480
! Die Gespanne zerfielen da in vier Parteien (knolicmes), welche ! sich durch die vier verschiedenen Farben kennzeichneten, in welche die Wagenlenker gekleidet waren: eine grüne prasiim, eine weiße nlba, eine blane vsnstn (benannt nach der Farbe des Meeres ^ an der Küste, welche das alte Venetervolk bewohnte) und eine
! rothe ru88ata. Die blaue Faction war dem Kronos (Saturn)
geweiht, der auch indisch niInvLsn8, der blaugekleidete zubenannt wird, oder dem Poseidon, dem Beherrscher des cyanfarbigen ; Meeres, so daß die Schiffer es als ein ihnen günstiges Zeichen ansahen, wenn die blaue Faction siegte, und die Landleute, wenn die grüne. Später sah man in dem Circus ein Bild des Jahres- ^ cirkels und deutete die vier Farben auf die vier Jahreszeiten, aber ^ weit entfernt, das Blau auf den Sommer mit seinem überwiegenden ! Himmelsblau zu beziehen, bezog man es vielmehr auf den ^ wolkigten Winter. Oder man deutete auch die vier Farben ( auf die vier Elemente, aber weit entfernt, das Blau der Luft ^ zu geben, gab man vielmehr der Luft das Weiß und das Blau dem Wasser. Daß das Blau dem Himmel gegolten habe, kommt nirgends zu reiner Aussage. Es werden nur vereinzelte dahin gehende Stimmen laut, darunter Tertullians, welcher unentschieden sagt, daß mau es dem Himmel und dem Meere (oaelo 6l raari) geweiht habe.
Einen anderen Beleg dafür, daß der Sinn für das Blau des Himmels sich nur erst sehr spät herausbildete, bietet uns die Talmud- und Midraschliteratur da, wo sie das Pnrpnrblau der Schanfäden und des Tuchs, mit welchem die Bundeslade ans der Wanderung bedeckt werden soll, bespricht. Auf die Frage, weshalb das Purpurblau oder die Hyacinthfarbe vor andern Farben ausgezeichnet sei, wird geantwortet: deshalb, weil der Hyacinth gleicht dem Meere und das Meer gleicht dem Himmelsfirmament. Anderwärts wird sogar noch das Pflanzengrün dazwischen geschoben: der Hyacinth gleicht dem Meere und das Meer gleicht den Kräutern und Bäumen, und s diese gleichen dem Himmelsfirmament. Blau und Grün fließen ! hier zusammen, sowie Blau und Schwarz, wenn Raschi, der ^ Glossator des Talmud, bemerkt: der Hyacinth gleicht dem Himmelsfirmament, wenn es sich schwärzet zur Abendzeit. Zwar ( zeigt sich schon Ambrosius nach dem Vorgang Colnmellas auf richtigem Wege, wenn er sagt, der Hyacinth stelle die Farbe des heiteren Himmels dar. Aber nimmt man alle diese Aussagen zusammen, so geht daraus hervor, daß man noch in ^ nachchristlicher Zeit bis in das Mittelalter hinein das Blau ' weder von Grün noch von Schwarz recht zu unterscheiden wußte.
Wie kommt es, daß das Blut seinem Farbeucharakter nach so spät erst unterschieden und benannt wird? Ein geistreicher ^ Ophthalmolog, Hugo Biaguns in Breslau, hat aus dem Ent-
^ wickclungsgange des Farbensinns den Schluß gezogen, daß die
> Menschen frühester Zeiten überhaupt noch nicht Farben sahen,
daß dem Farbensinn der Lichtsinn, d. h. der Sinn für ver
schiedene Lichtquantität, aber noch nicht verschiedene Licht- ! qualität vorausgegangcn sei, und daß die als organischer Fehler vielen Menschen angeborene Farbenblindheit auf einer Ent- wickclnngshenunung beruhe, welche die Netzhaut in jenem noch unentwickelten ursprünglichen Zustande festhalte. Aber diese !! Ansicht gibt der Entwickelung einen rudimentären Anfang, welcher j historisch nttnachweisbar ist, und faßt den Entwickelungshergang einseitig Physisch- Nehmen wir den erwachsenen Menschen, so - finden wir Empfänglichkeit für Farbenempfindnngen schon bei ! den unkultivirtesten Völkern; sie lieben es, sich roth oder gelb ! anzumalen und dadurch zu verschönern. Und wie sollte die
Netzhaut des Menschen jemals unempfindlich für Farbeneiudrücke ( gewesen sein, da selbst Insekten, welche Honig oder Blnmen-
) staub sammeln, sich, wie man beobachtet hat, mehr durch die
!) Farbe als durch die Form der Blumen einladen lassen, und
H farbiges sowohl als farbloses Licht in dem Stäbchen- und
Zäpfchenmosaik der Netzhaut des Frosches je nach der Art der Farbe verschiedene Wandlungen hervorbringt? Daraus aber, ' daß die alten Farbennamen nur die Gegensätze von Helligkeit
q und Dunkel ausdrücken und innerhalb dieser Grundbegriffe hin-
^ und herschwanken, läßt sich nicht die Folgerung ziehen, daß die
h Netzhaut des alterthümlichen Menschen nur die Lichteffekte und
! noch nicht die Farbentöne zu unterscheiden fähig gewesen sei.
Denn auch heute noch wie nach Jahrtausenden ist die menschliche Sprache schlechthin unvermögend, das Bild einer Farbe in adäquatem Ausdruck widerzuspiegeln. Entweder bezeichnet sie die Farbe nach den Grundbegriffen von Hell und Dunkel, wie z. B. grün auf die Sanskritwnrzel Zbar hell sein zurückgeht, womit lateinisch Zsi-msu Sproß, englisch §rovv wachsen zusammenhängt, oder nach der Ursache deren Wirkung sie ist, wie z. B. braun mit brennen zusammenhängt, oder nach irgend einem Dinge, an welchem diese Farbe haftet, wie z. B. roth so viel als blutfarbig ist, denn rackllira bedeutet im Sanskrit das Blut. Ueberhaupt ist kein menschliches Wort der in reinem Spiegel aufgefangenc und vollständig wiedergegebcne Eindruck der Sache. Es ist immer nur eine fragmentarische Bezeichnung der Sache nach einem Merkmal oder nach einer Analogie. So bedeutet z. B. Baum, das womit man baut. Aber es gibt auch noch andere Ballmaterialien. Das Wort deckt sich also nicht mit der Sache. Der Schieferstift eines Kindes, welches das Bild eines Baumes auf die Tafel kritzelt, leistet mehr als die menschliche Sprache. Nicht blos Gotte, sondern auch der Welt der Dinge gegenüber sind wir nur Lallende. Unsere Worte sind armselige Chiffern.
Wenn nun aber Lichtsinn und Farbensinn nie ohne einander gewesen sind lind die Sprache in unmittelbarer Bezeichnung der Farbe bis heute über die Gegensätze des Lichten und Dunkeln nicht hinanskommt, so wird die Entwickelung des Farbensinns, d. h. die Umsetzung der Farbeneindrncke in Empfindung, Wahrnehmung und Bezeichnung gleichem Gesetze folgen wie alle menschliche Entwickelung: dem Gesetze des Fortschritts vom Groben zum Feinen, vom Hervortretcnden zum Zurücktretendcn, vom Nahen zum Fernen. Daß das Kind, wenn man ihm grelle lichtreiche Farben, etwa Roth, vorhält, diese alsbald fixirt, während die lichtschwächeren und die sogenannten unbestimmten Farben es theilnahmlos lassen, hat darin seinen Grund, daß seine Seele sich noch in einem Halbschlnmmerzustand befindet, in welchem sie nur durch starke Eindrücke erregt wird. Darum, ist auch die Aufmerksamkeit der Menschheit mehr durch die Licht- und Farbeneindrücke des Feuers, des Morgen- und Abendroths, der Sonne, des Mondes und der Sterne gefesselt worden, als durch die Himmelsbläue. Roth und Gelb machten den Anfang. Plinins hat gewissermaßen recht, wenn er sagt, daß die älteste Bevorzugung dem Gelb zukommt. Roth und Gelb und besonders die Orangefarbe des Feuers übten auf die Menschen die erste fesselnde Wirkung. Ein indischer Spruch, welcher Aether, Lust, Feuer, Wasser und Erde als die fünf Elemente aufzählt, gibt dem Aether die Eigenschaft des Schalls, der Luft die Eigenschaften des Schalles und der Fühlbarkeit, dem Feuer die Eigenschaften des Schalls, der Fühlbarkeit und der Farbe, datirt also die Farbe vom Feuer. Homer gibt der Eos Krokusgewand und Rosenfinger, hebt also Gelb und Roth an der Färbung des Morgenhimmels hervor. Ehe man sieben Regenbogenfarben zählte, zählte man nur drei. Der Regenbogen ist nach der Edda eine dreifarbige Brücke zwischen Himmel und Erde, und hervorgehoben wird das Roth als gleich brennendem Feuer. In Gelb kleidete sich bei den Römern die Braut und roth bemalte sich der Triumphator. Gegen die mächtigen Lichteffekte dieser zwei Farben erschien Blau als dunkel und Grün als fahl. Im ganzen und großen bewährt sich der von Magnus skizzirte historische Beweis, daß die Entwickelung des Farbensinnes der Aufeinanderfolge der prismatischen Farben entspricht, indem sie bei dem rothgelben Ende begonnen hat und erst spät bei dem blauvioletten angelangt ist. Uebrigens ist die Entwickelung des Farbensinns der Völker nicht zugleich auch die Entwickelung des Farbensinns aller Einzelnen. Das Blau ist auch heute noch die schwache Seite des Farbensinns Vieler. Ihr Auge hat aus Mangel an Aufmerksamkeit und Uebnng nicht die hierfür erforderliche Fnnktionsfähigkeit. Man darf behaupten, daß die meisten Menschen Blau, Indigo und Violet nicht zu unterscheiden wissen. Die Frage, wie sich das Blau des Rittersporn, der Kornblume, der Wicsenanemone, des Vergißmeinnicht unterscheidet, werden die meisten nicht anders zu beantworten wissen, als daß sie die eine Blume hellblau und die andere dunkelblau nennen. Um nun aber gar Lila, Violet und Pensde, d. i. das Blau des Hollunders, des Veilchens und des Stiefmütter-