Heft 
(1878) 25
Seite
407
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Was ist aus all diesen Gebräuchen geworden? Sie sind bis auf wenige Ueberbleibsel total verschwunden. Zunächst hat das Gesetz selbst eine Bresche in dieselben gelegt. Die einge­führte Oeffentlichkeit und Mündlichkeit des Verfahrens bedingt eine öffentliche Vernehmung und Vereidung der Zeugen. In ganzen Trupps ruft man sie in Schwurgerichtsfachen an­gesichts unzählicher Zuschauer am Schlüsse der Beweisaufnahme an den Gerichtstisch heran, die Eidesformel wird ihnen vor­gesprochen, die Zeugen sprechen sie zusammen nach, ein unver­ständliches Summen durchläuft den Saal, niemand, selbst nicht der Richter, kann kontrolliren, ob jeder Zeuge auch wirklich jedes Wort nachspricht. Die Gesetzgebung hat wieder die er­wähnten Förmlichkeiten bei den Eiden der Juden abgeschafft, sie schwören jetzt denselben Eid wie die Christen, nur daß die Schlußformel anders lautet. Und wo sind die Gerichtsgebräuche geblieben? In den meisten Gerichten existirt gar kein Schwur­zimmer mehr, und wo es dein Namen nach vorhanden, wird es zu ganz andern Zwecken benutzt, der schwarze Tisch und die brennenden Lichter sind verschwunden, kaum daß noch hier und da auf dem großen Richtertische ein Cruzifix aus alter Zeit stehen geblieben ist. Die Ausnahme, daß bei höher Gebildeten von der längeren Ermahnung Abstand genommen werden könne, ist zur Regel geworden, eine kurze trockene Vorhaltung, die Wahr­heit bei Vermeidung irdischer und himmlischer Strafen zu sagen, geht der Eidesleistung vorher, und die ganze Ceremonie besteht nur noch darin, daß der Richter und die Zuhörer sich von den Plätzen erheben und der Schwörende die rechte Hand in die Höhe hält. Daß diese wenigen Feierlichkeiten eigentlich gar keine Feierlichkeiten sind, und daß sie namentlich durchaus ungeeignet erscheinen, um durch die Macht äußeren Eindrucks einen bösen Vorsatz zu brechen, liegt auf der Hand. Man könnte sie auch noch weglassen, ohne größern Schaden anzu­richten.

Worin soll nun aber die erhöhte Feierlichkeit bei Abnahme der Eide bestehen? Wir verlangen vor allem zweierlei, und zwar erstens den Ausschluß der Oeffentlichkeit bei der Eides­leistung. Die alte preußische Gerichtsordnung traf den Nagel

auf den Kops, indem sie im Anhangsparagraph 93 bestimmte, daß der Eid nur in Gegenwart der Parteien und unter Ent­fernung aller Zuschauer geleistet werden solle, damit derjenige, von welchem der Eid zu leisten sei, nicht etwa durch Furcht übler Nachrede abgehalten werde, der Stimme des Gewis­sens zu folgen und eine Eidesleistung abzulehnen, wozu er sich vielleicht anfänglich auf leichtsinnige Art bereit erklärt hätte.

Dies ist das allein richtige, die Schärfung des Gewissens unmittelbar vor dem Akte. Daß man dieselbe im stillen ab­geschlossenen Schwurzimmer viel leichter erreicht als in einem großen Saale, dessen Zuschauerraum mit Neugierigen, mit Fremden, mit Bekannten, Freunden oder Feinden des zu Ver­eidigenden gefüllt ist, die einen Rücktritt vom Eide mit den verschiedensten Gefühlen, namentlich aber mit Hohn und Spott ansnehmen würden, das bedarf keines weiteren Beweises. Zwei­tens aber verlangen wir eine der Heiligkeit der Handlung ent­sprechende Ausstattung der Schwurzimmer. Dasselbe sei frei von allen nicht dahin gehörigen Dingen, einfach und würdig. Selbst am Tage nur durch Kerzenlicht erhellt, darf der schwarz- behangene Tisch und das Crucifix nicht fehlen, auf das der Schwörende die linke Hand zu legen hat. Eine kurze, aber schlagende, zum Gefühl und zum Herzen sprechende Ermahnung ist gewiß stets an ihrer Stelle. Endlich müssen auch die Ge- richtspersoueu, die den Eid abzunehmen berufen sind, durch ihre äußere Erscheinung erkennen lassen, daß sie sich der Aus­übung der heiligsten ihrer Pflichten erinnern.

Und der Erfolg! Es kann davon nicht die Rede sein, daß man durch derartige Ceremonien den Meineid an der Wurzel vertilgt, denn es gibt verstockte Gemüther genug, die äußeren Eindrücken absolut unzugänglich sind, aber wenn auch nur hier und da, wie ja so oft im menschlichen Leben, die Erinnerung an die in der fernen Kindheit gehörten Lehren eine lang ver­stummte Saite des Herzens wieder ertönen läßt, wenn nur hier und da ein Mensch in letzter Stunde den späteren Qualen des Gewissens entrissen wird, ist dann nicht schon ein segensreicher Erfolg zu verzeichnen?

Am Aawikientische.

Ein Zug aus dem Lebe» der deutschen Kronprinzessin.

Von H. v. W.

Der geneigte Leser erinnert sich gewiß der Widmung, die Gustav Freytag vor seinenAhnen", in dem berechtigten Vollgefühl, daß er etwas Großes, ja ein Nationalwerk geschaffen, an keine geringere Person als die Kronprinzessin des deutschen Reichs richtet. Aber es führte ihm neben diesem großen noch ein kleiner aber sinniger Grund die Hand. Er schließt sein Widmungswort:Daß die Erzählung eine Landschaft schildert, in welcher Ew. Kaiserlichen Hoheit die Menschen, Berge und Wälder lieb sind, war dem Verfasser während der ganzen Arbeit eine geheime Freude." Es ist vor allem das Thal der Jtz, des Jdisbaches, über dessen Rand die Festung Koburg, weit in fränkisches und thürin­gisches Land schauend, mit ihren Nebenbergen aufsteigt; ein Land- schastsbild, so malerisch schön wie wenige m deutschen Landen. Noch heute theilt der Wanderer, wenn er von Norden kommt, die Freude der unter Ingo einwandernden Thüringer, als siejenseits des Kiefern­waldes von der Höhe in ein weites Thal schauten, das mit ansehn­lichen Hügeln und dichtem Laubwald eingefaßt war;" die Wiesen durch­zogen vomgewundenen Lauf des Jdisbaches". Noch vor zwölf Jahren war diese Festung Koburg der geographische Mittelpunkt des Vater­landes, und es hat vor dreihundert Jahren einen Moment gegeben, wo dieser herrliche Punkt auch eine Art geschichtliches Centrum war. Von hier aus hat Luther den Verlauf des Augsburger Reichstags leiten helfen. Noch betreten wir andächtig die Zelle, wo er mit innerster Spannung jenen schicksalsvollen Tagen folgte. Wir wissen ans vielfachen Bekenntnissen, mit welcher Liebe Prinz Albert an diesem seinem Heimatlande hing, wie dieser sympathische Zug auf seine könig­liche Gemahlin und auf deren älteste Tochter, die deutsche Kron­prinzessin, überging. In der unfernen Rosenau hat der Prinz, den sein Geschick aus stillen thüringischen Waldthälern neben den mächtigsten Thron der Welt rief, seine Jugendspiele gespielt. Jetzt steht die schöne Gestalt in Erz auf dem Hauptplatz seiner Vaterstadt; aber die lebendige Gestalt ihres Lieblings lebt in zahlreichen Erinnerungen in der Pietät der Kobnrger fort. In ihm hat der Flügelschlag der Weltgeschichte diese abgelegenen Stätten berührt. Denn bei allem Großen fragt man nach der Wiege, aus der es hervorgewachsen.

-K 4-

Auf einer vorjährigen Sommerwanderung führte mich mein Weg an Koburg vorüber. Aber ich hätte meinen G. Freytag nicht so

gründlich gelesen haben müssen, hätte ich es wirklich über das Herz gebracht, an all dem Schönen vorüberzufahren. Die Sonne schien zu hell, und alles glänzte und lockte: der grüne Jtzgrund, die villen­bedeckten Höhen. Noch am Abend bestieg ich den Festungsberg selbst, andern Morgens wollte ich von dem vorliegenden Eckartsberg mit dem Aussichtsthurm", einem freien Luginsland, in die Weite schauen. Ich war so kühn, den Fahrweg zu verschmähen, und stieg den steilsten, der sich gerade bot, mühsam und keuchend hinan. Oben liegt ein kleines Wirthshaus. Die rundliche Wirthsfrau trat mir freundlich fragend entgegen, und von ihr mit frischem Trunk gelabt, (wer kennt nicht Koburgs Stärke im Gerstensaft?) hatte ich bald die überwundenen Mühen vergessen.

Ja," sagte sie,warum wählen Sie auch den allersteilsten Weg? Wissen Sie, wem Sie es da nachgemacht haben? Niemandem anders als der deutschen Kronprinzessin."

Wie das? Bitte, erzählen Sie."

Es war offenbar die Haupt- und Kerngeschichte der guten dicken Frau, und sie ließ sich nicht nöthigen.

Ja, sehen Sie, es war vor zwei Jahren an einem eben so heißen Sommermorgen wie heute, zwischen neun und zehn Uhr, da kommt eine stattliche Dame in einem einfachen gelblichen Sommerkleid und einem kleinen braunen Hütchen heiß und müde heraufgestiegen. Ich führe sie ins Gastzimmer, und sie erzählt, sie Hütte den rechten Fuß­weg verfehlt und wäre von einem Flurschützen angehalten worden, drei Mark Strafe zu bezahlen. Durch Gestrüpp arbeitet sie sich weiter vor­wärts, und als ein verschlossenes Gitter den Weg versperrt, klettert sie ohne Umstände darüber weg. Ich wunderte mich über dieses Wag­stück, und sagte das auch der Dame, aber sie erwiderte frischweg:mir ist nichts unmöglich".

Darauf läßt sie sich ein tüchtiges Butterbrot mit Schinken und ein Glas Warmbier trefflich schmecken und auf die hingelegte Mark - - denn die Zeche kostete nur 56 Pfennige nimmt sie den Rest ohne Weigern zurück. Bald hatte sich auch mein Mann im Zimmer eingefunden, und während ich meinen Geschäften nachging, unterhielt er sich so eifrig mit der unbekannten Dame, daß ich beim Wiedereintreten ganz erstaunt sagte:nun, so etwas habe ich noch nicht an Dir erlebt, Alter, sonst gehst Du den Damen immer aus dem Wege und jetzt unterhältst Du Dich, daß ich eifersüchtig werden könnte." Und nun nehme ich selbst das Wort.