363
„Aber Du, könntest Du ihn lieben?"
„Nein. Nie und nimmer, und wenn er Kosciusko verteidigte oder einen Engpaß stürmte. Ich muß lachen, wenn ich an die Möglichkeit denke. Er ist vielleicht muthig, aber ich kann ihn mir nicht als Helden vorstellen. Wen ich lieben soll, der muß mich in meiner Phantasie beschäftigen. Er beschäftigt mich aber überhaupt nicht."
„Aber Du ihn desto mehr. Othegraven hat Heimlichkeiten, flüsterte mir noch gestern unser alter Seidentopf zu. — Aber da schlägt es neun, und wir vergessen über dem Plaudern unser Abendbrot."
Damit erhob sich Renate und schritt auf eine Rococo- kommode zu, auf deren überall ausgesprungener Perlmutterplatte Maline, ehe sie das Haus verließ, ein großes Cabaret mit kaltem Aufschnitt sammt Tischzeug und Teller gestellt hatte. Das Sopha und die Kommode standen an derselben Wand, und zwischen ihnen war nur der Raum frei, wo sich die früher aus diesem Fremdenzimmer in die Amts- und Gerichtsstube führende Thür befunden hatte. Diese Thürstelle, weil nur mit einem halben Stein zugemauert, bildete eine flache Nische und war deutlich erkennbar.
Renate, in ihrer Plauderei sortfahrend, war eben — während Kathinka die Lampe aufhob — im Begriff, das Cabaret, das nach damaliger Sitte in einer Holzeinfassung stand, auf den Tisch zu setzen, als sie etwas klirren hörte.
Sie sah die beiden anderen Mädchen an. „Hörtet Ihr nichts?"
„Nein."
„Es klirrte etwas."
„Du wirst mit dem Cabaret an die Teller gestoßen haben."
„Nein, es war nicht hier, es war nebenan."
Damit legte sie das Ohr an die Wand, da, wo die vermauerte Thür war.
„Wie Du uns nur so erschrecken konntest," sagte Kathinka. Aber ehe sie noch ausgesprochen hatte, hörten alle drei deutlich, daß in dem großen Nebenzimmer ein Fensterflügel aufgestoßen wurde. Gleich darauf ein Sprung, und dann vorsichtig tappende Schritte, vielleicht nur vorsichtig, weil es dunkel war. Es schienen zwei Personen. Und in dem weiten Hause niemand außer ihnen, keine Möglichkeit des Beistandes; sie ganz allein. Marie flog an die Thür und riegelte ab; Kathinka, ohne sich Rechenschaft zu geben warum, schraubte die Lampe niedriger. Nur noch ein kleiner Lichtschimmer blieb in dem Zimmer.
Renate legte wieder das Ohr an die Wand. Nach einer Weile hörte sie deutlich den scharfen pinkenden Ton, wie wenn mit Stahl und Stein Feuer angeschlagen wird; sie horchte weiter, und als der Ton endlich schwieg, war ihre Phantasie so erregt, daß sie wie hellsehend alle Vorgänge im Nebenzimmer zu verfolgen glaubte. Sie sah, wie der Schwamm angeblasen wurde, wie der Schwefelfaden brannte und wie die beiden Einbrecher, nachdem sie auf dem Schreibtisch umher geleuchtet, das Wachslicht anzündeten, mit dem der Vater die Briefe zu siegeln pflegte. Alles war Einbildung, aber einen Lichtschein, während sie den Kopf einen Augenblick zur Seite wandte, sah sie jetzt wirklich, einen Hellen Schimmer, der von der Amtsstube her auf das Schneedach des alten gegenüber gelegenen Wohnhauses fiel und von dort über den dunkelen Hof hin zurück geworfen wurde.
Die Mädchen sprachen kein Wort; alle unter der unklaren Vorstellung, daß Schweigen die Gefahr, in der sie sich befanden, verringere. Sie reichten sich die Hand und lugten nach der Ausfahrt und so weit es ging nach der Dorfgasfe hinüber, von der allein die Hilfe kommen konnte.
Nebenan war es mittlerweile wieder lebendig geworden. Es ließ sich erkennen, daß sich die Strolche sicher fühlten. Sie warfen ein Bündel Nachschlüssel wie mit absichtlichem Lärmen auf die Erde und fingen an, sich an der großen, neben der Thür stehenden Truhe, darin das Geld und die Dokumente lagen, zu schaffen zu machen. Sie probirten alle Schlüssel durch, aber das alte Vorlegeschloß widerstand ihren Bemühungen.
Ein Fluch war jetzt das erste Wort, das laut wurde; dann sprangen sie, die bis dahin größerer Bequemlichkeit halber
vor der Truhe gekniet haben mochten, wieder auf und begannen, , wenn der Ton nicht täuschte, an der dünnen, die beiden Stuben von einander trennenden Wand hin, aus den Realen umherzusuchen. Sie rissen die Bücher in ganzen Reihen heraus und fegten, als sie auch hier nichts ihnen Passendes fanden, mit einer einzigen Armbewegung den Sims ab, so daß alles, was i auf demselben stand: chinesische Vase, Büste, Dragonercaskets ! mit lautem Geprassel an die Erde fiel. Ihre Wuth schien mit !
der schlechten Ausbeute zu wachsen, und sie rüttelten jetzt an z
der alten Thür, die nach dem Korridor hinaus führte. Wenn ^ sie nach gab!
Die Mädchen zitterten wie Espenlaub. Aber das schwere Thürschloß widerstand, wie vorher das Truhenschloß widerstanden hatte.
Die Gefahr schien vorüber; noch ein Tappen, wie wenn in Dunkelheit der Rückzug angetreten würde; dann alles still.
Renate athmete auf und schritt auf den Tisch zu, um die Lampe wieder höher zu schrauben; aber im selben Augenblicke fuhr sie zurück; sie hatte deutlich einen Kopf gesehen, der von der Seite her sich vorbeugte und in das Zimmer hineinstarrte.
Keines Wortes mächtig und nur mühsam an der Sopha- lehne sich haltend, wies sie auf das Fenster, vor dem jetzt wie ein Schattenriß eine Gestalt stand, mit der Linken an dem Weingeäst sich klammernd, während die mit einem Fausthandschuh überzogene Rechte die Scheibe eindrückte und nach dem Fensterriegel suchte, um von innen her zu öffnen.
Alle drei Mädchen schrieen laut auf und stoben auseinander; Kathinka, aller sonstigen Entschlossenheit bar, faltete die Hände und versuchte zu beten, Renate riß an der Klingelschnur, gleichgiltig gegen die Vorstellung, daß niemand da sei, die Klingel zu hören, während Marie, von äußerster Angst erfaßt, in die Gefahr hinein sprang und, ohne zu wissen, was sie that, zu einem Stoß gegen die Brust des Draußenstehenden ausholte. Aber ehe der Stoß traf, knackte und krachte die Spalierlatte, und die dunkele Gestalt draußen stürzte auf den Schnee des Hofes nieder. ^
Keines der Mädchen wagte es, einen Blick hinaus zu thun, aber sie hörten jetzt deutlich den Ton der Flurglocke, die Renate fortfuhr zu läuten, und gleich darauf das Anschlägen eines Hundes. Es war ersichtlich, daß Hektar seine neben der Herdwand liegende warme Binsenmatte dem Tanzvergnügen im Krug vorgezogen, und ohne daß jemand davon wußte, das Haus gehütet hatte. Er stand jetzt unten auf der Flurhalle, unsicher, was das Läuten meine, und sein Bellen und Winseln schien zu fragen: wohin? Aber er sollte nicht lange auf Antwort warten. Renate, die Thür öffnend, rief mit lauter Stimme den Korridor hinunter: „Hektar!" und ehe noch der Ton in dem langen Gange verklungen war, hörte sie das treue Thier, das in mächtigen Sätzen treppan sprang und im nächsten Augenblicke schon der jungen Herrin seine Pfoten auf die Schulter legte und sie ansah, als ob es sagen wolle: „Hier bin ich!" Alle Angst war plötzlich von ihr abgefallcn; sie faßte mit der Linken das Halsband, um Halt und Stütze zu haben, und flog dann mit ihm treppab über den Hof hin. Als sie eben von der Auffahrt her in die Dorfgasse einbiegen wollte, stand der alte Bitzewitz vor ihr.
„Gott sei Dank, Papa - Diebe - - komm!"
Im nächsten Augenblick war der Alte in dein Zimmer oben, wo sich Kathinka weinend an seinen Hals warf, während Marie ihm mit noch zitternden Lippen die Hände küßte. !
XXV. Die Suche. !
Der andere Morgen sah die Familie sammt ihren Gästen !
wie gewöhulich in: Eckzimmer des Erdgeschosses versammelt. !
Nur Renate fehlte; sie hatte Fieber, und ein Bote war bereits ;
unterwegs, um den alten Doktor Leist von Lebus herbeizuholen. !
Das Gespräch drehte sich natürlich um den vorhergehenden ^
Abend, und Kathinka, die sich in übertriebener Schilderung ihrer ö
ausgestandeneu Angst gefiel, suchte durch Selbstpersiflirung ein q
Gefühl gekränkter Eitelkeit, das sie nicht los werden konnte, so !
gut wie möglich auszugleichen. Sie gerietst dabei in einen halb scherzhaften Ton, der aber dem alten Vitzewitz durchaus