Heft 
(1878) 29
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Jetzt hatte ich einen Anknüpfungspunkt.

Es würde Ihnen also doch wehe thnn, von hier gehen zu müssen, Fräulein Gretchen?" sragte ich.

Ach ja," erwiderte sie seufzend.Bin ich doch in diesem Hause geboren und groß geworden; mein ganzes Wesen ist mit diesen lieben Räumen so eng verwachsen; überall treten mir

bald frohe, bald schmerzliche Erinnerungen entgegen, und drüben ist meiner Mutter Grab. Es wird uns beiden schwer werden, und ich zweifle fast, ob wir, ob insonderheit der Vater sich in der Stadt er nennt sie immerdie Fremde"

je Wohl fühlen wird."

Gebe es keine Möglichkeit, Sie hier zu fesseln?" wagte ich weiter zu fragen.

Möglichkeit?"

Sie sah mich mit ihren großen dunkelblauen Augen so durchdringend an, als wollte sie den Sinn dieser Frage mir von der Seele ablesen. Ja, das war der räthselhafte Blick, der mich sonst immer zum Schweigen brachte. Aber heute hatte ich mehr Muth als sonst.

Fräulein Gretchen," sagte ich,ich frage nicht ohne Grund. Darf ich Ihnen ein Geheimniß anvertrauen?" Ich reichte ihr das Konsistorialschreiben.Bitte, lesen Sie," fuhr ich fort. Von Ihnen wird es abhängen, was ich auf diese Zuschrift zu erwidern habe."

Von mir?" fragte sie mit unsicherer Stimme. Dann las sie, und während sie las, überzog eine tiefe Röthe ihre Wangen, und als sie gelesen, glitt das Papier aus ihrer Hand, ein Zittern durchflog ihre zarte Gestalt, sie stützte sich mit der Linken auf den Tisch, neben welchem sie stand, mit der Rechten bedeckte sie die Augen.

Gretchen! Theures Gretchen! Gibt es keine Möglichkeit, Ihnen den Abschied vom Vaterhause zu ersparen? Ist wirk­lich nichts im Stande, Sie hier festzuhalten? Auch mein Herz nicht? Auch meine Liebe nicht? O Gretchen, willst Du mein sein? Mein für das ganze Leben? Meines Lebens Glück und Freude?" So rief ich und suchte die Rechte hin­wegzuziehen von den lieben Augen, in denen ich die Antwort lesen wollte aus alle Fragen meines Herzens. Aber schon fühlte ich mich von ihren beiden Armen umschlungen, fühlte ihr Herz an dem meinigen klopfen, ihr erglühendes Gesicht lehnte sich an meine Schulter.

Rudolf, mein Rudolf, ich habe Dich ja schon lange lieb, o so sehr lieb! Hast Du es denn nicht gewußt, Du Ein­ziger? Nimm mich hin, ich bin Dein," flüsterte der süße Mund, den der erste Brautkuß wieder verschloß.

Lange standen wir in stummer Umarmung. Für das

höchste Glück hat die Sprache keine Worte. Dann aber nahm Gretchen mich bei der Hand und führte mich in des Vaters Zimmer, um ihm die doppelte frohe Kunde zu bringen. Er wollte erst seinen Augen und Ohren nicht trauen; aber das glückstrahlende Lächeln seines Kindes redete doch zu laut und deutlich; meine Bitte, dieses sein Töchterchen mit seinem väterlichen Segen mir als liebes Weib ans Herz zu legen, war doch zu dringend; was blieb ihm, dem von zwei Seiten Bedrängten, übrig, alsJa" zu sagen, was er mit all der Innigkeit, deren sein Herz fähig war, that.

Wunderbar, wunderbar!" flüsterte er sinnend, nachdem er das Konsistorialschreiben gelesen.

Dann ging er still hinaus. Wir ahnten wohin, und folgten ihm, und am Grabe der Vollendeten legte er, wortlos aber heiter nach oben blickend, seine segnenden Hände auf unsere Häupter.

Arm in Arm gingen wir beide, Gretchen und ich, den Eltern entgegen, die wir, als wir sie trafen, fast mit Gewalt aus dem Wagen hoben und wie im Triumphe ins Pfarrhaus führten. Ihre Freude, ihre Glückwünsche, die Liebe, mit welcher sie die Tochter umfingen, die zärtliche Hingebung, welche meine Braut ihnen widmete, die stille ernste Heiterkeit des Vaters Reinhard, der staunend sein seit Mittag völlig verwandeltes Gretchen beobachtete, wie es bald hausmütterlich geschäftig die Bewirthung der lieben Gäste sich angelegen sein ließ, bald alles um sich her vergessend, sich an den Geliebten schmiegte, als wollte sie ihn nun für ewig festhalten, überhaupt die Feier der Verlobung nein, ich kann das alles nicht beschreiben. Es waren unvergeßliche geweihte Stunden, Stunden, die man nur einmal erlebt.

Als der Abend dämmerte, setzte sich Vater Reinhard ans Harmonium und sang, anfangs mit leiser, dann aber, als sei es ihm gelungen, auch die letzten düsteren Schatten aus seiner Seele zu verbannen, mit immer kräftigerer Stimme:

O du fröhliche,

O du selige,

Gnadenbringende Osterzeit!

Welt lag in Banden,

Christ ist erstanden,

Freue, freue dich, o Christenheit!

Bei der zweiten Strophe fielen wir alle ein:

O du fröhliche,

O du selige,

Gnadenbringende Osterzeit!

Tod ist bezwungen,

Leben errungen,

Freue, freue dich, o Christenheit!

Jaröenfiudien.

Von Franz

I. Schwarz und Weiß.

Licht und Finsterniß sind nach biblischer Vorstellung Gegensätze. Es sind Gegensätze im Bereiche der Körperwelt und also des Naturgesetzes, aber auch im Bereiche der Geist­welt und also der Freiheit. Gott, sagt die Schrift, ist Licht, die guten Engel sind Engel des Lichtes, die aus Gott und in Gott lebenden Menschen sind Kinder des Lichtes.

Wenn die Schrift sagt: Gott ist Licht, so ist der Sinn selbstverständlich nicht der, daß das Wesen Gottes aus dem Stoffe und der stofflichen Erscheinung bestehe, welche wir sinn­lich wahrnehmen und Licht nennen; aber die Aussage ist doch nicht gleicher Art mit solchen, wie: Gott ist ein Fels, oder: Gott ist ein Schild, denn das sind zufällige Bilder dafür, daß das Vertrauen sich auf ihn gründen und der Gefährdete sich seines Schutzes getrösten kann, zufällige Bilder, weil sie mit vielen anderen gleichen Sinnes wechseln können, wie daß Gott eine feste Burg, oder daß er eine feurige Mauer. Wenn dagegen die Schrift sagt: Gott ist Licht, so benennt sie das Wesen Gottes nicht nach einem aus der Naturwelt willkürlich

Nachdruck verboten.

Ges. v. it./IV. 7».

Delitzsch.

aufgegriffenen Bilde, sondern nach demjenigen Bilde seines Wesens, welches er selbst in die Welt der Schöpfung hinein­gewirkt hat, wie Graf Platen in einem Hymnus ans das Licht sagt:

Licht, es ist der große Mittler Zwischen Gott und zwischen Menschen.

Als die Welt geboren wurde,

Ward das Licht vorangeboren,

Und so ward des Schöpfers Klarheit Das Mysterium der Schöpfung.

Wenn es sich so verhält, wie dieses schriftgemäße Dichter­wort sagt, daß es die Klarheit, d. i. Heiligkeit und Herrlich­keit des Schöpfers selbst ist, deren Abglanz die Schöpfung in dem Lichte an sich trägt, so wird es auch mehr als eine zufällige Metapher sein, wenn die Schrift von dem Bösen, d. h. Widergöttlichen sagt, es sei Finsterniß. In der That, daß zwischen dem Bösen und der Finsterniß ein Zusammenhang besteht, lehrt uns die Erfahrung in beschämender und schauriger Weise. Denn das Böse versetzt den Menschen in eine Glut, die, wenn sie niedergebrannt ist, Verdunkelung seiner Sinne