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zurückläßt, und gesetzt auch, daß sich ein Mensch mit bösem Gewissen in einem von tausend Lichtern strahlenden Festsaale befindet, sein Inneres ist doch umnachtet, es ist ihm doch zn Muthe, als wenn er sich in einem finstern Kerker befände.
Es gibt also Erscheinungen und Empfindungen von Licht und Finsterniß, welche nicht physikalischer Natur und doch homogener Natur sind. Darum ist es auch mehr als ein Redebild, wenn die Schrift den Kampf zwischen Licht und Finsterniß als den Inhalt der Weltgeschichte, und den Sieg des Lichtes als ihren Ausgang betrachtet. Denn wenn die unaufgelöst bleibende tragische Dissonanz, die durch das Johannesevangelium hindurchklingt, sich im Prolog mit den klagenden Worten an- kündigt: „Das Licht scheinet in der Finsterniß und die Finsterniß hat es nicht begriffen," so ist da vorausgesetzt, daß Licht und Finsterniß Gegensätze seien, welche im Bereich des Geistes ihre Antitypen haben. Es sind prinzipielle Gegensätze, die aber in der gegenwärtigen Welt dennoch nicht als absolute zur Erscheinung kommen. Denn der Grundcharakter der gegenwärtigen Welt ist die Mischung des Lichtes und der Finsterniß. Wie Nacht und Tag so wenig absolute Gegensätze sind, daß die Himmelsbläue eines heiteren Tages auch in sternenheller Nacht noch sichtbar bleibt, — las ich doch neulich erst ein Weihnachtslied, welches mit der Anrede des Abendsternes beginnt: Wo schaust du hin, du Silberstern, aus deiner blauen Nacht*) — so wirft das Böse auch in das Gute des Menschen seine finstern Schatten, und das Gute wetterleuchtet auch durch die Nacht des Bösen hindurch. Erst Himmel und Hölle reprä- sentiren die Gegensätze in ihrer gänzlichen Entmischung als absolute. Diese Verewigung der unaufgelösten Dissonanz befriedigt nicht, aber der Blick auf das Ende, den uns Gottes Wort gewährt, reicht nicht weiter. Genug, daß auch die Hölle wie der Himmel Gottes Schöpfung ist und ihm die Ehre geben muß, der von sich sagt: „Ich bilde das Licht und schaffe die Finsterniß, ich mache den Frieden und schaffe das Uebel, ich der Herr bin es, der solches alles thut."
Wie verhält sich nun zu diesen Antitypen des Lichts und der Finsterniß die Erkenntniß des typischen, d. i. des natürlichen Lichtes und seines Gegensatzes, welche uns die Wissenschaft darreicht?
Eins ist gewiß: das Leuchten des Lichts besteht in Schwingungen, welche sich in Wellenbewegung fortpflanzen. Der Lichtstrahl ist die Linie, welche die fortgehenden Schwingungen des Lichtes beschreiben, indem es auf- und niedergehend fortwogt. Wenn nun aber das Licht eine Esfulguration ist, welche aus Schwingungen hervorgeht und wellenförmig sich fortbewegt, so entsteht die Frage: welches ist denn die schwingende und wogende Substanz? Hier ist dem experimentellen Wissen eine leidige Grenze gesteckt und es beginnt die Hypothese. Die Substanz des Lichtes, sagen wir, ist ein äußerst feiner elastischer Stoff, und wir nennen diesen im Unterschiede von der Luft den Aether. Wenn dieser Aether ein elastischer Stoff ist, so sollte man freilich meinen, daß das Licht sich in Längsschwingungen fortpflanzen werde wie der Schall, dessen Wellen sich in Vorstößen parallel mit der Längsrichtung fortpflanzen; aber es pflanzt sich in Querschwingungen fort, welche senkrecht zu der Richtung des Strahls erfolgen. Die Hypothese leidet also an einer Schwierigkeit, ebenso wie die Hypothese der zwei elektrischen Fluida, welche, wenn ihre Spannung gelöst wird, den im elektrischen Funken sich ankündigenden elektrischen Strom ergeben. Sie löst hier wie dort das Räthsel nicht, aber ihre wenigstens relative Wahrheit bewährt sich dadurch, daß sich auf Grund derselben die Naturgesetzlichkeit der Erscheinungen erklärt.
Wir sagen also: Licht ist Aetherbewegung. Ein Körper wird zum selbstleuchtenden, wenn der zwischen seinen Molekülen ausgespannte Aether zu schwingen beginnt. Sein Licht pflanzt sich fort, indem sich seine Schwingungen dem Aether, welcher den Weltraum erfüllt, mittheilen. Die Körper, auf welche Licht
*) Volksblatt für Stadt und Land. t877. 26. Dez. XIV. Jahrgang. 29. !>.*
fällt, werden sichtbar, indem sie das einfallende Licht, so weit sie es nicht absorbiren, diffus, d. i. nach allen Seiten ausstrahlend zurückwerfen. Die Färbung bestimmt sich nach der Farbe des einfallenden Lichts oder, wenn dieses nicht einfarbig ist, nach denjenigen Farben des Lichts, welche der Körper mehr oder weniger durchläßt und zurückwirft, während er gewisse Farben absorbirt oder bis zur Unempfindlichkeit für unser Auge abschwächt. Die Farbe des Lichtes selbst bestimmt sich nach seiner Schwingnngsdauer, nach welcher sich die Wellenlänge bemißt. Die langsamsten Schwingungen, nämlich ungefähr 450 Billionen in der Sekunde, und die infolge dessen längsten Wellen ergeben für das menschliche Auge die Farbempfindung Roth; die raschesten Schwingungen, nämlich ungefähr 800 Billionen in der Sekunde, und die infolge dessen kürzesten Wellen und also brechbarsten Strahlen ergeben die Farbempfindung Violet. Der Schwingungsbogen bedingt die Lichtquantität oder den Helligkeitsgrad, und die Wellenlänge bedingt die Lichtqualität oder die Farbe. Wenn die in dem Tageslichte einheitlich gemischten Farbensorten einheitlich, d. i. gleichzeitig die Netzhaut unseres Auges treffen, so empfinden wir Weiß, und wenn der Stoff, den wir sehen, von dem einfallenden Lichte nichts zurückgibt, sondern es gänzlich absorbirt, so erscheint er uns schwarz. Weiß ist die Einheit aller Farben und Schwarz ist die Negation aller Farben. Wenn Schwarz noch Licht reflektirt, so ist es eben kein reines Schwarz. In reinem Schwarz ist alles Licht absorbirt und also wie ertödtet und begraben.
Vergleichen wir nun mit diesen wissenschaftlichen Erkenntnissen die biblischen Bezeichnungen und Vorstellungen, so berühren sie sich damit mannigfach. Aber es wäre der dümmste Anachronismus, wenn man in die Bibel naturwissenschaftliche Erkenntnisse hineinläse, welche erst in nachreformatorischer Zeit auf dem Wege des Experimentes durch rastlose Beobachtung in Verbindung mit genialem Scharfblick errungen worden sind. Wenn man hier und da gesagt hat, die Erde heiße hebräisch , von im 2 laufen, weil sie um die Sonne läuft, oder das Wasser heiße dualisch imrfim, weil es ans Wasserstoffgas und Sauerstoffgas bestehe, so sind das nur schlechte Witze; denn die Erde heißt 01-02 nicht weil sie läuft, sondern weil wir darauf laufen, und masiin ist gar kein Dual, sondern ein Plural, welcher das Wasser als Vereinigung von Flüssigem bezeichnet. Ebensowenig hat der alttestamentliche Name des Lichts oi- irgendwelche Beziehung zu der wissenschaftlichen Schwingungs- und Wellentheorie, aber es verdient bemerkt zu werden, daß die Sprache der Semiten, vermöge eines glücklichen Griffes, das Licht als Vibration bezeichnet, denn der eigentliche Wurzellaut in or ist der Zitterlaut r, welcher entweder mit vibrirender Zunge (das vordere r) oder mit vibrirender Uvula (das Hintere r) gebildet wird. Die Vibrationserscheinungen, welche den noch auf der Kindheitsstufe stehenden Menschen zur Ausprägung dieses Wortes für Licht führten, waren das Hin- und Widergehen der Sonnenstrahlen, das Funkeln der Sterne, das Blinken der Kerze, das Zucken des Blitzes, das Zittern der Flamme.
Von Aetherschwingungen wußte das Alterthum nichts, aber wenn die Wissenschaft Finsterniß als Aetherstarrheit, d. i. Stillstand der Aetherbewegung definirt, so fügt sich dies in be- merkenswerther Weise dem biblischen Vorstellungskreise ein. Denn Regsamkeit, Leben, Licht sind biblische Wechselbegriffe und Stillstand, Tod, Finsterniß sind dazu die Gegensätze. Nach der trüben alttestamentlichen Vorstellung vom Jenseits, vor deren Trostlosigkeit sich der Glaube in Gott dem Lebendigen birgt, ist das Todtenreich das Land der Stille und der Achtlosigkeit. Den Namen Edoms lautet Jesaia in den Namen Duma um, welcher Stille bedeutet, um damit anzudeuten, daß Edoms eine finstere Zukunft wartet, welche die angstvolle Frage an den Propheten erpressen wird: „Hüter, ist die Nacht schier hin?" Und gleiches Schicksal dem Chaldäervolk diktirend, sagt der Prophet: „Setze dich in die Stille, geh in die Finsterniß, du Tochter der Chaldäer!" Auch der hebräische Name der Finsterniß selbst bezeichnet sie nach dem Merkmal der Zusammenpressung und Verdichtung, welche als Hemmung und Sisti- rung der Gegensatz der Schnelligkeit ist, mit der das Licht