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Zu unseren Khristusbitdern.
Von Mar Atlihn.
Nachdruck verboten. Ges. v. 11 ./VI. 70.
Das Daheim als ein alter Freund des Hauses möchte allwöchentlich nicht zu Besuch kommen, um nur eine Stunde Unterhaltung oder Neuigkeiten ans Nah und Fern mitzubringen, es möchte des Hauses Freud und Leid, Jahreszeit und Festtag mit dem befreundeten Hause erleben. Besonders liegt ihm daran, die christlichen Feste zu schmücken und in ihren Ton einzustimmen. Die Weihnachtsnummer wollte in Bild und Wort, in Licht und Schatten das Fest malen. Heute zum Osterfeste bringt es das Bild dessen, dem das Fest gilt.
Im vorigen Jahrgang (S. 409) bot unser Blatt einen Veronikakopf Christi, einen Holzschnitt Dürers dar, diesmal sind es zwei Bilder, ein Katakombenbild aus den Anfängen christlicher Kunst und ein „eorormUm" Burgk- meiers, eines Meisters, der bereits um einen Schritt jenseits des Höhepunktes der Kunst steht.
Es dürfte einiges Interesse gewähren, gerade diese beiden Darstellungen mit einander zu vergleichen.
Schon damals wurde daraus hingewiesen, daß sich ein römischer und byzantinischer Typus der ältesten Christusbilder findet. Authentische Porträts des Erlösers gibt es nicht. Die ältesten Darstellungen seiner Erscheinung sind in symbolisches oder typisches Gewand gehüllt. Im Orient zuerst tritt das eine Abbild Christi auf, welches den Anspruch macht, Porträt zu sein.
Man darf wohl darauf Hinweisen, daß die orientalische Kirche bestrebt war, die menschliche Natur Christi zu begreifen. Hiermit hängt die Neigung, die im Arianismus und vielen Sektenlehren heraustrat, zusammen, den Sohn dem Vater unterzuordnen, was die Abendländer nicht gelten lassen wollten. Den letzteren ist Christus mehr ein Begriff, den ersteren eine Person, die letzteren verehren den für die Sünden der Welt sterbenden Gottmenschen, die ersteren den für die Menschen lebenden Propheten, ihnen steht am höchsten Christus als Weltlehrer.
In letzterem Sinne sind die in mancherlei Resten übriggebliebenen Christusbilder orientalischer Art aufzufassen. Diese alle stellen Christum dar als Gewandfigur mit langem Haar, schmalem Gesicht und getheiltem Kinnbarte, die Rechte mit drei ausgestreckten Fingern erhoben haltend.
Man hat herkömmlicherweise diesen Gestus als den des Segncns bezeichnet und sich dabei auf die in der katholischen Kirche noch jetzt übliche Handhaltnng und auf mittelalterliche Bildwerke berufen, die auf solche Weise unstreitig segenspendende Gestalten darstellen. Doch mit Unrecht. Sehen wir uns eine Reihe von Bildwerken aus altchristlicher Zeit an, so fällt aus,
daß die Situation oft auf die Segensspendnng nicht paßt. Christus thront inmitten seiner Apostel und Kirchenlehrer, und sie alle erheben die drei Finger. Diese alle können doch nicht segnen. Die Verfertiger eines syrischen Manuskriptes stellen sich selbst in eben dieser Haltung dar. Es trägt fast stets die linke Hand eine Rolle oder Schrifttafel, wenn die rechte erhoben ist. Das alles will nicht auf den Segen, wohl aber auf die Handhaltung des Lehrers gedeutet werden. Eine einleuchtende Bestätigung unserer Annahme finden wir darin, daß eine Statuette der Klio zu Rom — eine weibliche Gewandftgur,
ein Buch in der linken Hand haltend, eine Tasche mit Schriftrollen neben sich — ans dem vierten Jahrhundert den gleichen
Gestus macht. Nun kann ober wohl eine Klio lehrend, doch nicht segnend dargestellt werden. Wir sehen also in allen diesen Bildern Christum Heu Weltlehrer.
Der byzantinische Typus wurde nun im vierten Jahrhunderte nach Rom übertragen; er verdrängte den antikisirenden römischen Typus gänzlich, und seit jener Zeit finden wir in Katakomben, Mosaiken und Miniaturen den orientalischen Christus mit langem Haar, getheiltem Barte, schmalem Gesicht, dem Buche und den drei erhobenen Fingern. Diesem byzantinischen Typus gehört auch das beistehende Fragment einer Wandmalerei aus Neapel an.
Das Bild befindet sich dicht am Eingänge zu der sogenannten Märtyrerkirche im unteren Stockwerke der Katakomben zu Neapel, und zwar in der kuppelartigen Wölbung der Decke. Wir verstehen, daß die aufgehobene Hand im Zusammenhang mit der Schrifttafel Christum in der Haltung des Lehrenden darstellt. Das Bild mag aus dem sechsten Jahrhundert stammen, und ist von späterer Uebermalung nicht ganz freigeblieben. Man hat ihm bei einer solchen Gelegenheit noch eine Einfassung gegeben und zwei Engel zu beiden Seiten beigefügt. Beides ist bei unserer Copie weggeblieben.
Unser Christusbild ist auch noch nach anderer Seite hin interessant, wenn wir es nämlich mit späteren, z. B. dem Burgkmeiers vergleichen. Die christliche Kunst befand sich im sechsten Jahrhundert in der Kindheit, der Maler ringt mit den Elementen seiner Kunst, und doch, trotz aller Zeichenfehler und aller Mißgriffe schafft er einen geistigen Inhalt, der bewunderungswürdig ist. Jener Christus aus den Katakomben von Neapel ist ganz gewiß ein Christus, mild, ernst, voll Majestät, selbst schön trotz aller Häßlichkeit. Der andere von der Hand Burgkmeiers ist unzweifelhaft richtiger, künstlerischer, sogar
MW
Christus als Weltlchrer.
Nach einer Wandmalerei in den Katakomben zn Neapel.
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