Heft 
(1878) 21
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testantischen Kaiser, der es, der Pflicht der Selbsterhaltung folgend, ablehnte, jenseits der Alpen das niederreißen zu helfen, was er diesseits gegründet hatte, den nationalen Staat. Wir wissen es, derKulturkampf" ist nur Abwehr und Nothwehr der Angriffe Roms, das so gern das neue Reich, unseren Stolz und unsere Freude, untergraben und zu Falle bringen möchte. Allein der Geist der Nationen ist erwacht und wird wachsam

bleiben. Aber diese Mittel reichen allein nicht aus; auch deutsche Bildung und Wissenschaft, so sehr sie in Reih und Glied wirk­sam sind, reichen nicht aus. Es muß die religiöse Widerstands­kraft, die von demWörtlein" weiß, das jenen stolzen Bau fällen" kann, hinzutreten; der Protestantismus muß sich aufs neue darauf besinnen, daß seine positive Ergänzung die evan­gelische Kirche ist.

Km Aamitienlifche.

Die Quintessenz des Sozialismus und ihre Kritik.

Unter dem Titel dieQuintessenz des Sozialismus" hat Herr Dr. Schaffte ein Büchlein ausgehen lassen (bei Perthes in Gotha), das in kurzer Zeit fünf starke Abdrücke erlebt und eine große Verbreitung gesunden hat. Herr Dr. Schaffte geht darin mit der Sozialdemokratie um, wie ein kluger Mann mit seiner dummen Frau. Schwatzt diese in den Tag hinein und bringt ungereimtes Zeug vor, so bemerkt jener wohl: Das, was Du sagst, liebes Kind, meinst Du ja nicht das wäre ja unsinnig Du meinst mithin das und das. Und nun folgt etwas ganz anderes, vielleicht das Gegentheil. Frau Sozialdemokratie z. B. will den Privatbesitz ganz und vollständig aufgehoben haben und spricht das bei jeder Gelegenheit aus. Wenn du das wolltest, bemerkt der Herr Doktor darauf, so müßtest du ja als Todfeind jeder Freiheit, jeder Gesittung, alles materiellen und idealen Wohlbefindens angesehen werden (S. 25), das kann daher (?) deine Absicht nicht sein,diese Auffassung ist möglicherweise doch nur Beiwerk". Du willst damit nur sagen, daß du das Privateigenthum an den Produktionsmitteln negirst und es durch Kollektiveigenthum ersetzt wissen willst, während es durch­aus nicht in deiner Absicht liegt, dem Privateigenthnm an und für sich, ja selbst dem Erbrecht auf den Leib zu gehen.

Im Lichte dieser Methode erscheint denn auch glücklich die neueste, durchaus von verneinenden Ideen beherrschte sozialdemokratische Be­wegung wie eine verhältnißmäßig harmlose Angelegenheitohne Zweifel wirthschaftlicher Natur, in erster Linie eine Magenfrage" (S. 2).

Ich habe in meinem Leben viel Doktrinäres gelesen, aber das Schäsflesche Büchlein hat in dieser Beziehung den Vogel abgeschossen. Es ist, als ob der Verfasser nie mit lebendigen Menschen zu thun ge­habt hätte, als ob es nur darauf ankäme, den Menschen in die richtigen Verhältnisse zu stellen und ihm klar zu machen, was in seinem Interesse liegt, um ihn zu veranlassen, auch richtig und seinem Interesse gemäß zu handeln. Von der Erkenntniß, daß der Säufer säuft, obgleich er sehr wohl weiß, daß er sich dadurch zu Grunde richtet; daß der Ver­schwender sein Hab und Gut verschleudert, obwohl es ihm nicht unbekannt ist, daß er dadurch gegen sein Interesse handelt; daß der Dieb stiehlt, obwohl er darüber nicht in Zweifel ist, daß dieser Weg schließlich ins Zuchthaus führt von dieser Erkenntniß, von der Erkenntniß der Sünde, findet sich keine Spur.

Unter diesen Umstünden empfindet man es von vornherein höchst angenehm, wenn man auf dem Titelblatt sieht, daß dieKritik der Quint­essenz des Sozialismus" (Bielefeld und Leipzig. Velhagen L Klasing) von einem praktischen Staatsmanne herrührt. Die Broschüre hält denn auch, was der Titel verspricht. Während Herr Dr. Schäffle die For­derungen der Sozialdemokratie frei ans dem MarxschenKapital" herausdemonstrirt und auch sie wie wir sahen noch in seiner Weise korrigirt, hält sich unser praktischer Staatsmann eben an die Sozialdemagogie wie sie ist, nicht wie sie sein könnte. Er betont sehr richtig, daß es sich hier nicht um volkswirthschastliche Probleme, sondern um zuchtlose verneinende Tendenzen handelt, daß nicht nur unsere ökonomischen Verhältnisse, sondern unser gesummtes Dasein, unser Fühlen und Denken selbst von Grund aus umgestaltet werden sollen. Vortrefflich ist auch, was der Verfasser über die Stellung des Sozia­lismus zur Religion und Kirche sagt. Hier trifft er des Uebels Wurzel, wenn er den Wahnsinn geißelt, der sich 'einbildet, für die höheren Klassen Atheismus und Materialismus beibehalten zu können, während das Volk beim Glauben der Väter erhalten werden soll, eine Vorstellung so ruchlos und dumm, daß man nicht ohne Schamgefühl an ihre Träger denken kann. Wie gesagt, dieser Punkt ist vorzüglich ansgcführt. Sehr übertrieben erscheint mir dagegen der Abschnitt, der von der Ehe und der Familie handelt. Wenn der Verfasser fragt: Haben die oberen und mittleren Bolksklassen in der That ein Recht, die unteren ans diesem Gebiete einer größeren Frivolität anznklagen? so antworte ich darauf mit einem lautenJa". Die Ehe ist in Deutsch­land in den oberen und mittleren Schichten trotz alledem und alledem als Regel durchaus intakt. Meine Bekannten sind zerstreut über ganz Deutschland, sie leben in den verschiedensten Verhältnissen und ich kenne nicht eine einzige unglückliche Ehe. Das ist die Erfahrung eines ein­zelnen Mannes zugegeben, aber es ist eine Thatsache und ich zweifele nicht daran, daß es so manchem Leser dieser Zeilen gehen wird wie mir. Ich gehöre wahrhaftig nicht zu den blinden Verehrern Deutschlands, aber in diesem Punkte, in dem Kapitel, das von der Reinheit, der Innigkeit der Ehe handelt, ist es groß, ist es unüber­troffen. Es sei überhaupt nicht verschwiegen, daß es mir scheint, als ob der praktische Staatsmann geneigt sei, der Sozialdemagogie mehr innere Berechtigung zuzugestehen, als ihr gebührt. Hoffentlich recht­fertigt die positive Behandlung der Frage, die uns als Fortsetzung in Aussicht gestellt wird und der man mit Spannung entgegen sieht, diese Befürchtung nicht. Th. H. P.

Die katholische Presse im deutschen Reiche.

Im Verlage von Leo Werl erscheint seit einigen Jahren eine Publi­kation, welche ebenso interessant als belehrend ist. Im Jahre 1875 gab nämlich die genannte Verlagshandlung unter dem Namendie katholische Presse" eine Statistik der katholischen periodischen Presse in Deutschland, Oesterreich und der Schweiz heraus, die in kurzer Zeit zwei Auflagen erlebte. Das Unternehmen fand so viel Anklang, daß es schon 1877 zu:Die katholische Presse in Europa" erweitert werden konnte und Heuer alsWeltrnndschau über die katholische Presse" er­schienen ist.

Das in durchaus anständigem Tone gehaltene Buch es muß diese Thatsache ja neuerdings bei katholischen Publikationen leider be­sonders hervorgehvben werden steht auf dem nltramontanen Stand­punkt und beleuchtet von diesem ans jede einzelne Zeitung. Wenn nun auch die darin enthaltenen Angaben über die Auflage der ein­zelnen Blätter der Natur der Sache nach nur sogenannterunde" Zahlen repräsentiren und meist übertrieben sein werden, so werden sie bei der Sorgfalt, die dem Unternehmen seitens der Herausgeber offenbar zu­gewendet wurde und bei der trefflichen Disziplinirung dieser Kreise doch im Großen und Ganzen zutresfcn.

Es erscheinen, nach meiner Quelle*), im deutschen Reiche im Ganzen 267 katholische Zeitungen, von denen 10 in polnischer, 1 in französischer, die übrigen in deutscher Sprache veröffentlicht werden. Diese 267 Blätter setzen 974,837 Exemplare ab, von denen 422,007 ans Preußen, 384,520 auf Baiern kommen. Von diesen Zeitungen sind 42 Monats­schriften, 67 Wochenschriften, während 50 sechsmal wöchentlich nnd öfter, 76 zwischen 2- und 4mal wöchentlich erscheinen. Rechnet man dazu diejenigen, von denen nähere Angaben fehlen und einige in Oester­reich und der Schweiz erscheinende Blätter (wie z. B. die in 80,000 Exemplaren verbreiteteAlte und neue Welt"), so sieht man, was für eine Flut von katholischen Zeitungen die katholischen Landesthcile überflutet.

Uebrigens sind auch hier die eigentlich tonangebenden Blätter nicht gerade die verbreitetsten. So hat z. B. die Kölnische Volkszeitung nur 8600, die Germania gar nur 7025 Abonnenten, während doch sonst 20 Blätter mit mehr als 10,000 Abonnenten angeführt werden.

*) Die übrigens bei einer Anzahl von Zeitungen nicht angeben konnte, wie oft sie erscheinen und wie stark ihre Auflage ist.

Medaillonkalender.

In Sachen des Medaillonkalenders geht uns folgende Zuschrift zu: Zn der in Nr. 18 des Daheim auf Seite 296 enthaltenen Mit­theilung über einen französischen Medaillonkalender ans dem Jahre 1778, erlaube ich mir die Bemerkung, daß derartige geprägte Kalender schon früher bekannt gewesen sind. Ich bin im Besitz eines solchen Alma- nachs für das Jahr 1745 in englischer Sprache, welcher in Heller Bronze hübsch ausgeführt ist und die Ueberschrift VllilHöHOL IVr kllo ; Vsar . 1745" führt. Die Einrichtung desselben ist der des französischen, ! wie im Daheim beschrieben, fast ganz gleich, auch die Größe 4 om. im Durchmesser, so daß augenscheinlich der englische Kalender als Vorbild gedient hat. Zur Vorderseite des mir vorliegenden Kalenders von j

1745 ist zu bemerken, daß der Erfinder oder der Graveur die vier ^

letzten frei bleibenden kleinen Felder des Datumanzeigers dazu benutzt ^

hat, um sich mittelst der Bezeichnung Vnrnsr kso." bekannt zu machen. Die Kehrseite enthält neben den Zeichen für die Voll- und !

Neumonde wie auf dem Kalender von 1778 kleine Punkte, die sich, !

abweichend von letzterem, nur rechts, bald oben, bald unten befinden. !

Die Erklärung über die Bedeutung dieser Punkte, welche ans Seite 296 des Daheim als kleine Kreise dargestellt sind, bleibt der Herr Ein­sender F. uns schuldig. Ich habe die auf dem englischen Kalender für 1745 befindlichen Punkte für eine Angabe darüber gehalten, daß der Eintritt des Voll- bezw. Neumondes vor- oder nachmittags erfolgte.

Bei dieser Annahme würde aber noch unklar bleiben, was die auf dein französischen Kalender befindlichen einzelnen Kreise zur Linken der Mondzeichen zu bedeuten haben.

Altona, den 4. Februar 1878. I. H. Reimer.

Inhalt: Vor dem Sturm. (Fortsetzung.) Roman von Theodor Fontane. Schwarzwälder Geburtstagskuchen. Originalzeichnung von Sondermann. Persönliche Erinnerungen aus den Jahren 1848 1850. II. Abtheilnng. VII. VIII. Ein Postränber. Ans den Erinnerungen eines deutschen Californiers. Pio nono. Von I). W. Herbst, Mit Illustration und Antograph des Papstes. Am Familientische: Die Quintessenz des Sozialismus und ihre Kritik. Die katholische Presse im deutschen Reiche. Medaillonkalender.

Herausgeber: 4>r. Ziavert Kocnig und Theodor Kermairn Sa»teni»s in Leipzig. Für die Redaktion verantwortlich Htto Ktastng in Leipzig.

Verlag der Daheim-K-rpcdition (Velhagc» H Kcastng) in Leipzig. Druck von ZI. H. Teuöner in Leipzig._