Heft 
(1878) 27
Seite
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Das prinzliche Arbeitszimmer schloß die Front der Hauses nach links hin ab und sah mit zweien seiner Fenster bereits auf die Wilhelmsstraße. Es war von größerer Behaglichkeit, als sonst prinzliche Zimmer zu sein Pflegen. Dicke türkische Teppiche, halbzugezogene Damaftgardinen, Portieren und Lam- berquins verliehen dem nicht großen Raume das, was er bei vier Fenstern und zwei Thüren eigentlich nicht haben konnte: Ruhe und Geschlossenheit, und das Feuer im Kamin, indem es zu­gleich Licht und Wärme ausströmte, steigerte den wohligen und anheimelnden Eindruck. An den Fensterpfeilern befanden sich niedrige Bücherschränke und Etagören, so daß Raum blieb für Büsten und Bilder, darunter als bestes ein Landschaftsbild mit Architektur, Schloß Friedrichsfelde, den Sommeraufenthalt des Prinzen darstellend. Sein eigenes lebensgroßes Porträt, von der Hand Graffs, hing über dem Kamin. Daneben zog sich ein breites Sopha ohne Lehne rechtwinkelig bis an die nächste Thüreinfassung, während ein runder, mit einer alaba­sternen Blumenschale geschmückter Tisch in den durch das Sopha gebildeten rechten Winkel hineingeschoben war.

Berndt, der sich zum ersten Male an dieser Stelle sah, hatte seine Musterung kaum geschlossen, als der Prinz, die Portiöre der zu seinem Schlafzimmer führenden Thüre zurück­schlagend, früher eintrat als erwartet war, und die Verbeugung beider Herren mit freundlichem Gruß erwidernd, durch eine Handbewegung sie aufforderte, auf dem Sopha Platz zu nehmen. Er selber stellte sich mit dem Rücken gegen den Kamin, die Hände nach hinten zu gefaltet und ersichtlich bemüht, so viel Wärme wie möglich mit ihnen einzufangen. In diesem Be- dürsniß vcrrieth sich sein hohes Alter; sonst ließ weder seine Haltung, noch der Ausdruck seines Kopfes einen Zweiundacht- ziger vermuthen. Berndt erkannte gleich das Eigenthümliche dieses Kopses, das ihm in einer seltsamen Mischung von An­spruchslosigkeit und Selbstbewußtsein zu liegen schien. Und so war es in der That. Von Natur unbedeutend, auch sein lebe­lang, zumal au seinen Brüdern gemessen, sich dieser Unbedeu­tendheit bewußt, durchdrang ihn doch das Gefühl von der hohen Mission seines Hauses und gab ihm eine Majestät, die, wenn er (was er zu thun liebte) die Stirn runzelte, sich bis zu dem Ausdruck eines donnernden Jupiters steigern konnte. Eine mächtige römische Nase kam ihm dabei zu statten. Wer aber schärfer zusah, dem konnte nicht entgehen, daß er, im Stillen lächelnd, den Donner blos drapirte und allen ablehnen­den Stolz, den er gelegentlich zeigen zu müssen glaubte, nur nach Art einer Familienpflicht erfüllte.

Sie kommen, mir Ihre Glückwünsche zum neuen Jahre auszusprechen," hob er an.Ich danke Ihnen für Ihre Auf­merksamkeit um so mehr, je gewisser es das Loos des Alters ist, vergessen zu werden. Die Zeitläufte weisen freilich auf mich hin." Er schwieg einen Augenblick, und setzte dann, einen Ge­dankengang abschließend, dessen erste Glieder er nicht aussprach, mit Würde hinzu:ich wollte, daß ich dem Lande mehr sein könnte als eine bloße Erinnerung."Eure königliche Hoheit sind dem Lande ein Vorbild," antwortete Ladalinski.

Ich bezweifle es fast, mein lieber Geheimrath. Wenn ich meinem Lande je etwas war, so war es durch Gehorsam. Nie habe ich, im Krieg oder Frieden, die Pläne meines Bruders, des Königs, durchkreuzt; ich habe nicht einmal den Wunsch darnach empfunden. Das ist jetzt anders. Der Gehorsam ist aus der Welt gegangen, und das Besserwissen ist an die Stelle getreten, selbst in der Armee. Ich frage Sie, wäre bei Leb­zeiten meines erhabenen Bruders der Austritt von dreihundert Offizieren möglich oder auch nur denkbar gewesen, ein offener Protest gegen die Politik ihres Kriegs- und Landesherrn? Ein Geist der Unbotmäßigkeit spukt in den Köpfen, zu dem ich alles, nur kein Vorbild bin." Der alte Vitzewitz, wie wohl er sicher war, daß der Prinz von seinen Plänen nichts wußte, nichts wissen konnte, hatte sich bei diesen Sätzen, deren jeder ein­zelne ihn traf, nichtsdestoweniger verfärbt.

Eure königliche Hoheit," nahm er das Wort,wollen zu Gnaden halten, wenn ich die Erscheinungen dieser Zeit anders ausfasse und nach einer anderen Ursache für dieselben suche. Auch der große König hat Widerspruch erfahren und hin­

genommen. Wenn solcher Widerspruch selten war, so war es, weil sich Fürst und Volk einig wußten. Und in der bittersten Noth am einigsten. Jetzt aber ist ein Bruch da; es fehlt der gleiche Schlag der Herzen, ohne den selbst der große König den opferreichsten aller Kriege nicht geführt haben würde und die Maßregeln unserer gegenwärtigen Regierung, indem sie das Urtheil des Volkes mißachten, impfen ihm den Ungehorsam ein. Das Volk widerstreitet nicht, weil es will, sondern weil es muß."

Ich anerkenne den Widerstreit der Meinungen. Aber ich stelle mich persönlich auf die Seite der größeren Erfahrung und des besseren Wissens. Und wo dieses bessere Wissen zu suchen und zu finden ist, darüber kann kein Zweifel sein. Sie müssen der Weisheit meines Großneffen, meines allergnädigsten Königs und Herrn vertrauen."

Wir vertrauen Sr. Majestät.... aber nicht dem Grafen, seinem ersten Minister. Eure Königliche Hoheit sprechen es aus."

Ohne Ihnen zuzustimmen; denn, mein lieber Major von Vitzewitz, dieser Unterschied zwischen dem König und seinem ersten Diener ist unstatthaft und gegen die preußische Tradition. Ich liebe den Grafen von Hardenberg nicht; er hat den Orden, dem ich fünfzig Jahre lang als Herrenmeister vorgestanden, mit einem Federstrich aus der Welt geschasst, er hat unser Ver­mögen eingezogen, unsere Komthureien genommen; aber ich habe seinen Maßregeln nicht widersprochen. Ich kenne nur Gehor­sam. Wir leben in einem königlichen Lande, und was geschieht, geschieht nach dem Willen Seiner Majestät."

Dem Worte nach," antwortete Berndt mit einem An­fluge von Bitterkeit.Der Wille des Königs, wer will jetzt sagen, wie und wo und was er ist. Unter dem großen König, Eurer königlichen Hoheit erhabenem Bruder, lag es den Mi­nistern ob, den Willen Sr. Majestät auszuführen, jetzt liegt es Sr. Majestät ob, die Vorschläge, das heißt den Willen seiner Minister zu sanktionireu. Was sonst beim Könige lag, liegt jetzt bei seinen Räthen; noch entscheidet der König, aber er entscheidet nicht mehr nach dem Wirklichen und Tatsächlichen, das er nicht kennt, sondern nur noch nach dein Bilde, das ihm davon entworfen wird. Er sieht Freund und Feind, die Welt, die Zustände, sein eigenes Volk durch die Brille seiner Minister. Der Wille des Königs, wie er aus Erlassen und Verordnungen zu uns spricht, ist längst zu einer bloßen Fiktion geworden."

Der Prinz verrietst kein Zeichen des Unmuths. Er schritt einige Male über den Teppich hin; dann wieder seinen Platz am Kamin einnehmend, antwortete er mit einem Ausdrucke ge­winnender Vertraulichkeit:Sie verkennen den König, meinen Großneffen, Sie und viele mit Ihnen. Ich darf mich nicht rühmen, in die Pläne Seiner Majestät eingeweiht zu sein; es ist nicht Sitte der preußischen Könige, die Mitglieder des Hauses, alt oder jung, zu Rathe zu ziehen oder auch nur in den Geschäftsgang eiuzuweihen; aber das glaube ich Ihnen auf das bestimmteste versichern zu dürfen: das persönliche Re­giment, von dem Sie glauben, daß es zu Grabe gegangen sei, ist um vieles größer, als Sie muthmaßen."

Eure königliche Hoheit überraschen mich."

Ich glaube es wohl; auch mag ich mich in diesem und jenen: irren; aber in einem irre ich mich nicht, und dies eine ist die Hauptsache. Wie sollen wir uns zu dem Kaiser, unserem hohen Verbündeten stellen? Das ist die Frage, die jetzt alle Gemüther beschäftigt. Sie glauben, daß es der Minister sei, der zu zögern und hinauszuschieben und durch Versprechungen Zeit zu gewinnen trachtet; ich sage Ihnen, es ist der König selbst."

Weil ihm die Dinge derartig vorgelegt werden, daß er zu keinem anderen Entschlüsse kommen kann."

Nein, weil er in einer Politik des Abwartens allein das Richtige sieht. Die Zeit allein wird die Lösung dieser Wirren bringen. Er ist durchdrungen von der Unhaltbarkeit der gegen­wärtigen Zustände, und mehr als einmal habe ich ihn sagen hören:Der Kaiser ist ohne Mäßigung, und wer nicht Maß halten kann, verliert das Gleichgewicht und fällt." Er hält das Kaiserthum für eine Seifenblase, nichts weiter."

Aber eine Seifenblase von solcher Festigkeit, daß Staaten und Throne bei der Berührung mit ihr Zusammenstürzen."

Ich bin nicht impressionirt, das Wort meines Großneffen,