Wius IX. in St. Weier.
(Vergl. das Bild im Hauptblatte S. 341.)
Als die Nachricht vom Tode des Papstes verlautete, wurden in der Peterskirche alle Lichter ausgelöscht und es ward in dem ungeheuren Raume, unter der mächtigen Kuppel Michel Angelas, stockfinster. Kein Glockenton ertönte, Grabesstille herrschte, und der Ort, an dem Weihrauchduft, Lichterglanz, Hymnenjubel zum hohen Gewölbe Hinaufstiegen, der sonst von Pomp und Pracht widerstrahlte, lag traurig, öde da, der Papst war todt. Auch seine Kirche trauerte um ihn.
Wie ganz anders habe ich die Grabkirche des Apostels Petrus gesehen, das größte christliche Baudenkmal, als noch die Macht des Papstes ungebrochen war, als die bösen Jahre 1866 und 1870 noch nicht den Kirchenstaat erst verkleinert, dann ganz vernichtet hatten! Noch waren keine Beschränkungen für Pio nono eingetreten und er seinerseits hatte auch nicht die Feierlichkeiten in St. Peter beschränkt. Rom war noch ganz die heilige Weltstadt für einhundert Millionen Menschen, welche sich zur katholischen Kirche bekennen und im Papste ihr geistliches Oberhaupt verehren.
Es war mn Freitags vor Palmsonntag, als ich meine Schritts nach San Pietro in Vaticano lenkte, wo Pius IX. während der Fasten an diesem Wochentage um die Mittagszeit seine Andacht verrichtete, an der Stelle, wo der Apostel Petrus begraben sein soll. Allemal wurde der Betstuhl des heiligen Vaters vor der Ankunft desselben vom Sakristan mit rothem Sammet überdeckt; die Kardinale fanden sich schon eine Viertelstunde früher ein und saßen, des Papstes wartend, in zwei langen Reihen da. Hinter ihnen standen Schleppenträger und andere Diener, um vor ihnen Kissen Hinzubreiten, auf welchen gekniet wird. Der Papst erschien einfach und ohne Pomp; über seinem weißen Gewände trug er eine kleine runde Pelzpelerine von rother Farbe; sie war mit Hermelin eingefaßt. Dann kniete er auf dem Kissen nieder, welches der Sakristan hinbreitets, während die Schweizergarde Spalier bildete, um dem lästigen Andrange der Menge zu wehren. Neben Pius stand ein Geistlicher mit flammender Fackel, diesem Sinnbilde des Glaubens, welches dem Papste überall dahin nachgetragen wird, wo er ein Gebet liest. Nachdem Pius IX. seine Andacht verrichtet hatte, theilte er den Segen aus und entfernte sich. Es waren damals nur wenig Leute in der Kirche, da es nicht für „Mode" galt, den heiligen Vater bei diesen Freitagsandachten zu schauen, woran ich mich natürlich wenig kehrte. Pius sah frisch, rüstig und wohl aus; aber im bloßen Hauskäppchen, in der einfachen Tracht, ohne die berühmte Tiara*) erschien er mir nicht recht eigentlich als Papst — das sollte ich bald darauf aber anders sehen.
Palmsonntag, der Tag, welcher an den Einzug Christi in Jerusalem erinnert, war gekommen und die Kamalduenserinnen schmückten echte, von der Riviera stammende Palmzweige mit Gold und Farben für den Papst. Es ist eine der prunkhaftesten Festlichkeiten diese Feier der Palmensegnung, welche bis 1839 noch in der sixtinischen Kapelle abgehalten, damals aber von Gregor XVI. in die große Basilika der Peterskirche verlegt wurde, damit eine beträchtlichere Anzahl von Zuschauern der Feierlichkeit beiwohnen können.
Ich machte mich um sieben Uhr morgens auf den Weg. Auf der Engelsburg, an welcher ich vorüberging, flatterte das päpstliche Banner. Im Raume der Querschisfe in der Peterskirche hatte man große Zuschauergerüste aufgeschlagen; dort saßen die Frauen, welche so glücklich waren, Einlaßkarten zu erhalten. Im Hintergründe der Kirche stand der Thronsessel des Papstes; zu beiden Seiten desselben waren Bänke für die Kardinale aufgestellt, und hinter diesen befand sich die Tribüne für das diplomatische Korps und die römischen Fürsten. Alles Holzwerk war durch violette Drapirungen verhüllt; violett, violett — überall, wohin man schaute, veilchenblan, die geistliche Farbe, was einen keineswegs angenehmen Eindruck machte. Rechts und links vom Thronsessel des Papstes lagen Bündel von Palmenzweigen, die gesegnet und alsdann vertheilt werden sollten.
Um zehn erschallte militärischer Trommelschlag, und durch das Hauptportal zog das große Gefolge des Papstes in das majestätische Schiff der geschmückten Peterskirche ein. Pius IX. selbst verrichtete eine kurze Andacht in der Kapelle de la Pieta, welche gleich rechts vom Eingänge liegt. Dort kniete er nieder vor Michelangelos Pieta, der wunderbaren Marmorgruppe der heiligen Jungfrau mit dem tobten Sohne, jenem Werke, welches den Meister zum berühmtesten Bildhauer Italiens machte. Langsam schritt er dann hervor, durchwandelte das ganze Mittelschiff und nahm im Hintergründe der Absis Platz, wo die Kardinäle einer nach dem andern vor ihn hintraten und die „Obedienz" machten. Hierauf begann die Ceremonie der Palmenvertheilung, welche sehr lange dauerte und mich höchlich ermüdete, da ich nur wenig davon sehen konnte. Die Sache selbst geht, wie man mir sagte, der Art von Statten, daß man dem Papste eine weißseidene Schürze über Knies und Lenden breitete; ein Cameriere oder Bussolante legte auf die Schürze einen Palmenzweig, welchen Pius in die rechte Hand nahm, an der der Fischerring erglänzt.**) Wer den Zweig erhalten soll, tritt vor, beugt zweimal das Knie, küßt erst den Ring, dann die Palmen und tritt ab.
Nach der Austheilung der Zweige bildete sich eine lange Prozession, welche durch die ganze Peterskirche zog und wieder nach der Absis zurückging, nachdem man, dem Herkommen gemäß, einer der Haupteingangspforten drei Hammerschläge gegeben hatte; dabei trug Pius IX. ein aus Strohgeflecht verfertigtes niedliches Fähnchen. Prachtvoll erschienen die Galakleider der Geistlichen und Schweizer in dieser Prozession, neben denen die goldgestickten Fracks der Diplomaten und Civilbeamten steif und unvortheilhaft abstachen. Vor allem aber sind es die päpstlichen Schweizer im mittelalterlichen Kostüm, im Panzer und rothbefiederten Helme, welche aller Angen auf sich ziehen und deren schöne Kleidung nach einer Zeichnung Michel Angelas angefertigt sein soll. Sie ist jedenfalls alt und schon historisch geworden. Die Wämser und Hosen zeigen, nach Landsknechtsart, ein Nebeneinander von schwarzen, gelben und rothen Streifen; dazu kommen weiße Strümpfe, Schuhe mit hohen Absätzen, getüllte Halskrause und Hellebarde oder ein Zweihänder-Schwert.
Die dreifache päpstliche Krone (tiara) bedeutet die streitende, leidende und trimnphirende Kirche. Anfangs war die Bedeckung des Papstes kegelförmig spitz; seit Hadrin IV. kam die zweite, seit Clemens V. die dritte Krone hinzu.
") Der Fischerring ist das päpstliche Siegel mit dem Namen des regierenden Papstes und den Bildnissen der Apostel Petrus und Paulus. Nach dem Tode des Papstes wird er vom Kardinal- kämmcrer zerbrochen, worauf die Stadt Rom dem neuacwählten Papst einen neuen Siegelring schenkt. Wird dies jetzt auch der Fall sein?
Solch ein Schweizergardist, der in den belebteren Stadttheilen Roms zwischen den modernen schwarzgekleideten Menschen sich wie ein Anachronismus ausnimmt, ist an der Thür des Vatikans oder am Eingänge des Riesendoms dagegen völlig an seinem Platze, da er hier zur ganzen Architektur paßt.
Zum dritten Male sah ich Pio nono am grünen Donnerstage in der sixtinischen Kapelle, also der Hauskapelle des Papstes. In ihr waltete heute als symbolische Erinnerung an das Tafeltuch beim heiligen Abendmahl des Herrn die weiße Farbe vor; Altar, Thron, alles war mit weißem Tuch bedeckt, gegen welches scharf die farbigen Trachten der vielen geistlichen Würdenträger abstachen. Pius erschien und las dis Messe, bei welcher die Elevation den wichtigsten Moment bildet. Ein Ceremonienmeister trat aus der Sakristei; ihm folgten zehn Bussolanti mit brennenden Fackeln, die sich zu beiden Seiten des Altars aufstellten. Der zwischen ihnen stehende Priester segnete die Hostien für den Gründonnerstag und Charsreitag und diese trug in reicher Monstranz der Papst selber nach der Messe in die Kapelle des heiligen Sakramentes, welche in direkter Verbindung mit dem Vatikan steht. Auf dem Zuge dorthin wurde dem Papste das Kreuz vorangetragen; er selber ging unter einem reich gestickten Baldachin und ein Diener hielt ihm noch einen weißseidenen, goldverbrämten Schirm über das Haupt. Während der Chor Gesänge anstimmte, schritt der heilige Vater durch den Königssaal und begab sich an den Altar der Kapelle, wo er den Kelch einem Kardinal übergab, der ihn in eine Urne stellte.
Kurz darauf erschienen die Ceremonienmeister und alle Kardinäle auf der großen Loggia und gleich nachher wurde auch Pius sichtbar. Er sprach den Segen mit volltönender, weithin reichender Stimme, langsam, fast in singendem Tone. Die ersten Sätze sprach er von seinem Sitze aus, aber gegen den Schluß hin stand er auf, breitete die Arme aus, segnete, und als er die letzten Worte gesprochen hatte, donnerten die Kanonen auf der Engelsburg, schmetterten die Drommeten der Militärmusik.
Der heilige Vater trägt bei allen diesen Ceremonien keinen Krummstab, der im päpstlichen Ceremoniell nicht vorkommt, was durch eine Legende erläutert wird. Sankt Petrus, so lautet die fromme Sage, schickte Sendboten gen Norden aus, um den heidnischen Sachsen das Evangelium zu predigen; sein Abgesandter war der heilige Maternus, der von zwei anderen Missionaren begleitet, bis nach Trier kam, hier aber starb. Dort ließen seine Gefährten seine Leiche und kehrten nach Rom zurück. Als sie dem Apostel den Tod des Heiligen gemeldet, gab jener ihnen seinen Stab, mit dem sie die Leiche berühren und wieder lebendig machen sollten, damit er die wahre Lehre verkündigen könne. So geschah es auch; Maternus bekehrte viele Heiden und wurde Bischof von Trier. Also hatte St. Petrus sich seines Hirtenstabes ent- äußert, uni den heiligen Maternus wieder zu erwecken, und zum Andenken daran führen die Päpste keinen Krummstab.
Auch die Speisung der Armen und die Fußwaschung wird am Gründonnerstag abgehalten und Pius hatte an diesem Tage viel zu thun.
Die Fußwaschung fand in einem Querschiffe der Peterskirche statt, wo die Repräsentanten der Apostel, dreizehn an der Zahl, auf einem Gerüste sitzen. Da Jesus Christus nicht repräsentirt und Judas Jscharioth ausgeschlossen ist, so blieben eigentlich nur elf Personen. Aber man nimmt noch Einen hinzu, weil es Brauch des heiligen Gregorius war, zwölf arme Leute zu speisen. Eines Tages, so erzählt wieder die Legende, kam noch ein dreizehnter hinzu, ein vom Himmel gesandter Engel und zur Erinnerung daran wird an dreizehn Leuten die Fußwaschung vollzogen. Die „Apostel" tragen ein weißes Gewand und eine Pelerine, dazu eine ovale Kopfbedeckung, einem Turban nicht unähnlich. Ein Badediener entblößte ihnen die Füße, welche Pius wusch, während ein Bussolante ihm das Becken vorhielt. Nachdem der heilige Vater selbst den Fuß abgetrocknet, küßte er ihn noch. Dann erhielt jeder „Apostel" einen Blumenstrauß und zwei Denkmünzen, eine silberne und eine goldne, zum Geschenk, auf welchen die Jahreszahl und das Bild des Papstes angebracht sind.
Darauf fand die Speisung der Armen (Ocum) in der Basilika statt, wo eine gewirkte Tapete hängt, auf welcher nach dem bekannten Bilde Leonardo da Vincis das heilige Abendmahl dargestellt ist. Auf einer langen Tafel steht ein Osterlamm, Blumen fehlen nicht, und selbst Körbchen sind aufgestellt, in welchen die „Apostel" die Speisereste, Servietten und eine gefüllte Börse mitnehmen. Sobald die „Apostel" Platz genommen, setzte sich auch der Papst, welchem knieende Bussolanti die Schüsseln darreichten. Auf der Speisekarte siguriren allemal Krebse und gebackene Fische. Sobald Pius sich entfernt hatte, füllten die „Apostel" ihre Körbe, warfen die Blumen unter das Publikum und nun verlief sich die Menge, welche diese Ceremonien, deren symbolische Bedeutung sie nicht verstand, wie ein Schauspiel betrachtete.
Zum letzten Male sah ich Pius IX. dann am Ostersonntage. Früh schon donnerten auf der Engelsüurg die Kanonen und in den Straßen wurde es lebendig; über die Engelsbrücke, den Borgo nuovo strömte alles zur Peters - kirche, wo Soldaten Spalier bildeten. Die im Vatikan versammelten Kardinäle kamen in Staatskarossen ungefähren. Um zehn Uhr wurde der Papst auf seinem Sessel herbeigetragen; dann öffnete sich die große Pforte und unter dem Schalle der Militärmusik begab sich der Zug in die Kirche. Pius trug die Tiara auf dem Haupte, hinter ihm hielten Diener die großen Fächer von Pfauenfedern; die Schweizergardisten trugen die sieben Flämmberge der sieben Kantone. Packend, reich, überraschend war dieser Zug voll mittelalterlicher Papstpracht, da hier dis Kirche allen Glanz, über den sie gebietet entfaltet. Das weiße golddurchwirkte Gewand des Papstes nahm sich prachtvoll aus, als er von seinem Thronsessel Herabstieg und sich zum Altar begab, wobei er die beiden jüngsten Kardinaldiakonen umarmte, zur Erinnerung an das erste Zusammentreffen, welches der Heiland nach seiner Auferstehung mit den Jüngern hatte. Dann las Pius, unter der Assistenz eines Kardinals, Messe, und darauf fand die Elevation statt. Er wandte sich während derselben nach allen vier Himmelsgegenden, machte das Zeichen des Kreuzes und setzte sich nieder.
Damals erschien mir, im Gipfel seines äußeren Glanzes, rings umgeben von tausenden von Gläubigen, von Hunderten von weithergereisten staunenden Fremden das Papstthum frisch und ungebrochen. Wiewohl ein Siebziger, war Pius noch rüstig und elastisch. So steht er noch vor meinem geistigen Auge und die Erinnerung daran wird noch lange in mir bleiben.