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kurzen Wellen fortwogend die Netzhaut unseres Auges trifft. Obwohl die Farbenlehre Goethes, welcher die Farben durch Mischung von Licht und Dunkelheit entstehen läßt, leichter faßlich ist und sich durch die Leichtigkeit ästhetischer und symbolischer Verwerthung empfiehlt, hält die neuere Wissenschaft, hierin die Entdeckung Newtons bestätigend, daran fest, daß es das farblose weiße Licht ist, welches die farbigen Strahlen in sich schließt und im Spektrum sich in sie ungleich auseinander bricht und sich ans ihnen wieder zusammensetzen läßt, — ein großartiges Naturbild der Einheit Gottes und des in seiner Einheit beschlossenen Reichthums absoluten Lebens.
Als im Anbeginn das Licht mit der Intensität, welche allen schöpferischen Anfängen eigen ist, in die finsteren Nebel hereinbrach, welche auf den Urgewässern lagerten, da zeigten sich alle die Farbenerscheinungen, welche das Licht begleiten, wenn es durch trübe Medien langsamer oder schneller hindnrch- geht oder auch zurückgeworfen wird; an einigen Punkten flössen das kurzwellige violette, blaue und grüne Licht zu Blau zusammen, und an anderen Punkten, wo die trüben Schichten dicker waren, steigerte sich ihre Färbung von Gelb und Gelbroth und Roth bis zu Weiß. Es war der erste Tagesanbruch, unmittelbar gewirkt durch Gott, die Sonne der Sonnen. Die Erde war aus dem Chaos noch nicht hervvrgebildet; Meer, Atmosphäre und Festland waren noch nicht geschieden; die für die Erdwelt bestimmten Lichtquellen, deren Reigen die Sonne führt, waren noch nicht entstanden. Aber das Licht war nun da, Gottes Erstgeborener, und mit ihm die Farben, des Lichtes Kinder. Alle Wesen, die fortan ins Dasein traten, hatten mit ihren besonderen Formen zugleich ihre besonderen Farben. Und als die aufsteigende Scala organischer und beseelter Wesen mit dem Menschen zur höchsten Staffel gelangte, da wurde des Menschen Leib ausgezeichnet durch jene mannigfaltige sanfte Farbenmischung, deren Wiedergabe, die sogenannte Carnation, eine der schwierigsten Ausgaben des Malers ist, und welche Sulamith im Hohenlieds (5, 10) feiert, indem sie ausruft: „Mein Freund ist weiß und roth"; diese Fleischfarbe wurde noch gehoben durch die Farbe der Augen und des Haares, und vermannigfältigt durch den durchscheinenden Glanz der Nägel, welcher dort im Hohenliede (5, 14) mit Topasen, und das durch die Haut blau durchschimmernde Geäder, welches dort mit Saphiren, eingelegt in Elfenbein, verglichen wird. Rings um den Menschen aber prangte der nun vollendete Kosmos in allen Farben, von dem Blumenteppich unter seinen Füßen bis zu dem Farbenwechsel der auf- und nntergehcnden Sonne und den des Nachts in verschiedenfarbigem Lichte strahlenden Gestirnen. Blickte er nach Sonnenaufgang den Himmel über seinem Haupte an, so wölbte er sich über ihm in tiefem Blau, welches nach den Enden des Gesichtskreises hin in Hellblau überging und mehr und mehr ins Weiße verschmolz, und blickte er unter sich, so warfen Thautropfen ihr regenbogenartiges Farbenspiel in seine Augen zurück und auf frischem Grün mannigfachster Helligkeits- und Sättigungsgrade traten ihm die Pflanzen in der unerschöpflichen Fülle ihrer Formen und Farben entgegen — auch die Vögel, die ihm von den Bäumen und aus den Lüften entgegenzwitscherten, die Fische, die in dem Strome anf- und niederplätscherten, die ganze Thierwelt, die ihn umgab, war von dem Lichte ste nach der Zusammensetzung ihrer Körper mit den erfindungsreichsten Farbenkombinationen ansgestattet. Die ganze Natnrwelt lag vor dem Menschen wie ein aufgeschlagenes Buch mit bunten Lettern und Bildern. Diese unbegrenzte Menge von Farbenempfindungen mit Einem Male in sich aufzunehmen war ihm schlechterdings unmöglich. Die Menschengeschichte hat ja, obwohl menschlich und nicht thierisch, doch mit dem Kindheitsstandpunkte begonnen. Beobachtung der Dinge und Benennung des Beobachteten haben in jedweder Beziehung ihre Geschichte. Auch der Farbensinn der Menschheit hat sich nur nach und nach ausgebildet. Ein Beispiel für diese allmähliche Entwickelung ist das Blau des Himmels. Wir alle wissen es zu unterscheiden und zu benennen, und wo wäre ein neuerer Dichter, der dieses Blau nicht besänge, wie I. H. Voß, wenn er von einem schönen Sonnenaufgang sagt: „Duftig in lauterer Bläue zerfloß wie Silber das Frühroth", oder Will).
Jordan vom Mvrgenhimmel: „In reiner Bläue hoch im Osten stand der Morgenstern, der Himmelsdiamant", oder Graf Platen von bewaldeten Bergen: „Des Himmels Blau, der Sonne Gold verschweben um eure Wipfel", oder Geibel von einem schönen Tage: „Lau war die Luft, der tiefe Himmel blaute". Aber die bewußte Wahrnehmung und sprachliche Bezeichnung dieses Blau hat, um zum Durchbruch zu kommen, eines Verlaufs nicht nur von Jahrhunderten, sondern von Jahrtausenden bedurft.
In den Hymnen des altindischen Rigveda wird der Sonnenwagen als mit Perlmutter belegt, allfarbig und mit goldener Deichsel beschrieben, die Sonnenrosse als goldig oder auch strahlend in siebenfachem Farbenbunt, aber nirgends wird die Helligkeit des Tageshimmels, welche der Umschwung des Sonnengottes hervorbringt, als Bläue bezeichnet; die Sprache hat für Blau des Wort ulln, sie benennt danach den Farbstoff der Indigopflanze, die Farbe der blauen Wasserrose, die Farbe des See- und Flußwassers, nie aber die Farbe des Tageshimmels. Auch der altpersische Avesta rühmt nirgends die Himmelsbläue. Die nordsemitischen Sprachen haben nicht einmal ein Eigenschaftswort für Blau, auch das Aegyptische besitzt keines, obwohl die Aegypter, wie auch die Babylonier und Assyrier blaue mineralische Farbstoffe kannten. Anderwärts, wo man ein Wort hat, gebraucht man es nicht vom Himmel. Trotz der lachenden hellenischen Himmelsbläue bezeichnen weder die homerischen Gesänge noch überhaupt die klassische griechische Literatur den Himmel jemals nach dieser seiner Farbe; violen- blan oder cyanblau heißt das Meer, nirgends aber bei einem der alten griechischen Dichter der Himmel. Auch in der alten Edda finden wir den klaren heiteren Himmel nicht nach seiner Farbe benannt; bin, d. i. blau wird das Meeresgewoge, wird dort der Mohr genannt, nicht aber der Himmel. Ebenso ist das althochdeutsche blLo (x>lLo; blNu, pinn) als Attribut des Gewässers und der Nacht bezeugt, nicht als Attribut des Himmels.
Fragen wir nun, einstweilen von der alttestamentlichen Schrift absehend, seit wann die menschliche Literatur von dem blauen Himmel zu reden begonnen hat, so scheint, wie in anderen Dingen, so auch hier den Chinesen die Priorität zuerkannt werden zu müssen. Denn nach dem Befunde meines Freundes Victor von Strauß und Torney, welcher, von mir um Belehrung angegangen, die über die sieben vorchristlichen Jahrhunderte znrückreichenden Schriftwerke der Chinesen durchforscht hat, um die dortigen Ausdrücke für Blau und Grün zu untersuchen, findet sich da neben binän (n^un), welches Blau, aber zugleich die verschiedensten dunkeln Farbentöne bis zum eigentlichen Schwarz herab bezeichnet, das Farbwort (tbonA), welches in unzweideutiger Weise die Himmelsbläue bezeichnet; der Himmel heißt im Schi-king, einer Sammlung von Liedern aus der Zeit von etwa 1700—618 v. Chr., das gewölbte Blau (übinn§ tlmLn^), wie auch in der jüngeren Sprache das regierende Blau (üiün tb8än§). Eben dieselbe Benennnngsweise des Himmels begegnet uns (und ich wüßte nicht wo anderwärts und früher) bei den ältesten lateinischen Dichtern seit dem dritten Jahrhundert. Sie gebrauchen das Farbwort enm-ulus, welches auch von Grünem gesagt wird, aber wenigstens vorzugsweise Blau bezeichnet, vom Himmel. Nävins nennt ihn oononvuin enarnluni das blaue Gewölbe, wie später der christliche Dichter Synesios den cyan
blau gewölbten, und Ennins onarnla, tsinxla. die blaue Gotteswohnung. Seitdem ist enei-ulns bei den lateinischen Dichtern ein beliebtes malerisches Beiwort des Himmels. Daß dann weiterhin auch in dem christlichen Sonnenliede der jüngeren Edda und in der mittelhochdeutschen Poesie der blaue Himmel vorkommt, läßt sich erwarten. Aber dieser Fortschritt des Farbensinns ist nicht überall der gleiche. Für die arabische Poesie ist die Himmelsbläue wie nicht vorhanden. Der heitere Tageshimmel gilt als weiß. Erst die jüngere Sprache hat für Himmelblau die Bezeichnung snrnE, d. i. himmelfarbig. Wissenschaftliche altgriechische Schriftsteller sagen in gleichem Sinne nörinos, d. i. luft- farbig — also statt eigentlicher Farbwörter Surrogate solcher.
Wie langsam sich die Aufnahme des Himmelsblau in Bewußtsein und Sprache entschied, zeigen die römischen und byzantinischen Wagenrennen, ein Bestandtheil der cireensischen Spiele.