Heft 
(1878) 25
Seite
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Die Unbekannte läßt sich dann von den Wirthsleuten auf den Aussichtsthnrm führen und schaut durch das bereit liegende Fernrohr hinaus in die wunderbare sonnenbeschienene Gotleswelt, ostwärts nach Kloster Banz und dem Wallfahrtsort Vierzehnheiligen, nach den Thüringer Waldbergen im Norden und gen Abend nach dem fernen Rhön und derfränkischen Leuchte" bei Heldrnngen. Und im Vor­grund der malerische Kallenberg und Nenseß Rückertschen Andenkens mit einer Dichterherberge und einem Dichtergrab! Alles wollte die Fremde wissen. Die Wirthin wurde zutraulicher und erzählte, gestern sei die Königin von England (damals zum Besuch am Koburger Hof) hier oben gewesen. Aber sie sei so stolz und hätte sie keines Blicks ge­würdigt, obwohl sie doch dem königlichen Gast zu Ehren eigens eine reine weiße Schürze umgebnnden habe.

Ja," setzte sie mit einen Seitenblick hinzu,wenn Sie ein schwarzes Kleid anhätten, so würde ich sagen, Sie sind die Königin von England, so ähnlich sind Sie ihr."

Nun," war die als Scherz genommene Antwort,da könnte wohl etwas dran sein."

Die Dame konnte sich von der schönen Stelle schwer losreißen, wohl anderthalb Stunden blieb sie oben; auch ihren Mann versprach sie einmal mit hinaufzubringen. Dann erzählte sie den schlichten Leuten von ihren Reisen, von Fabriken, neuen Erfindungen, wie man das Papier jetzt mache re., und so kam sie auch auf Berlin, sprach von den dortigen Herrlichkeiten, und vor allem von nnserm alten ehr­würdigen Kaiser. Als die Leute fragten,haben Sie denn den Kaiser schon gesehen?" erwiderte sie lächelnd,o ja, das könnte Wohl sein."

Der Wirth meinte:Ja, den Kaiser haben wir alle lieb, aber jetzt sind die Koburger etwas ärgerlich auf ihn. Als er vor ein paar Tagen zum Besuch der Königin hier war, hat die Stadt alles gethan, aber der hohe Herr hat sich die Illumination kaum angesehen.Doch freilich," setzte er verständig hinzu,er hat dergleichen wohl schon oft gesehen und war müde. Was werden doch den hohen Herrschaften all für Ehren erwiesen! Wie sie Gewehr prüsentiren re.!"

Nun," bemerkte die fremde Dame,vor mir ist auch schon das Gewehr präsentirt worden."

Aber die guten Leute, mit Blindheit geschlagen, sahen darin kein Fallenlassen des Schleiers, sondern nur heitern Schwindel, der sich in der goldenen Morgenstunde ganz gut ausnahm. Die Fremde schüttelte dem Wirthspaar die Hand, stieg dann, leichter als aufwärts, den Berg wieder hinab, und der gute damenscheue Wirth gestand seiner Frau, noch nie habe eine Dame so herablassend mit seiner Wenigkeit gesprochen.

Alle Großen der Erde wandelt mitunter die Lust an, wie Harnn- al-Raschid ungekannt durch die niedere Erdenwelt zu schweifen, menschlich einfach, sehend und doch ungesehen. So war es auch der Kronprin­zessin ergangen. Sie hatte, um den vielgepriesenen Aussichtsthnrm zu sehen und wirklich zu genießen, Equipage und Diener um 11 Uhr des Morgens in den Schloßhof befohlen. Aber diese gewöhnliche Art, mit der Natur zu verkehren, war ihr inzwischen leid geworden. Sie eilte in früher Stunde in bürgerlichster Verkleidung durch eine Seiten­thür des Schlosses davon, um mit dem Reiz des Entdeckens sich selbst den Weg zu suchen. Als die bestellte Equipage vorfnhr, war das Nest ansgeflogen. Kutscher und Bedienter aber, schon vertraut mit den romantischen Anwandlungen ihrer Herrin, fuhren auf dem gewöhnlichen Fahrweg ihr nach. Oben fand sich die hohe Frau nicht mehr vor, wohl aber hörten die erstaunten und erschrockenen Wirthsleute, mit wem sie ein so trauliches Ständlein geplaudert hatten. Und diekon- fidentiellen Mittheilnngen" über Kaiser und Königin, Mutter und Schwiegervater! Erst auf der Rückfahrt stieß der Wagen auf den Flüchtling, der von den: steilen Bergpfade herabkam. Inkognito, Ro­mantik, Freiheit hatten ein Ende, und sie war wieder die Kron­prinzessin des deutschen Reiches.

Im Schlosse war sie vermißt worden; an der Hostasel ausgefragt über ihre Irrfahrten, beichtete sie mit bestem Humor dem Herzog von Koburg die Abenteuer dieses Morgens. Die Sage geht, der besorgte Oheim habe ein etwas gestrenges Gesicht gemacht, weil der allzuflügge Ver­such noch auf andere Schwierigkeiten als einen überpflichteifrigen Schutz­geist der Feldmark habe stoßen können. Aber die Kronprinzessin hatte sich noch ein Notabene vom Aussichtsthnrm mitgenommen. Als bald darauf abermals die guten Koburger ihre Stadt illuminirten, und sie mag Prächtig gestrahlt haben die anmnthige Stadt mit ihren Billen, die die Höhen hinanklettern fuhr die Gefeierte durch alle Gassen und Gäßchen, um wieder gut zu machen, was der vielgeplagte Kaiser nach dem un­maßgeblichen Urtheile der Wirthsleute ans dem Eckartsberge ver­säumt hatte.

Die kleine Scene dort oben ist aber der beste Schatz der guten Leute geblieben, und wenn Regenwetter und Langeweile da oben einkehren, so setzen sie gewiß dem verschlagenen Wanderer dies Beste vor, was sie außer Bier, Kaffee undBntterrosen" zu bieten vermögen.

Und die Heldin der Geschichte?

Ja, sie mag, sollte ihr dies vielleicht längst vergessene kleine Er-

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lebniß hier wieder vor Augen kommen, denken und sich sagen: Ein Fürstenleben ist doch ein Leben im Glashaus; da gibt es kein In­kognito! Aber das setzen wir hinzu es ist schön, wenn das enthüllte Inkognito auch die echten Züge liebenswürdiger Menschlich­keit, den Menschen im Fürsten enthüllt.

Ich aber, nachdem ich Leibliches und Geistiges und Natürliches sattsam genossen, dachte: Der steile Weg, auf dem Deine dereinstige Kaiserin geklettert, ist auch für Dich gut genug und eilte bergab. Doch ans mich wartete leider keine Hofequipagc. Bald ging es ans Dampfesflügeln der alten guten Reichsstadt Nürnberg zu, wo in der Abendsonne die alte Kaiserburg auch zollersche und kaiserliche Erin­nerungen weckte.

Leo XIII in St. Peter.

(Zu dom Bilde auf S. 897.)

Die Wahl des neuen Papstes erfolgte am Mittwoch, den 20. Fe­bruar; kurz nachdem sie stattgefunden hatte, schritt der Kardinal Cate- riui unter Vorantragnng des päpstlichen Kreuzes an das Fenster des Mittelbalkvns der Peterskirche, welches nach dem Platze herausschaut und las dort die folgende vorgeschriebene Formel: Xununoio völlig gnnckinin nmnmn: Dnpnin linbsrnns, vminentissinrnin ao rsvsrvn- clmsiinnin Dominum ckonobimum Dscci, gut 8iln imposuit nomon Dkonsrn XIII/J Unterdessen wurde der neue Papst vom Kardinal Ma- rinelli mit dein päpstlichen Ornate versehen, woraus er sich, dem Altar in der siptinischen Kapelle gegenüber, au; seinen Thron setzte, wo nun die Kardinale der Reihe nach vortretend ihn: ihre Huldigung durch Fußkuß darbrachten.

Nachdem diese Cercmonie vorüber, öffnete sich die Thür der Ka­pelle, und Leo XllI schritt, gefolgt von dem Kardinalskolleginm durch die Sala Dueale und ging die Stufen hinan, die zur Peterskirche führen. Unterdessen hatte sich die Nachricht von der erfolgten Papst­wahl wie ein Lauffeuer durch Rom verbreitet, und sowohl das Innere der Peterskirche wie der Platz vor derselben war mit einer dicht­gedrängten Mcnschenmasse erfüllt, die auf den Segenssprnch des neuen Papstes harrte und nur ungewiß war, ob derselbe nach dem Innern der Kirche zn, oder nach dem Platze vor derselben erthcilt werden würde. Der Papst entschied sich für den erstercn Platz. Diener cr- erschienen, welche einen rothen Teppich über die Balustrade des inneren Balkons hingen; alsdann erschien, unter Bortragnng des Kreuzes Leo XllI, empfangen von einem nicht enden wollenden Jnbelrufen. Nur mit Mühe erreichten es die neben ihm stehenden Kardinäle durch Winken mit den Händen, daß der Enthusiasmus sich legte, und als nun Stille eingetreten war, erhob sich der Papst, sprach mit lauter weithin vernehmbarer Stimme den Segen und machte dreimal das Zeichen des Kreuzes über die versammelte Menge. Als er sich zurück­zog, brach der Beifallssturm wieder ans, und lauge noch wehten, ihm zum Gruße, die Taschentücher der Frauen.

*) Ich verkündige Euch große Freude: Wir haben einen Papst, den erhabensten und hochgeehrtesten Herrn Joachim Peeci, der sich den Namen Leo XIII gegeben hat.

Briefkasten.

I. H. in B. Die Idee eines Hanfes für Arbeiterinvaliden entstand m folgender Weise: Nachdem die christlich-socialen Arbeiter sich znm ersten Mal mit den social-demokratischen in offener Versammlung gemessen hatten, übersendete ein unbekannter Geber am anderen Morgen Herrn Hofprediger Stöcker 5V Mark als Anfang zn einem Hause für Arbciterinvaliden. Seitdem sind bereits mehr als 8»oo Mark für diesen Zweck, zu dessen Verwirklichung freilich etwa tuo.uoo Mark nöthig wären, eingescndet. Sie finden die Idee trefflich wohlan, senden auch Sie Ihr Scherflein dem genannten Herren nach Berlin.

Dg. Den Zeitpunkt können wir Ihnen leider noch nicht angcbcn. B. in B. Schicken Sic uns das Manuskript mit beigelcgtcm Porto für die event. Rücksendung. N. in Naier». Es kann uns ja nur lieb sein, wenn Sie uns von Zeit zn Zeit Ihr Nrtheil mittheilen, Sie dürfen nur keine Antwort erwarten. Nebrigens besten Dank für die eben so mann(/)hafte wie berechtigte Bertheidignng in Sachen G. Pis. F. Pl in Warscban. Der Erfüllung ihres Wunsches stehen leider unüberwindliche j technische Schwierigkeiten im Wege. F. Ht in Leipzig M- Wir würden durch ' Aufnahme Ihres Artikels großes Unheil anrichten. Wäre nach dieser Seite irgend welche Aussicht auf Erfolg, so geschähe alles nöthige auch ohne solche Ausführungen, die ihren Freunden sehr schaden könnten. Lassen Sie das doch ja. L. Fr. N. in ä)., W. in Br., Fr. L., L. .N. in E. Für uns nicht geeignet. R. Tt. in L. Wir haben in dieser Beziehung viel Unglück gehabt. Auch gut geladene Gewehrs versagen mitunter. Elsa Werner in W. Wir beantworten nur Fragen literari­scher Art. .H. I. 0>>. in M. E- scheint uns doch ein Jrrthum in der Beobachtung vorzuliegen. Anonymus in Stockholm. Liegt uns zn fern.

Inhalt: Bor dem Sturm. (Fortsetzung.) Roman von Theodor Fontane. Pädagogische Briefe. Von D. W. Herbst. I. Offene oder geschlossene Bildnngsanstalten? Die Schützlinge. (Fortsetzung.) Bon Bl. von Reichenbach. Die beiden frühesten Bildnisse Kaiser Wilhelms. Zum 81. Geburtstage des Kaisers. Der Eid vor Ge­richt. Von H. Engelcke. Am Familientische: Ein Zug aus dem Leben der Kronprinzessin. Bon H. v. W. -- Leo XllI in St. Peter. Mit Zeichnung nach dem Leben.

Zur gefälligen Geachtimg.

Mit der nächsten Nummer schließt das zweite Quartal des XlV. Jahrgangs des Daheim. Wir bitten die geehrten Abonnenten, besonders die der Post, ihre Bestellungen auf das dritte Quartal rechtzeitig auszugeben, damit keine Unterbrechung entstehe. Daheim - Erpe-itiair.

Herausgeber: vr. Aoßcrt Koenig und Theodor Kermann Aanlenius in Leipzig. Für die Redaktion verantwortlich Atto Kkasing in Leipzig.

Verlag der Daheim - Krpeditrou (Melhagen L Ktastng) in Leipzig. Druck von A. tz>. Teubner in Leipzig

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