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Geburt ihn bestimmte als den jüngsten Sohn einer alten, katholisch srommen Familie des niederen römischen Adels, der keine allzu glänzenden Mittel zu Gebote standen, das ergriff der Jüngling aus eigenem Entschluß. Aber eine Volskcrnatnr, starr, zähe, unbeugsam, nahm er aus seinen Bergen in die ganze Priesterlaufbahn seines Lebens mit und hat sie auf allen Stufen derselben bis zur Stunde auch auf der höchsten bewiesen.
Mit eisernen: Fleiß studirte er in der römischen Hauptstadt die theologischen und juristisch-canonischen Wissenschaften, zuerst im 6o!ie§io Uomuno, dann später in der ^eaaäsmis, 66ot68ig,8tioa. Als ein besonderer Günstling Gregors XVI schon mit siebenundzwanzig Jahren als Delegat nach Benevent geschickt, griff er mit schonungslos kräftiger Hand in das Wespennest des dortigen Ränberunwesens. Und da die vornehmen Adelsfamilien seiner Kirchenprovinz mit den Straßenrändern nach Art der sicilianischen Maffia zum Theil unter einer Decke spielten, und ein Cavalier sich einmal herausnahm, in Peceis eigenem Hause mit Beschwerden in Rom über die Kühnheit seines Regiments zu drohen, da ließ der Delegat den Herrn nicht mehr heraus, sondern setzte ihn bei Wasser und Brot so lange fest, bis die Räuberbanden gesprengt waren, und deren Verbündete sich überzeugt hatten, daß mit dem jungen Manne nicht zu spaßen sei. Mit gleicher Energie als Legat in Spoleto und Perugia, als Nuntius in Brüssel, als Erzbischof in Perugia, als Eamerlcngo während des Conelaves, zu welcher Stellung Pins IX den bei Hofe gefürchteten Kardinal Gregors XVI erst berufen hatte, als der eifersüchtige Antvnelli aus
der Welt geschieden war, als selbstdenkender und selbstthätiger Papst während der wenigen Wochen seiner Regierung, in allen diesen Stellungen hat Gioachino Pecci bewiesen, daß er aus den Bergen stammt, wo Gott das Eisen wachsen ließ. Möchte er nun in der hohen Stellung, die ihn: beschieden ist, zeigen, daß er auch ein Auge und ein Herz hat für das wahre Wohl seiner Kirche, die von ihren Leitern seit Jahrhunderten so traurige Irrwege geführt ist!
Ein Jahr vor unserem Besuche in Carpincto war der Kardinal Pecci als Erzbischof von Perugia ans einige Wochen in das „Schloß" seiner Väter eingekehrt und hatte alle Car- pinetaner durch die Herablassung und Leutseligkeit entzückt, mit der er sich seiner Jugendgespielen und Jagdgenossen ans der Vergangenheit erinnerte. Daß freilich die Wiege eines Papstes in dem öden Neste gestanden, das ahnte damals noch kein Mensch. Und auch uns war es durchaus nicht weltgeschichtlich zu Muthe, als wir das wunderschöne Thal wieder hinab und dann die steile Höhe nach Segni hinauf wunderten. Das alte Signia mit den großartigsten cyclopischen Bauten, die ganz Italien anfzuweisen hat, muthete uns viel historischer und ehrwürdiger an, als der schmutzige Adlerhorst Carpineto. Nachträglich erfüllt's aber doch mit einer gewissen Genugthuung, mit eigenen Augen die Stätte gesehen zu haben, wo nach der Weissagung des Malachias „das Licht vom Himmel" anfgegangen ist. Denn „laiEi da coato" heißt nach jenen; alten Spruche, der Papst, dem die Volskerstadt Carpineto das Leben gegeben hat.
Am Aarnitiermsme.
Ein todtcr König.
(Zu dem Bilde auf S. 445.)
Seit die Franzosen Algerien besetzt haben, haben sie einen ebenso langwierigen als erfolgreichen Krieg gegen die Räuber geführt — gegen die zweibeinigen sowohl als gegen die vierbeinigen. Die ersteren, die hier Jahrhunderte lang ein sicheres Versteck fanden, sind ganz verschwunden, und auch die letzteren finden sich nur noch in wenigen Exemplaren. Kein Wunder — ist doch auf ihren Kopf ein Preis gesetzt, der hoch genug ist, um die Habsucht der Jager über ihre Furchtsamkeit den Sieg davon tragen zu lassen. Wo sich noch ein Löwe zeigt, ziehen diese in großen Hansen ans, und — viele Araber sind des Löwen Tod. Ist dieser erlegt, so wird der Kadaver im Triumph, heimgebracht und das Schußgeld eingezogen.
Eine solche Scene stellt unser Bild dar. Glückliche Jäger bringen ans einem Eselchen den tobten König der Thiere vor das „vurean urado". Ein paar junge Offiziere von den olw88öur8 cl'Xtrigus sind vor die Thüre hinausgetreten, um die seltene Beute zu betrachten. Die Araber ihrerseits schreiten heute stolz einher, denn Ruhm und Geld sind nicht leicht verdient.
Lustiges aus ernster Zeit.
Bei dem lebhaften Interesse, mit dem seitens der Leser des Daheim die „persönlichen Erinnerungen aus den Jahren 1848 — 50 " verfolgt worden sind, dürften vielleicht auch meine persönlichen Erinnerungen an jene Zeit nicht ganz unwillkommen sein. Spiegelt sich doch auch in ihnen jenes wunderbare Gemisch von Verstand und Unsinn wieder, das für jene Zeit so charakteristisch'ist.
Wie ein Wirbelwind brauste das tolle Jahr über die deutschen Lande dahin, bis in die äußersten Winkel, in die kleinsten Städtchen und Dörfchen hinein, überall gewohnte Verhältnisse über den Haufen werfend und klare Köpfe verwirrend. Kaufte sich doch mein alter Vater — er war Stadtrichter in einem märkischen Städtchen — einen langen Schleppsäbel und wurde Höchstkommandirender der gesummten Bürgerwehr des Städtchens, der Infanterie und der Kavallerie. Letztere, ausschließlich ans wohlhabenden Ackerbürgern gebildet, gewährte einen ganz stattlichen Anblick. Die Wehrmänner waren mit grünen Blusen nnifor- mirt, gut beritten und führtet: als Waffen Lanzen, welche mitten in der schwarz-roth-goldenen Zeit mit schwarz-weißen Fähnchen geziert waren. Ich habe den alten Herrn noch deutlich vor Augen, wie er im schwarzen Leibrock und hohen Cylinder, mit dem eisernen Kreuze auf der Brust, mit gezücktem Schwerte vor dem windschiefen Rathhause stand, um bei der Fahnenweihe die Parade über die gesummte Streitmacht des Städtchens abzunehmen. Das war aber der einzige dienstliche Akt, bei welchem er in Thätigkeit trat. Bald darauf brachte man ihn:, ich weiß nicht mehr aus welchem Grunde, eine Katzenmusik. Da trat der Alte mit grimmigem Gesicht mitten unter die Musikanten, bedankte sich für die ihm erwiesene Aufmerksamkeit und warf den Säbel in die Ecke.
Um diese Zeit war ich Primaner in einem anderen märkischen Städtchen, nicht weit von der pommerschen Grenze. Auch in diesem
sonst so friedlichen Erdenwinkel traten bedrohliche Anzeichen des heran- Mhenden Umsturzes hervor. Ein überspannter Postsekretär berief eine Volksversammlung und hielt eine blutrothe Rede, und noch an demselben Abende zwangen die Maurergesellen den alten Landrath, mit ihnen Branntwein zu trinken und mit ihren Weibern zu tanzen. Dunkele Gerüchte über allerlei Schreckliches, das sich in den benachbarten Ortschaften zugetragen haben sollte, liefen von Munde zu Munde. Grund genug, um auch in unserem Städtchen alle „besonnenen Elemente" zum Schutze der bedrohten Ordnung aufzurufen. Alt und Jung, Ackerbürger, Beamte und .Handwerker, selbst der dicke Posthalter, kurz alles, was irgend eine Flinte oder einen Säbel zu schleppen im Stande war, eilte zu den Waffen, welche das Landwehrzeughaus in Form von alten Musketen hergab, und an die Spitze der sich bildenden Bürgerwehr stellte sich ein alter Öberstlieutenant a. D. — Wir hätten keine richtigen Schuljungen sein müssen, wenn wir die sich bietende schöne Gelegenheit, die Schule zu schwänzen, nicht benutzt hätten. Auch wir boten dem Vaterlande unsere Dienste an, und sie wurden angenommen.
Auf den: Gymnasium herrschte gerade eine Art Interregnum. Der Direktor hatte sich pensioniren lassen, und bis zur Wiederbesetzung der Stelle wurde dieselbe vom alten Prorektor versehen, welcher ein starker Lateiner, aber ein schwacher Mann und Lehrer war. Als er einige schüchterne Einwendungen gegen unsere kriegerischen Absichten erhob, wurde ihm klar und bündig bewiesen, daß das Vaterland unsere Kräfte brauche, und mit den weisen Worten: „Ei nun, ich glaube, das Vaterland könnte auch ohne Sie fertig werden," ließ er geschehen, was er zu ändern zu schwach war. So warfen wir denn Tacitus und Enripides in die Ecke und griffen zur Muskete. Zwar hatten wir die Güte, die Schule wie zuvor zu besuchen, wenn wir gerade keinen „Dienst hatten"; so wie aber das Alarmsignal ertönte, ließen wir Schule Schule sein, und der Lehrer hatte das Nachsehen. Und alarmirt wurde sehr oft, bald znm Exerziren, bald zum Felddienstüben. Dazu kamen noch zahlreiche Festlichkeiten, Fahnenweihen in den benachbarten Orten, Bürgerwehrtage, Volksfeste und andere Gelegenheiten, welche unter der Maske des „Dienstes" gewissenhaft von uns zur Gewinnung von Bnmmeltagen benutzt wurden.
Wir waren ein stattliches Korps und bildeten einen besonderen „Zug"- Um uns auch einer äußerlichen Gleichheit zu befleißigen — denn innerlich fühlten wir uns bis in den Tod verbunden — hatten wir uns alle graue Filzhüte mit Federn zugelegt. So mancher Hut so mancher Schwester und Mutter wurde geplündert, so mancher Beherrscher des Hühnerhofes wußte bei lebendigem Leibe die Zierde seines Schweifes lassen, um unsere Bürgerwehrhüte zu schmücken. Unser nächster militärischer, oder vielmehr „bürgerwehrlicher" Vorgesetzter war ein ziemlich verkommener Schuster, der aber den Vorzug besaß, einstmals Unteroffizier gewesen zu sein. Um seine Würde zu erhöhen, wurde auf gemeinsame Kosten ein extraschöner Filzhut mit Stranß- federu angeschafft, den er, umgürtet mit einem Schleppsäbel mit gelber Messingscheide, mit vielem Anstande zu tragen wußte. Dieser würdige Herr also hatte die dankbare Aufgabe, uns in den ersten Regeln der Kriegskunst zu unterweisen, dankbar namentlich insofern, als unsere stets wohlgcfüllten Feldflaschen gebrannte Wässer der verschiedensten