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Bleibt während des Sommers der Regen nicht gänzlich ans, dann ist ans eine gute Ernte sicher zu rechnen, bei welcher den Bauer oft nur die Sorge Plagt, wo er die gewonnene Frucht unterbringe und wie er sie los werde. Da er eine Scheune nicht hat und nicht kennt, so wird die Arbeit des Dreschens gleich aus dem Felde vorgenommen, und zwar von den Ochsen, die ans den ausgebreiteten Frnchthalmcn so lange herumstampsen, bis ihr Herr glaubt, es sei genug, das Stroh fortnimmt und die goldenen Körner zusammenkehrt. Mit dem Stroh weiß man nichts besseres anzufangen, als es gleich auf dem Felde zu verbrennen.
Ist während der Ernte viel Getreide ausgefallen, das im nächsten Frühjahr fröhlich aufgeht, so fällt es dem Bauer überhaupt nicht ein, nochmals zu bestellen. Er legt sich nun erst recht ans die Bärenhaut, weiß er doch, daß er auch von dem ausgefallenen Getreide noch genug erntet, um sich wieder ein Jahr durchschlagen zu können.
Doch wie gesagt, das war vor zehn Jahren. Jetzt sieht es schon etwas anders aus im Lande. Die Eisenbahnen und die durch dieselben bewirkte Erweiterung des Verkehrs haben zum Theil Wunder gewirkt. Als ich vor drei Jahren Rumänien fast in seiner ganzen Ausdehnung von Suceawa über Galatz und Braila bis Bukarest durchreiste, mußte ich über die Umwandlung erstaunen. Zu beiden Seiten des Bahnkörpers, der bei seiner Anlegung scheinbar wüste Steppen durchschnitt, so daß es bisweilen schwierig war, das Arbeiterpersonal zu ernähren, dehnten sich unabsehbare Mais- und Weizenfelder aus, denen eine sorgfältigere Bearbeitung anzusehen war. Auf den Bahnhöfen standen ganze Wagenzüge mit goldener Frucht beladen und harrten auf die Stunde der Abfahrt. Der Bauer, der sonst eigentlich gar keine Bedürfnisse gekannt und sich begnügt hatte, wenn er seine Mamaliga — das aus dickem Maisbrei bereitete Nationalgericht der Rumänen — und dazu eine Zwiebel oder Wassermelone hatte — er hat Bedürfnisse kennen gelernt. Er hat seinen Acker schätzen gelernt und sucht aus demselben den größtmöglichen Nutzen zu ziehen; Tagereiseuweit fährt er sein Getreide nach den Bahnstationen, um mit gefülltem Geldbeutel und mit allerlei Schätzen für Haus und Familie beladen, wieder heimzukehren.
Die Hauptfrüchte Rumäniens sind Weizen und Mais, daneben wird, wenngleich in weit geringeren Massen, Roggen, Gerste, auch Hafer gebaut. Große Tabakspflanzungen sind nicht selten. Kartoffeln gedeihen in dem fetten Boden nicht, sie sind seifig und geschmacklos. Gemüse dagegen gedeihen in vorzüglicher Weise, und zwar nicht nur die auch in Deutschland gekannten, sondern auch die südlichen, an deren Genuß man sich schnell gewöhnt, und die man später ungern entbehrt. Alle gnrkenartigen Früchte sind gleichfalls vorzüglich. Melonen werden in Unmassen gebaut und vertilgt, und zwar sowohl die gelben Zuckermelonen, wie die grünen Wassermelonen, letztere oft in wahrhaft erschreckender Größe. Von Wein und Obst habe ich bereits gesprochen.
Einzelne Strecken Landes, namentlich die Gegenden an der Donau, sind allerdings zum Anbau nicht geeignet. Das ist wirkliche Steppe, mir hohem Grase bewachsen und selbstverständlich nur äußerst dürftig bevölkert. Auch zieht sich bis zum schwarzen Meere hin, ja noch weiter durch das ganze südliche Rußland bis zum Kaukasus, eine lange Reihe größerer und kleinerer Seen und Sümpfe, die im Sommer höchst ungesunde Miasmen aushanchen und die Ursache des so häufigen Wechselfiebers sind.
Was das Klima betrifft, so sind die rumänischen Winter nicht so gar verschieden von den unserigen, nur nicht so andauernd. Ich habe es selbst erlebt, daß bereits Ende Februar oder Anfang März in Bukarest die Bäume und Sträucher ausschlugen und anfingen grün zu werden. Der Schrecken des Winters aber sind die Schneestürme (Kriwitz genannt), die, von den Eisfeldern Nordrußlands herkommend, durch kein Gebirge anfgehalten, Rumänien durchtoben und erst am Balkan sich brechen. Ein richtiger Kriwitz währt drei Tage. Die ganze Atmosphäre ist derart mit Schnee erfüllt, daß von einem Fallen der Schneeflocken nicht die Rede ist, und der Tag sich fast in
Nacht verwandelt. Dabei heult und saust der Sturm mit einer Wuth, als wollte er die Häuser der Menschen Hinwegsegen von der Erde und alles Lebendige unter der Schneedecke begraben. Da hört aller Verkehr auf, sowohl in den Straßen der Stadt wie draußen im Freien. Wehe dem, der nicht bei Zeiten ein schützendes Obdach erreichte — er ist verloren.
Nicht umsonst sagt übrigens ein rumänisches Sprichwort, der Reisende solle sich im Winter mit Brot, im Sommer mit einem Pelz versehen. Rumänien ist das Land der Kontraste. Einen Frühling gibt es eigentlich nicht. Ist der Winter aus, so beginnt unmittelbar der Sommer und die Hitze. Heute 9 Grad Kälte, morgen 16 Grad Wärme — solche und ähnliche Temperatnrwechsel sind nichts seltenes.
Der Sommer ist heiß, sehr heiß, ohne daß häufige Gewitter die Luft abkühlen. Namentlich in Bukarest wird die Hitze oft unerträglich. Ich selbst habe einmal auf meinem Hausthermometer, das allerdings der Sonne ausgesetzt hing, 46 — sage sechsundvierzig — Grad Rsaumur gezählt. Wer irgend kann, flieht hinaus in die Gärten, in die Weinberge, in die Karpathen, in die Bäder Siebenbürgens (Zaizon, Tnsnäd) und noch weiter. Wer bleiben muß, mag sich selbst bedauern. Wie ausgestorben sind in den Mittagsstunden die glühenden schattenlosen Straßen der Stadt. Nur selten sieht man einen Fußgänger dahinschleichen. Der ganze Mensch erschlafft. Jede Arbeit ist unmöglich; selbst das Denken hört ans. Man sehnt den Abend herbei, und doch bringt auch dieser, bringt selbst die Nacht keine Erfrischung. Die Schwüle fährt fort und verscheucht den Schlaf.
Die schönste Jahreszeit in Rumänien ist der Herbst mit seiner reinen frischen Luft und — beiläufig — seinen herrlichen Früchten. Da athmet die Brust wieder ans, da wälzt das Gemüth den Druck von sich ab, da fühlt man sich ein neuer Mensch. Entzückend sind die Abende mit ihrem leisen Windeshauch. Entzückend ist der Blick zu dem wolkenlosen gestirnten Himmel, von welchem sich der Mond wie plastisch abhebt. Ost währt der milde Herbst bis tief in den Dezember hinein, und ich erinnere mich lebhaft, einmal noch am Weihnachtsseste den Nachmittag im grünen Garten zugebracht zu haben.
Sowohl das Klima wie die Ueppigkeit des Bodens, die eine mühelose Ernährung gestattet, sind die Ursache, daß die Rumänen dem Ausländer als ein träges schlaffes Volk erscheinen. Dazu kommt das harte Joch der Türken, welches Jahrhunderte lang das Volk niedergedrückt und an jeder freien Entwickelung gehemmt hat. Soweit aber das Scepter des Islam reicht, ist überall leibliches und geistiges Elend, Verkommenheit bis zur völligen Verthiertheit. Wer wie ich Jahre lang dort gelebt und Gelegenheit gehabt hat, sich mit den dortigen Zuständen und Verhältnissen vertrant zu machen, wahrlich, der kennt das aller Menschenwürde und aller Menschlichkeit Hohn sprechende Leben oder Vegetiren der unter dem Halbmond schmachtenden Christenvölker gerade genug, um sich über das Gezeter der sogenannten Türkenfreunde jedes Urtheils zu enthalten. Es ist gewiß nicht unrecht, wenn man sagt: die Christen der Balkanhalbinsel seien nicht besser und ständen nicht höher als die Türken; aber wer ist daran schuld? Ihre Unterdrücker — und zum Theil wenigstens das christliche Europa! Ich sage: weg mit der Türkenwirthschast von unserem Erdtheile!
Daß die christlichen Nationen des Türkenreiches einer Entwickelung und Weiterbildung fähig sind, sobald das Band der Abhängigkeit von der „hohen Pforte" gelöst, ja nur gelockert ist, das beweisen eben die Rumänen; und wenn es dabei auch nur langsam geht und manche Fehlgriffe und Jrrthümer mit unterlaufen, wenn die Phrase noch allzuhänfig die Hauptrolle spielt, kurz, wenn noch lange nicht alles derart ist, daß es vor dem Urtheil des Abendlandes bestehen kann, so bedenke man doch die Kürze der Zeit und verlange nichts Unbilliges. Ein Volk wird nicht im Handumdrehen aus Sklaven zu Freien. Was Jahrhunderte verdorben haben, ist nicht im Augenblicke wieder gut zu machen. Erst seit zwei Jahrzehnten haben die Rumänen gelernt, freier aufzuathmen und sich als Volk zu fühlen. Was aber sind zwei Jahrzehnte im Leben eines Volkes? Kaum was eine Woche im Leben des Einzelnen! Und es ist
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