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trotzdem es meine eigene Meinung ausdrückt, aufrecht zu erhalten. Aber er sprach auch wohl von einem Gewitter, das sich austoben müsse. Und glauben Sie einem alten Manne, der durch fast drei Menschenalter hin den Wechsel der Dinge beobachtet hat: es wird sich austoben."
„Gewiß, Königliche Hoheit, aber nachdem es vorher die höchsten Spitzen getroffen hat."
„Wenn sich diese Spitzen nicht so zu schützen wußten, daß der Strahl an ihnen niederglitt."
„Durch Bündniß?" Der Prinz nickte.
Berndt aber fuhr fort: „Es mag auch das seine Zeit gehabt haben, aber diese Zeit ist um. Ein jeder Tag hat seine Pflicht und seine Forderung. Der eine fordert Unterwerfung, der andere Bündniß, ein dritter Auflehnung. Ich möchte glauben, königliche Hoheit, der Tag der Auflehnung sei angebrochen."
„Womit? Wir haben keine Armee."
„Aber wir haben das Volk."
„Der König mißtraut ihm."
„Seiner Kraft?"
„Vielleicht auch der; aber vor allem dem neuen Geiste, der jetzt in den Köpfen der Menge lebendig ist."
„Und gerade in diesem Geiste liegt das Heil, wenn man ihn zu nutzen und ihm in Klugheit zu vertrauen versteht."
„Ich widerspreche nicht; aber dieser Ausgabe fühlt sich der König nicht gewachsen, sie widersteht seiner Natur. Ihm bedeuten viele Köpfe viele Sinne. Erwarten Sie nach dieser Seite hin nichts von ihm."
„Ich hoffe, daß ihm Zuversicht kommt und in dieser Zuversicht der Glaube an ein gutes und treues Volk, das nichts anderes begehrt als die Gewährung, für seinen König sterben zu dürfen." Der Prinz, seinen Platz abermals wechselnd, schob einen Fauteuil neben das Sopha, nahm, sich niederlassend, Berndls Hand in die seine und sah ihn dabei fest und freundlich mit seinen großen Augen an.
„Ich kenne das Volk; ich habe mit ihm gelebt. In meinen hohen Jahren, wo sich der Sinn für vieles schließt, öffnet er sich für anderes, und so sage ich, weil ich es weiß, es ist ein gutes Volk. Ich sehe es so klar, als ob es vor meinem leiblichen Auge stünde. Aber der König ist eingeschüchtert; er hat viel Schmerzliches erlebt und nicht das Große, das meine jungen Tage gesehen haben. Ich kenne ihn genau. Er schließt lieber ein Bündniß mit seinem Feinde, vorausgesetzt daß ihm dieser Feind in Gestalt eines Machthabers oder einer geordneten Regierung entgegentritt, als mit seinem eignen, in hundert
Willen getheilten, aus dem Geleise des Gehorsams herausgekommenen Volke. Denn er ist ganz auf die Ordnung gestellt. Mit einem einheitlichen Feinde weiß er, woran er ist, - mit einer vielköpfigen Volksmasse nie. Heute ist sie mit ihm, ! morgen gegen ihn, und während das ihm zu Häupten stehende ( napoleonische Gewitter ihn treffen aber auch ihn schonen kann, sieht er in der entfesselten Volksgewalt nur ein anstürmendes ( Meer, das, wenn erst einmal die Dämme durchbrochen sind, unterschiedlos alle gesellschaftliche Ordnung in seinen Fluten !
begräbt. Und die gesellschaftliche Ordnung gilt ihm mehr als i
die politische. Und darin hat er Recht."
Eine kurze Pause entstand; der Prinz erhob sich wieder, ein Zeichen, daß er die Audienz zu schließen wünsche. Er ^ reichte beiden Herren die Hand und dankte dem Geheimrath, daß er ihm Gelegenheit gegeben habe, die nähere Bekanntschaft eines dem Vaterlande treu ergebenen Mannes zu machen. ;
„Es ist hocherfreulich, selbständigen und bestimmten An- ! sichten zu begegnen; aber erschweren Sie dem leitenden Minister ' nicht seine Stellung. Wir werden das Bündniß aufrecht erhalten, bis es sich von selber löst, und dieser Zeitpunkt, so ! nicht alle Zeichen trügen, ist nahe. Der versinkende Dämon ^ nimmt dann auch die Kette mit, die uns an ihn fesselte."
„Aber nur, um uns doch und vielleicht für immer in Unfreiheit zurückzulassen; wir werden nichts als die Herrschaft gewechselt haben. Denn unser Thun und Lassen bestimmt unser ! Loos, und andere werden kommen, die dem, der so willfährig die Schleppe trug, eine neue Kette schmieden."
„Hoffen wir das Gegentheil." ,
Damit schieden sie. Beide Herren verneigten sich, der ^ Wagen fuhr wieder auf die Rampe, und der französische Doppelposten, der vor dem Palais stand, machte die Honneurs. „Wie hat Ihnen mein Prinz gefallen?" fragte der Geheimrath.
„Gut; ich fürchte, daß er Recht hat, und daß ich den Widerstand, den ich in dem Minister suchte, in dem Könige selbst zu suchen habe. Aber auch das erschüttert mich nicht.
Ich habe das Bangen vor dem Volke nicht, und ich wage es mit ihm. Es ist eine Thorheit, aus die Fehler oder Nachsicht eines Gegners rechnen zu wollen, wenn man die Macht in der Hand hat, ihm die Gesetze vorzuschreiben. Die Hände in den ^ Schooß legen, heißt ebenso oft Gott versuchen, als Gott vertrauen. Vicks-toi uwms st 1s eiet t'aicksra.."
Damit bog der Wagen rechts um die Lindenecke und hielt gleich daraus vor dem Gasthose „zur Sonne", wo man beschlossen hatte, das Dejeuner zu nehmen. (Forts, folgt.) !
Am Jarmlienlische.
Mit Beschlag belegt.
(Zu dem Bilde auf Seite 429.)
Die edle Musika verträgt sich bekanntlich mit dem Mammon in der Regel nur schlecht. Der Künstler, dessen Seele in höheren Regionen lebt, pflegt sich nur wenig um die leidigen Anforderungen der schmachvollen Prosa des Philisterlebens zu bekümmern, ein Umstand, der ihn mitunter in Konflikte mit letzterem bringt, die dann seinerseits meist heiter ausgefochten werden. Unsere Drei haben es gemacht wie die Vöglein in den Zweigen: sie haben gegessen, sie haben gesungen und haben dann davonfliegen wollen. Aber o Weh, sie sind ja keine Vöglein. „Halloh, Ihr Herren, erst bezahlen und dann davon gehen," ruft ihnen die Wirthin in gerechter Entrüstung entgegen. — „Wir können Euch nichts bezahlen, liebe Frau," erklärt darauf der Wortführer der Gäste, „wir haben nichts." — „So? Ihr habt nichts? Nun, dann her mit dem Waldhorn."
Die drei Musici sind sehr hübsch charakterisirt. Da ist zunächst der Hornist. Er ist offenbar der Humorist in der Gesellschaft: leichtlebig, heiter, allezeit schlagfertig. Ihm ähnlich ist der Junge, der die zornigen Worte der Wirthin auf der Guitarre accompagnirt. Die Lust des Äagabundenlebens lacht ihm voll aus den Augen. Der Dritte ist das solide Element: Phlegmatikus mit einem Stich ins Melancholische, vermuthlich auch Cassirer, soviel bei diesem Kleeblatt von einem solchen die Rede sein kann. Er scheint ja auch jetzt vor den Riß treten und das Faustpfand wieder frei machen zu wollen. _
Inhalt: Das Buch Sirach. Eine Reichsstadtnovelle von W. Böhm. — Eine wohlriechende Industrie. Von Dr. Schloemrlch. — Land und Leute in Rumänien. Bon L. Rode. — Ein lebender Mikrocephale.
> Mit 2 Jllnstr. — Vor dem Sturm. (Fortsetzung.) Roman von Theo- ' dor Fontane. — Am Familientische: Mit Beschlag belegt. Zu dem Bilde: „Erst bezahlen!" von A. Conrad.
Htnseven neu eingetvetenen Abonnenten,
' welche den im zweiten Quartal (Nr. 14 — 26) erschienenen Ansangstheil des Fontaneschen Romans: „Vor dem Sturm"
nachznbeziehen wünschen, zur Nachricht, daß dieses Quartal wie auch das vorhergehende durch alle Buchhandlungen und Post-
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! Von früheren Jahrgängen sind der VIII. (1872), IX. (1873), XI. (1875), XII. (1876), XIII. (1877) noch voll-
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Herausgeber: vr. Robert Koenig und Theodor Kerman» Rantenius in Leipzig. Für die Redaktion verantwortlich Htto Ktastng in Leipzig. Verlag der Daheim-Krpedition (Kelyagen L Ktastng) in Leipzig. Druck von U. H. Uenöner in Leipzig.