Heft 
(1878) 28
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des heutigen Tages erreicht. Die Cyclopemnauern des alten Norba dehnen sich vor der jetzigen Stadt zwei Miglien weit in ungeheurem Umfange aus. Häuserhoch ragen noch jetzt die ohne Mörtel ans einander geschichteten gewaltigen Quadern der Unterbauten für die Akropolis in die blaue Lust; zierliches saracenisches Manerwerk unterbricht hier und da die grandiose Eintönigkeit und erzählt von den bunten Einflüssen, denen die Völkerwelt der apenninischen Halbinsel im Laufe der Jahr­tausende ausgesetzt gewesen ist. Im frühen Mittelälter siedelte die Bevölkerung des alten Norba mit ihrem Bischöfe von der Höhe in die Ebene am Fuß der Berge über und baute die von silberhellem Wasser durchströmte Stadt Ninfa. Die sum­pfige ungesunde Luft aber und die gefährliche, allen Horden des Mittelalters ausgesetzte Lage vertrieb sie bald wieder auf das Gebirge, und so entstand das heutige Norma am Fuße der Cyelopenstadt.

Von den Wundern Ninfas hatten wir schon in den be­geisterten Schilderungen von Gregorovius gelesen, und trotz der späten Nachmittagsstunde trieb es uns hinunter in die Tiefe. In steilem Absturz führte der Weg hinab; unterwegs trafen wir den von Rom her uns befreundeten Dr. Gregorovius selbst, noch trunken von der eben wieder geschauten Poesie der verlassenen Stadt. Wie ein schwermüthiger Traum aus alter, alter Zeit, so liegt Ninfa da. Ein völlig verödeter, menschenleerer Platz; nur ein Müller mit seiner Familie hat sich in einem Palaste, den er zur Mühle umgewandelt, eingenistet und betreibt da sein klap­perndes Gewerbe. Sonstist alles vereinsamtnnd still. Eine überalle Beschreibung üppige Vegetation von wuchernden Schlinggewächsen hat die ganze ehemalige Stadt überzogen. Hier und da schaut aus dem gierigen Geschlinge ein reizendes gothisches Fenster- chen, eine zierliche Säule hervor; in den drei halbverfallenen Kirchen ohne Dach und Thor glänzen noch bunte Fresko­malereien von den Wölbungen hernieder; aber Wurzel auf Wurzel sprengt das Gestein und arbeitet an dem langsamen Werk der Zerstörung. Wie es sich da gegen den Abendhimmel ausbreitete, von trübem Nachtnebel und giftigen Campagna- dünsten fast schon umhüllt, eiue Stätte, die durch Arbeit und Menscheukunst schon einmal der Natur abgewonnen war, und nun von Jahrhundert zu Jahrhundert ihr wieder mehr ver­fällt, bis die neidische es endlich ganz mit ihrem geilen grünen Zanbergewinde wird übersponnen haben, es war ein unendlich schreckhafter und melancholischer Eindruck. Und mit beflügelten Schritten in gerader Linie eilten wir wieder den Bergabhang in die Höhe, um nicht der g-rin enttivn (Fieberluft) dieser bösen Gegend zum Opfer zu fallen. Als wir bei unsrer Locanda ankamen, bedeckte schon ein feuchtes Gran die unselige Ebene. Wir aber setzten uns in dem behaglichen Zimmer, das bei der beträchtlichen Höhe Normas schon geheizt war, mit Gregorovius und seinem Reisegefährten, einem Schweizer Landschaftsmaler, um die Wirthstafel und vertieften uns bis spät in die Nacht hinein in trauliche Gespräche.

Am anderen Morgen ging es unter Führung eines kräf­tigen Montanaren landeinwärts, dem mittelsten und höchsten Kamme des Gebirges zu, und bald stiegen wir den weiß­grauen nur kärglich mit Grün bestreuten Monte Lnpone hinan. Die Paßhöhe, ganz nahe an dessen letzten Aufstiege, ward endlich erreicht; und nun folgte eine breite mit herrlichen Eichen und edlen Kastanien dicht bewachsene Hochebene, die sich nur langsam und allmählich nach dem jenseitigen Piano- thale hinabsenkte. Ein schauerlich schwarzes Menschenungethüm mit höchst mißtrauischen Blicken von uns begrüßt, hatte sich auf der Höhe uns angeschlossen, entpuppte sich aber bald als ein unschuldiger gntmüthiger Hirt, der nach Segni wollte. Wir luden ihn ein, an unsrem Waldfrühstück theilzunehmen; und nachdem dasselbe zu allseitiger Befriedigung ausgefallen war, ließen wir unseren Raffaels nach Norma umkehren, und wir kletterten gerade aus in das Thal hinab, wo wir die fahrbare Strada Romana von oben schon blinken sehen konnten.

Thalabwärts führt die Straße über Montelanieo nach Segni, das auf stolzer Höhe über die Borberge herüberragt. Rechts geht es nach dem über alle Maßen keck und malerisch einem hohen Rücken anfgepfropften Felsenneste, das in letzter

Zeit seinen Namen durch die ganze Welt bekannt gemacht hat: Carpineto, seit vier Jahrhunderten dem Stammsitze der ans Toscana eingewanderten Familie Pecci, der Vaterstadt des neuen Papstes, Leos XIII. lieber eine Wand prächtigster Waldvegetation hinweg schaut es in das Thal, im eigentlichen Herzen des Volskergebirges auf drei Meilen im Umkreise der einzige menschenbewohnte Ort.

DieStrada corrozzabile" verläuft sich am oberen Ende des Thales in den Wald und gabelt sich da zu verschiedenen, die gründlichste Verirrung verheißenden Holzwegen auseinander. Ein schmaler Saumpfad klettert iudessen unmißverständlich in steilen Windungen den kahlen Fels empor. Das ist der schwin­delnde Zugang zu Carpineto.

Der Schweiß tropft von der Stirn, je höher der aufwärts strebende Fuß klimmt. Aber jeder Rückblick entschädigt ver­schwenderisch für die Mühsal des Steigens.

Im weiten Rahmen der das Pianothal einfassenden, zu prächtigen Linien sich verschiebenden Felsenrncken steigt allmäh­lich ein Bild vor uns auf, das an landschaftlicher Schönheit im herrlichen Apennin wenige seines Gleichen haben mag. Links der kahle massige Monte Lnpone mit weißblinkendem Scheitel; rechts die steilen Bergabhänge, die jenseits im Saccothale nach Gorga und Scnrgola abfallen; in: Vordergründe über dierau­schenden Banmwipfel zu unseren Füßen hinweg, Montelanieo, und hoch auf kühner Felsenspitze das breitthronende Segni; dahinter in weiter Ferne die gewaltigen Limen der Palestriua und Olevano beherrschenden unbeschreiblich schönen Guadagnolo- und Monte-Gennaroketten. Dazu vor uns beim Aufsteigen die senkrecht abfallende Felsmauer des grauen Kalkgrates, auf dem mit unglaublicher Kühnheit das lang hingestreckte, in schmaler Linie verlaufende Carpineto sich am blauen Himmel abzackt, im östlichsten Hintergründe von den höchsten, 5000 Fuß über­steigenden Spitzen des Volskergebirges halbkreisförmig um­lagert, ein entzückendes Gemälde von berauschendem Zauber, an dem sich das Auge nicht satt sehen kann.

Freilich entnüchternd wirkt es, wenn der Fuß Carpineto selbst betritt.

Elende, verfallende, altersschwarze Häuser, aus rohbehauenen Felsstücken phantastisch zusammengeklcckst, stehen in regelloser Gruppirung auf beiden Seiten derStraße", wenn man diese enge, hin und her gewundene natürliche Treppe, die nach der Höhe des Orts führt, noch Straße nennen will. Jahrhunderte alter und dadurch fast ehr-, wenn auch nicht liebenswürdig ge­wordener Schmutz starrt dem Wanderer bei jedem Schritte ent­gegen, und grunzendeNeri", das liebliche schwarze Hausthier, das den Gebirgsitaliener wie ein Hund überall hin begleitet, wühlen rechts und links in diesen Ablagerungen einer dahin­rollenden Zeit mit anerkennenswertst zähem Spürsinn. Dazu blicken verwegene Gestalten lauernd aus Hausthür und Fenster auf die fremdartige Erscheinung besuchender Wanderer, und zur Abendzeit könnte es einem bange werden, an diesen dräuen­den Kindern der Berge vorüberzugehen.

Die Mittagssonne verscheucht die beklemmenden Gefühle. Knoblauchgewürzte harte Salame und eine Sogliette von essig- saurem Rothen in der schmutzigen Osteria am Marktplatze Car- pinetos belebt angesichts des Peccihanses die ermüdeten Geister, während der Blick durch die Spälten zwischen den Häusern in die Weite schweift und sich an idealeren Genüssen labt, als sie den Geschmacks- und Gernchsorganen in der Papstheimat zu Theil werden.

Also hier in dieser Fels- und Waldeinsamkeit ist am 2. März 1810 der schweigsame, strenge, karge, ans harten Knochen und gelber Haut bestehende Mann zur Welt gekommen, der dieser Welt das nächste Papsträthsel anfzugeben berufen ist! In diesem ärmlichen dreistöckigen Hanse vor uns, das nur in der Umgebung so überaus schmutziger und unfreundlicher Hütten auf den Namen eines Palastes Anspruch machen darf, hat unter fünf Geschwistern der kleine Gioachino seine erste Jugend verlebt und den Entschluß in sich reisen lassen, seine Zukunft dem geistlichen Stande zu widmen. Keine ritterlichen Anwandlungen für Nobelgarde oder weltlichen Glanz sind ihm in dieser majestätischen Natur gekommen. Wozu schon seine