, daß bei der ungewöhnlichen Einmüthigkeit und Abhängigkeit des Episkopats eine allgemeine Kirchenversammlung das sicherste Mittel sei, den Oberhirten mit neuem Glorienschein zu umgeben, und durch den Satz der Unfehlbarkeit das Höchste wagend, auch das höchste Ziel zu erreichen. Als der Papst 1854 eine Kirchenversammlung berufen hatte, waren dem Rufe 200 Bischöfe gefolgt, 1862 über 300, 1867 ungefähr 500, jetzt erschienen von den 1044 Häuptern der katholischen Kirche über 700.
Es kann nicht unsere Absicht sein, hier ein historisches Bild des Vatikanums zu entwerfen oder aufs neue die Kritik zu üben, die es so sehr und nicht blos von protestantischer Seite herausfordert. Aber es war eine Krisis der Kirche, als an jenem verhängnißvollen 18. Juli jenes verhängnißvolle Dogma verkündet wurde. Katholische Federn haben nicht versäumt, des starken Gewitters zu gedenken — ein Phänomen, das in jener ! Jahreszeit zu den äußersten Seltenheiten in Rom gehört — !
welches während der Abstimmung blitzend und donnernd und j
die Riesenräume von St. Peters Dom in nächtliches Dunkel ein- !
hüllend, über der Versammlung lag. Sie erinnerten an die ! Naturerscheinungen bei der Gesetzgebung auf Sinai. Wir könnten eine andere Symbolik in diesen Zeichen der Natur lesen.
Der unfehlbare Papst war bald ein Fürst ohne Land. Nach den ersten Siegen der deutschen Waffen über den französischen Imperator rückten die Italiener über die Grenzen des sich selbst überlassenen Kirchenstaates. Am 20. September 1870 !
begann die Beschießung der ewigen Stadt, und alsbald zogen die Sieger durch die Bresche an der Porta Pia ein. Die be- ! liebt gewordene Form des „Plebiszits" gab der Eroberung den Schein des Rechts. Das neu erstandene Italien hatte dem Reste des Mittelalters, dem Kirchenstaate, dieser wunderlichen politischen Anomalie — doch wohl für immer — ein Ende gemacht. Pius IX aber war seitdem der „Gefangene im Vatikan". Seine Regierung bleibt unter allen Umständen eine große Epoche in der Geschichte der römischen Kirche. Und er hatte erlebt, was kein Papst vor ihm erlebte, er hatte über ein Vierteljahrhundert (16. Juni 1871) die dreifache Krone getragen — wieder Anlaß zu einem Riesenfest, wie sie der Kirchenfürst liebte und so trefflich in Scene zu setzen wußte. Nach der Legende hat nur der Apostelfürst Petrus 25 Jahre den Bischofsstuhl zu Rom inne gehabt, seit ihm erst Pius IX wieder — ein neuer Glorienschein um sein greises Haupt und wie ein Gnadenwunder in den Augen des gläubigen Volkes.
Italien zunächst, das abgefallene, mochte ihm als der verlorene Sohn erscheinen; aber vor allem doch kehrte er feinen Groll gegen das neuerstandene deutsche Reich und seinen pro-