Issue 
(1878) 23
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Ich habe kein Recht, die Motive zu kruisiren, die meinen Papa bestimmt haben mögen, sich zu expatriiren, aber er hat uns durch diesen Schritt, den er that, keinen Segen ins Hans gebracht. Unser Name ist polnisch, und unsere Vergangenheit und zu bestem Theil auch unser Besitz, so weit wir ihn vor der Konfiskation gerettet haben. Und nun sind wir Preußen! Der Vater mit einer Art von Fanatismus, Kathinka mit ab­gewandtem, ich mit zugewandtem Sinn, aber doch mit einer Liebe, die mehr aus der Betrachtung als aus dem Blute stammt. Und wie wir nicht recht ein Vaterland haben, so haben wir auch nicht recht ein Haus, eine Familie. Und das ist das Schlimmste. Es sehlt uns der Mittelpunkt. Kathinka und ich, wir sind ausgewachsen, aber nicht auferzogen. Was wir an Erziehung genossen haben, war eine Erziehung für die Gesellschaft. Und so leben wir bunte Tage, aber nicht glück­liche, wir zerstreuen uns, wir haben halbe Freuden, aber nicht ganze und sicherlich keinen Frieden."

Dem alten Vitzewitz war kein Wort verloren gegangen. Er kannte das Leben der Ladalinskis bis dahin nur in den großen Zügen, und das Ansehen, das der Vater in einzelnen prinzlichen Kreisen genoß, sein auch jetzt noch bedeutendes Ver­mögen, vor allem aber das jeder Engherzigkeit Entkleidete, das alle Mitglieder dieses Hauses gleichmäßig auszeichnete, hatte ihn eine Verbindung mit demselben stets als etwas in hohem Maße Wünschenswerthes erscheinen lassen. Heute zum ersten Male, während er doch zugleich den Bekenntnissen Tubals mit gesteigerter Theilnahme folgte, beschlich ihn ein Zweifel, ob es gerathen sein würde, das Schicksal seiner beiden Kinder an das dieser Familie zu ketten.

Auch Lewin und der junge Scharwenka plauderten leb­haft. Sie waren gleichalterig, weshalb denn auch Lewin, dem Wunsche des alten Spielkameraden nachgebend, das ehemalige Du" beibehalten hatte. Hanne Bogun schritt pfeifend hinter ihnen und unterhielt sich damit, Vogelstimmen nachzuahmen.

Wie steht es mit Maline?" fragte Lewin.

Schlecht oder gar nicht, Sie hat mir abgeschrieben."

Ich habe davon gehört. Aber Du sollst sie ja gekränkt haben; Du hättest ihr ihre Armuth vorgeworfen."

Das erzählt Fräulein Renate, die alles glaubt, was ihr Maline sagt. Sehen Sie, junger Herr, das ist nun das aller­häßlichste an ihr, daß sie nicht die Wahrheit sagt und mich verschwatzt. Und ich litt' es auch nicht, blos daß ich denke, man kann doch nicht wissen, wie es kommt. Und dann will ich die, die vielleicht doch noch meine Frau wird, nicht schon vorher in aller Leute Mäuler gebracht haben."

Aber Du mußt ihr doch etwas zu Leide gethan oder ihr irgend was gesagt haben, das sie Dir übel nehmen konnte."

Ja, weil sie alles übel nimmt. In dem Briefe, worin sie mir abschrieb, stand:Wir Scharwenkas hätten einen Bauern­stolz;" aber, junger Herr, wenn wir den Bauernstolz haben, dann haben die Kubalkes den Küsterstolz. Ihr Vater, der alte Kubalke, hat ja den Kirchenschlüssel und dann und wann Sonntags, wenn der Pastor Abhaltung hat, liest er uns auch das Evangelium vor. Und er kann auch Grabschristen machen, und Verse zu Hochzeiten und Kindelbier. Daneben müssen sich denn freilich die Bauern verstecken; wenigstens glauben das alle Kubalkes, als ob es selber ein Evangelium wäre. Und die kleine Eve, drüben in Guse, das ist die schlimmste, denn die gnädige Gräfin verwöhnt sie jeden Tag mehr."

Aber Maline?"

Ja, Maline! Sie ist nicht so schlimm wie die Eve, aber eitel und hochmüthig ist sie auch. Und seit Martini, wo der alte Justizrath hier war und zu ihr sagte:Maline sei ein wendisches Wort und heiße Himbeere, und sie heiße nicht blos so, sie sei auch eine," seit diesem Tage ist es mit ihr nicht länger auszuhalten. Und wie kam es denn? Und was hat sie mir übel genommen? Ich sollte ihr das große karirte Tuch holen, und als ich es ihr nun wirklich geholt hatte, da wollte sie, daß ich es ihr auch umhängen sollte. Da sagte ich zu ihr:Du bist keine Prinzeß, Maline, Du bist eines armen Schulmeisters Tochter." Und da verschwatzt sie mich nun und klagt den Leuten vor, ich hätte ihr ihre Armuth vorgeworfen!

Und was war es? Ihren Hochmuth habe ich ihr vorgeworfen. Aber Worte verdrehen und Lügen aufzuputzen, als ob es die Wahrheit wäre, darauf versteht sie sich. Und wenn ich ihr nicht so gut wäre denn der alte Jnstizrath hat eigentlich recht so wäre es schon lange mit uns aus gewesen. Nun ist es auch wirklich vorbei; aber ich denke doch immer noch, es soll wieder einklingen."

Unter solchem Geplauder, das den mittheilsamen Krügers­sohn ganz und gar und den ihm zuhörenden, meist nur Fragen stellenden Lewin wenigstens halb in Anspruch genommen hatte, hatten beide junge Männer nicht daraus geachtet, daß das Pfeifen hinter ihnen still geworden war. Als sie sich von un­gefähr umwandten, sahen sie den eine gute Strecke zurück­gebliebenen Hanne Bogun, wie er, die beiden Jagdtaschen von der Schulter streifend, eben im Begriff stand eine Kiefer zu erklettern, die sich nach oben hin in zwei weit von einander stehende Aeste theilte. Es war dies der höchste Punkt der ganzen Gegend, und die Absicht des Hütejungen, von hier aus Umschau zu halten, lag klar zu Tage. Aber jede Betrachtung über das, was er wolle oder nicht wolle, ging in dem Schau­spiel unter, das ihnen jetzt die Klettergeschicklichkeit des Ein­armigen gewährte. Er klemmte den Stumpf fest, als ob er den Arm selbst gar nicht vermisse, und geschickt die am schlanken Stamm hin kurz abgebrochenen Aststellen benutzend, aus denen er sich wie auf Leitersprossen ausruhte, war er noch eher oben, als die beiden jungen Männer den Weg bis zu der Kiefer hin zurückgelegt hatten.

Was gibt es, Hanne?"

Er machte von der Gabel aus, in der er jetzt stand, eine Handbewegung, als ob er nicht gestört sein wolle, und sah dann erst die Flußufer auf- und abwärts, zuletzt auch ins Neu- märkische hinüber. Er schien aber nichts zu finden und glitt, nachdem er sein Auge den ganzen Kreis nochmals hatte be­schreiben lassen, mit derselben Leichtigkeit wieder hinab, mit der er fünf Minuten vorher hinaufgestiegen war.

Er blieb nun, während die beiden jungen Männer rasch weiter schritten, in gleicher Linie mit ihnen und gab auf die kurzen Fragen, die Lewin von Zeit zu Zeit an ihn richtete, noch kürzere Antworten.

Nun, Hanne, was meinst Du, werden wir sie finden?"

Der Hütejunge schüttelte den Kopf in einer Weise, die ebenso gut Zustimmung wie Zweifel ausdrücken konnte.

Ich begreife nicht, daß die Gorgaster und Manschnower ihnen nicht besser auspassen. Es gibt doch hier keine Schlupf­winkel, kaum ein Stückchen Wald; dabei liegt Schnee. Ich glaube, sie haben ihre Helfershelfer; sonst müßte man doch endlich Bescheid wissen."

Manch een mag et wol weetm?" sagte der Hütejunge.

Ja, aber wer istmanch een?"

Der Hütejunge lächelte Pfiffig vor sich hin und fing wieder an, eine Vogelstimme nachzuahmen, vielleicht aus Zufall, viel­leicht auch um eine Andeutung zu geben.

Du machst ja ein Gesicht, Hanne, als ob Du etwas wüßtest. An wen denkst Du?"

Hanne schwieg.

Es soll Dein Schaden nicht sein. Nicht wahr, Schar­wenka, wir kaufen ihm eine Pelzmütze und hängen ihm einen blanken Groschen an die Troddel! Nun, Hanne, wer ist manch een?"

Hanne schritt ruhig weiter, sah nicht links und nicht rechts und sagte vor sich hin:Hoppenmarieken".

Lewin lachte.Natürlich, Hoppenmarieken muß alles wissen. Was ihr die Karten nicht verrathen, das verrathen ihr die Vögel, und was die Vögel nicht wissen, das weiß der Zauberspiegel. Dieselben Kerle, die sie gewürgt haben, werden ihr doch nicht ihren Zufluchtsort verrathen haben."

Der Hütejunge ließ sich aber nicht stören und wiederholte nur mit einem Ausdruck von Bestimmtheit:se weet et".

Während dieses Gespräches hatten alle drei den Punkt er­reicht, wo sie, nach der am Wäldchen getroffenen Verabredung, den auf der Höhe laufenden Fußweg aufgeben, nach links hin niedersteigen und über den Fluß gehen mußten. Ihnen gegen-