Heft 
(1878) 28
Seite
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Art hergaben, welche sich der glühendsten Verehrung unseres Schusters erfreuten.

Eines schönen Tages war unserZug" ans dem Marktplatze an­getreten, um demnächst zum Exerziren abzurücken. Unser Schuster stand breitbeinig mit dem Federhnte auf dem Kopfe und mit gezücktem Schwerte vor der Front, als der Schulrath sich nahte, welcher eben zur Jnspizirung des Gymnasiums anwesend war. Wir nannten ihn Malchus", weil ihm in den Freiheitskriegen ein Ohr abgehauen wor­den war. Schulrath Malchus also kam auf uns zu, vielleicht nicht ohne die Absicht, sich einmal eine Prima in Waffen in der Nähe zn betrachten. Unser Schuster aber kommandirte mit gewohnter Geistes­gegenwart:Still gestanden! Gewehr auf! Achtung, präsentirt das Gewehr!" Und Schulrath Malchus nahm den Hut ab, ging verlegen lächelnd vorüber und begab sich nach dem Gymnasium. Die Prima aber rückte unter Führung ihres Schusters zur Felddienstübung ab.

Da wurden denn große Thaten vollbracht. Wir exerzirten immerim Feuer". Als eines Tages die manövrirenden Abtheilungen in der Hitze des Gefechtes zu nahe an einander gerathen waren, erhielt ein Drechslergeselle einen Schuß mit einem Graspfropfen ins Gesicht, daß er kopfüber in einen Graben stürzte, und mit furchtbar verschwollenem Gesicht nach Hanse getragen werden mußte.

Indessen wurde der erste Thatendurst sehr bald gestillt; auch mochte der angeschoffene Drechslergeselle abkühlend auf den Feuereifer so manchen Bürgerwehrmannes gewirkt haben; genug, die Reihen derer, welche sich zu den Felddienstübungen stellten, wurden immer lichter, und bald beschränkte man sich auf die Sorge für die Sicherheit des Städtchens. Zu diesem Zweck zogen allabendlich etwa zwanzig Mannen auf Wache, stellten Posten aus, und entsendeten zahlreiche Patrouillen durch die im tiefsten Frieden schlummernden Straßen der Stadt. Niemand störte die nächtliche Stille, wenn nicht Waffengeklirr der Bürgerwehr.

Auch an unserenZug" kam die Reihe, für die nächtliche Sicher­heit des Städtchens zu sorgen. Das geschah gerade an einem Tage, an welchem der frühere, bei den Schülern sehr beliebte Direktor des j Gymnasiums zum Besuche anwesend war. Er wohnte in einem Gast- ! Hofe am Markte, schrägüber vom alterthümlichen Rathhause, welches mit seinem zierlichen gothischen Giebel hoch über die Bürgerhäuser emporragt. Vor diesem Giebel, rechts und links vom Portale standen abends zwischen neun und elf Uhr zur Sicherung der städtischen Käm­mereikasse mein Freund Albert er ist jetzt Stadtgerichtsrath in ! Berlin und ich auf Doppelposten. Es wurde still ans den ohnehin ^ niemals sehr belebten Straßen. Auch unser, im übrigen sehr reglements­widriges Geplauder verstummte. Schweigend und fröstelnd im scharfen i Zugwinde schritten wir auf dem holprigen Straßenpflaster ans und nieder, und legten die schwere Muskete seufzend bald ans die rechte, bald auf die linke Schulter. Eben im Begriff, nicht allzu trostreiche Betrachtungen über die Natur des Wachtdienstes anzustellen, hörten wir in der Ferne ein Geräusch wie von den Tritten zahlreicher Men­schen. Näher und näher kam das Geräusch, und endlich unterschieden wir in der Dunkelheit einen großen Trupp von Männern, der gerade ' ans uns zukam. Was hatte das zn bedeuten? War es am Ende gar ! auf die Kasse abgesehen, welche unserer Wachsamkeit anvertraut war? !

Die sich im pochenden Herzen regende Besorgnis; war umsonst. ! Wir erkannten den friedlichsten aller Sterblichen, den braven Stadt- ! musikus, welcher an der Spitze seiner Kapelle und gefolgt von einer Schülerschar in tiefstem Schweigen dem vorerwähnten Gasthofe zuschritt.

Es handelte sich, wie uns sofort einleuchtete, um ein Ständchen, welches man dem alten Direktor brachte.Donnerwetter, da möchte ich auch dabei sein!" rief ich aus.

Ja, wenn das verwünschte Postenstehen nur nicht wäre," pflichtete Freund Albert bei.

Inzwischen ertönte eine melodische Weise nach der andern. Eben wurde die Gnadenarie, das Lieblingsstück des Stadtmusikus, von einer lustigen Polka abgelöst. Da erschien Licht, das Fenster öffnete sich, ^ und eine dunkele Gestalt erschien in der Oeffnung.Das ist der Alte!

Er hält eine Rede! Das müssen wir hören!" so riefen die beiden Sicherheitswüchter wie aus einem Munde, und wie auf Kommando stellten wir die schweren Musketen an die Wand, ließen Posten Posten . und Kasse Kasse sein, liefen spornstreichs über den Markt, stimmten ' wacker in das Hurrah ein, welches der Rede folgte, und kehrten als- i dann sehr zufrieden mit unseren Thaten auf unfern Posten zurück.

Aber was hatte denn das zu bedeuten? Unsere Gewehre waren ^

verschwunden! Wir tasteten mit den Händen die dunkele Wand ent­lang. Vergeblich! Wir zündeten Streichhölzchen an, aber nur, um uns bei ihrem Aufblitzen die Ueberzeugung zu verschaffen, daß der Ort wirklich leer war, an welchem unsere stolzen Waffen gestanden hatten

Na, das ist eine schöne Geschichte," sagte Freund Albert, und ich wiederholte mechanisch:Das ist eine schöne Geschichte!"

Allmählich dämmerte in uns das Bewußtsein der Dummheit auf, die wir begangen hatten. Trostlos und mit leeren Händen standen wir da und starrten in die Dunkelheit der Nacht. Da schlug es elf Uhr. Gleichmäßige Schritte nahten sich; die Ablösung kam.Nun kommt's zum Klappen," sagte ich.

Ei laß nur," erwiderte Freund Albert,fressen kann uns keiner."

Kerls, wo habt Ihr die Gewehre?" schnauzte uns der Führer der Ablösung an.

Ja, wenn wir das wüßten!" lautete die Antwort. Aber es half nichts, wir mußten heraus mit der Wahrheit. Der Führer der Ab­lösung jetzt ist er Kreisgerichtsrath in der Provinz Preußen war ein sehr diensteifriger Bürgerwehrmann. Er belegte uns mit nicht allzu schmeichelhaften Titeln, wir blieben ihm die Antwort nicht schuldig, und endlich machte er Miene, uns als Arrestanten abzuführen. Das war uns denn doch zu bunt. Wir rissen aus, einer nach rechts und der andere nach links, und die Mannschaften der Ablösung stürmten mit lautem Hallo undHalt ihn, halt ihn!" schreiend hinter uns drein

Aber wir waren flinker als unsere Verfolger. Zehn Minuten später zog ich mir die Bettdecke über den Kopf und schlief trotz bösen Ge­wissens den Schlaf des Gerechten. Auch Freund Albert war den Häschern glücklich entronnen, wie er mir am nächsten Morgen in aller Frühe mittheilte. Um allen Weiterungen vorzubengen, gaben wir aus freien Stücken die Erklärung ab, wir würden nicht mehr mitspielen, und die Flinten bezahlen. Indessen brauchte das Attentat auf den Geldbeutel unserer Eltern, welches die Bezahlung der Gewehre zur Voraussetzung hatte, nicht ansgeführt zu werden, denn dieselben kamen wieder zum Vorschein. Ein ehrsamer Klempnermeister, der neben dem Rathhause wohnte, und uns mit mißtrauischen Augen beobachtete, hatte sie in Sicherheit gebracht.

Das war das wenig rühmliche Ende meiner Laufbahn als Bürger­wehrmann. Dasselbe brachte mir und meinem Freunde Albert die gründliche Verachtung unserer Kommilitonen, aber die warme Zunei­gung unseres würdigen Prorektors.

Ei nun," sagte der alte Herr, indem er sich das schwarze Käppchen in den Nacken schob,da sind doch wenigstens zwei von meinen Pri­manern wieder vernünftig geworden."

Wir nahmen dies unverdiente Lob stillschweigend hin. Viel ver­säumten wir nicht durch unser jähes Ausscheiden aus der bewaffneten Macht. Bald darauf löste sich die ganze Bürgerwehr in Wohl­gefallen auf.

Arnold Friedrich.

Erfüllung unserer Weihnachtsbitte.

Es wird die Leser des Daheim interessiren zn erfahren, daß die in Nr. 16 d. Bl. veröffentlichteWeihnachtsbitte" in der erfreu­lichsten Weise erfüllt worden ist. Es sind dem Bittsteller nicht weniger als fünfzehn Anerbietungen wegen Aufnahme jener Waisen aus allen Theilen Deutschlands, ja selbst der Schweiz zngegangen, die es ihm aufs rührendste bekundeten, daß wahrhaft christliches Erbarmen, Gott sei Dank! noch in weiten Kreisen unseres Volkes zn finden ist. Sämmt- liche drei Doppelwaisen haben bereits in christlichen Familien, zwei in der Mark Brandenburg, eins in Thüringen, eine glückliche zweite Heimat gefunden. Allen den lieben Familien aber, die der armen Verlassenen sich zn erbarmen so freudig bereit waren, innigsten Dank und Gottes reichsten Segen! A. Wnttig, Pfarrer.

Inhalt: Das Buch Sirach. (Schluß.) Reichsstadtnovelle von

G. Böhm. In den Buckfkinfabriken der Niederlansitz. Von Dr. Edm. Veckenstedt. Vor dem Sturm. (Fortsetzung.) Roman von Theodor Fontane. Ein Ausflug nach Carpineto, der Geburts­stadt Leos XIII. Von Leopold Witte. Gnom und Nachtigall. Ge­dicht von August Sturm. Zu dem Bilde von Freiesleben. Am Familientische: Ein todter König. Zu dem Bilde von Albert Rich­ter. Lustiges aus ernster Zeit. Von Arnold Friedrich. Erfüllung unserer Weihnachtsbitte. Von A. Wnttig.

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Herausgeber: vr. Yoöert Koenig und Theodor Kermann Santonins m Leipzig. Für die Redaktion verantwortlich Kilo Ktastng in Leipzig. Verlag der Iah-inr-Krpedttion (Selhagcn L Ktastng) in Leipzig. Druck von W. H. TenSner in Leipzig.