Heft 
(1878) 28
Seite
446
Einzelbild herunterladen

446

zwischen uns gestiftet," bestätigte Sixt finster.Nachdem er mich nicht vor der öffentlichen Schmach gerettet, sollte niemand mehr etwas davon haben, niemand! Auch Du nicht! Ich aber hoffte, mich ohne den Quark durchschlagen zu können. Es ging nicht. Ich brauche Moneten für die erste Zeit, und mir sie zu holen, bin ich wieder gekommen. Mich hungert, mich friert, mich dürstet"

Ursel hörte das Klappern seiner Zähne. Das Mondlicht fiel auf eine zerlumpte herabgekommene Gestalt. Um den Kopf hatte er statt eines Baretts eine Binde geschlungen. Nun schickte er sich an, die Knoten des Sackes zu offnen und mit fieber­hafter Aufregung in den nassen Schätzen zu wühlen, wie uni eine möglichst vortheilhafte Auswahl zu treffen.

Nimm alles!" unterbrach ihn Ursel.

Alles?" wiederholte er, seltsam berührt durch die schmerz­volle Ruhe ihres Tones.

Alles!" sprach sie noch einmal mit tiefer und fast feier­licher Stimme.Wo nicht, so laß uns den Rest wieder hin­unter werfen in den tiefsten Brunnen, denn es ist kein Segen auf diesem Besitz."

Er schwieg erstaunt.Was soll das?" frug er dann.

Komm mit ins Hans!" entgegnete sie.

Was willst Du von mir?"

Ursel schien seine letzte Frage überhört zu haben; sie war voransgegangen und öffnete nun die Thür des Hauses, indem sie sich nach ihm umsah.

Sixt hatte den Sack über die Schulter geworfen und war ihr zögernd nachgefolgt. Auf der Schwelle der Stube blieb er­stehen. Der matte Schein von Wachskerzen strahlte ihm ent­gegen und erleuchtete eine schwarze Bahre. Daneben lag noch halb unfertig ein Tvdtenhemd.

Hast Dn mich so erwartet?" frug er nach einer stummen Pause.

Sie nickte mit dem Kopfe, bedeckte das Gesicht mit den Händen und schluchzte auf. Es verging eine lange Zeit, bis sie wieder reden konnte. Dann erzählte sie ihm in abgerissenen Sätzen, was vorgefallen, was sie nm ihn ausgestanden, an Schmach und Gefahr, was für ihn zu thnn sie in dieser Stunde im Begriff gewesen.

Etwas wie ungläubige Bewunderung zog in Sixt Dorn­busch ein. Also all dessen war dieses starkmüthige Weib fähig und ein solcher Kern von Aufopferung schlummerte in dieser rauhen stacheligen Schale! Dem alten Soldaten imponirte dieser Muth, diese Tapferkeit und Große der Seele. Wie um ihr zu danken, griff er nach Ursels Hand.

Sie schien es nicht zu beachten.Warst Dil bei der Sternwirthin unterdessen?" frug sie zaghaft.

Er schüttelte den Kopf mit einem wehen Lächeln. Der Jude hatte ihn gegen Zusicherung eines Theiles des Werbe­geldes als Nachtragszahlung für das Trojanische unter dem Tuche seines Wagens verborgen ans der Stadt geführt. Er­statte sich neu anwerben lassen wollen, aber die Bedingungen waren schlecht im Frieden, und er war wieder davon ab­gekommen.Ich muß etwas neues anfangen," schloß er den Bericht seiner Irrfahrten,willst Du mir dazu verhelfen?"

Du bist Herr hier im Hause, und alles ist Dein!" sagte sie fest.Ich will keinen Willen mehr haben als den Deinen."

Er trat auf sie zu und blickte ihr prüfend in die Augen. Ist das Dein Ernst, Ursel?" frug er.

Mein heiliger Ernst!" rief sie, indem sie die Hand wie zum Schwur erhob.Ich bin nicht mehr dieselbe, die ich war; mein Sinn ist umgewandelt und mein Herz besiegt. Ich weiß, worin ich gefehlt habe, und ich wende mich von mir selber ab. Ich habe den Besitz und den Streit um ihn verachten lernen und weiß, daß nur die Güter glücklich machen, die in voller Gemeinsamkeit genossen und empfunden werden."

Wie sie so beredt und feurig sprach! Wie eine flüchtige Röthe ihre abgehärmten Wangen zart anhauchte, wie sie die Hände ängstlich und bang durcheinander flocht!

Ich war immer einer, mit dem sich reden läßt," begann Sixt abermals versöhnlich; aber dann hatte er einen Zweifels­

rückfall, und indem er sich auf dem Absatz umdrehte, sprach er:An: Ende sind es doch nur gute Vorsätze von Dir." Der Nachdruck lag auf dem WorteVorsätze", als ob er sich dabei des Sprichworts entsänne, nach dem gute Vorsätze das Ma­terial sind, mit dem auch die breite Straße zur Hölle ge­pflastert ist.

Stelle mich auf die Probe!" bat sie.

Darauf antwortete er nicht direkt. Aber er zögerte von dem Augenblicke an, da er Ursels Thun erfahren, nur mehr- äußerlich.

Die Bibel lag auf dem Tische bei den Wachskerzen. Er machte sich damit zu schaffen. Wieder war, sei es Absicht, sei es Zufall, das Buch Sirach aufgeschlagen.

Hast Du mir daraus meinen Leichentext gewählt?" frug er mit einem halben Lächeln, das den ersten Pfeiler zur Ver- föhnungsbrücke schlug.

Man müßte ihn da suchen," entgegnete Ursel ausweichend, da es Dir ja doch noch immer der liebste in der ganzen hei­ligen Schrift ist."

Er blätterte.O, es stehen auch andere Stellen darin," sagte er. Dann las er:

Wohl dem, der ein tugendsames Weib hat, des lebt er noch ein­mal so lange.

Ein häusliches Weib ist ihrem Manne eine Freude und macht ihm ein fein ruhiges Leben.

Ein tugendsames Weib ist eine edle Gabe und wird dem gegeben, der Gott fürchtet.

Er sei reich oder arm, so ist es ihm ein Trost und macht ihn allezeit fröhlich.

Ein freundliches Weib erfreuet ihren Mann und wenn sic ver­nünftig mit ihm umgehet, erfrischt sie ihm das Herz.

Ein Weib, das schweigen kann, ist eine Gabe Gottes.

Ein wohlgezogencs Weib ist nicht zu bezahlen.

Es ist nichts Lieberes auf Erden, denn ein züchtiges Weib.

Es ist nichts Köstlicheres, denn ein keusches Weib.

Wie die Sonne, wenn sie anfgegangen ist an dem hohem Himmel, des Herrn eine Zierde ist, also ist ein tugendsames Weib eine Zierde in ihrem Haufe.

Ein schönes Weib, das fromm bleibt, ist wie die helle Lampe auf dem heiligen Leuchter.

Ein Weib, das ein beständiges Gemüth hat, ist wie die goldenen Säulen auf den silbernen Stühlen."

Sixt hatte mit steigender Bewegung gelesen. Nun schlug er das Buch zu uud strich sich mit der Hand über die Augen.

Ursel hatte sich zu seinen Füßen niedergelassen.Du darfst zu viel auf einmal nicht von mir verlangen," flüsterte sie mit einer Demuth, die ihr so wohl anstand, als sie neu an ihr war.Aber besser soll es werden, das verspreche ich Dir bei allem, was ich nur Dich ansgestanden habe!"

Sixt warf den Mantel von seinen Schultern und zog sie au feine Brust. Beide weinten. Als sie es gegenseitig ge­wahrten, mußten sie sich unter Thränen anlacheu.

Dies war der erste Sonnenstrahl einer neu anfgegangenen Sonne des Glücks. Denn die Schwertursel hat ihr Versprechen gehalten; sie hat ihre Ansprüche auf Vorrechte in der Ehe auf­gegeben und ihre Pflichten besser kennen gelernt. Es war, als zittere fortan leise die Angst der ausgestandencu Verlnstgefahren durch ihr Leben nach. Ihr Wesen ist milder und demüthiger geworden, und die Leute erklärten oft, daß man sie kaum wiederkenue.

Auch Sixt Dornbusch hat sich gebessert. Mit dem Be­wußtsein der Stelle, die er als Familienoberhaupt fortan un­bestritten einnahm, ist ihm das Gefühl der Verantwortlichkeit gekommen und gewachsen, und allmählich ist er ohne Abirrung in die sicheren Bahnen der Arbeitsamkeit und Ordnung ein­gelenkt, auf denen die Güter de? Wohlstandes und des häus­lichen Glücks zu pflücken sind.

So bedarf es manchmal nur einer akuten Krisis, nm Krankheitsstoffe, die in den Verhältnissen und in den Charak­teren stecken, ansznsondern, die Schlacken abzuwaschen und das edle verborgene Metall zu Tage zu fördern nur einer kurzen Leidensstation, um, wenn man die bitteren Wahrheiten an sich erfahren, auch die süßen kosten zu lernen, die da geschrieben stehen in dem Buche Jesus Sirachs, eines weisen Mannes aus Jerusalem!