Heft 
(1878) 30
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chens zu unterscheiden, muß man Interesse für Modefarben be­sitzen und etwas mit der Färberei bekannt fein.

Unfähig, die mannigfachen Sorten des Blau direkt nach ihrem Eindrücke zu benennen, zieht die Sprache die Natur­gegenstände, welche diese Farbennüance aufzeigen, zur Ver­gleichung herbei. Lila ist die Blütenfarbe des Lilak, so heißt auf türkisch der Hollunder oder die Syringa; Azur ist die Ultramarinfarbe des Lazursteins; xmvonaMo im Italienischen ist die ins Röthliche spielende blaue Schillerfarbe der Pfauen­feder re. Wenn wir den völlig reinen Tageshimmel über unserem Haupte seiner Farbe nach bezeichnen wollen, so dürfen wir nicht sagen: er ist himmelblau, denn das wäre eine Tautologie und nicht einmal genau; wir müssen sagen: er ist ultramarinblau, wir können sein Blau also nicht anders als vergleichungsweise benennen, und da die Helligkeitsgrade je nach Witterung, Jahres­zeit und Klima sehr verschieden sind, so müßten wir, um den Farbenton genau zu bestimmen, den zur Messung der Himmels­bläue erfundenen Cyanometer zu Hilfe nehmen und die ent­sprechende Ziffer der 51 blauen Farbentöne dieser in so viel Felder getheilten Platte angeben. Was die Sprache durch ein unmittelbares Worthild nicht zu leisten vermag, muß sie durch Vergleichung oder Ziffer ergänzen. Auch schon der allgemeine Farbname Blau ist ein solcher Nothbehelf, und noch dazu ein recht komischer. Alle neuere Lexikographen des Alt- und Mittel- und Neuhochdeutschen, wie Graff, Lexer, Müller-Zarncke, die Gebrüder Grimm, Weigand stellen das Eigenschaftswort blau zu dem Zeitwort bleuen, althochdeutsch bliuvvaii (pliiivvna), lilivnii, mittelhochdeutsch bliaivmi, blivmi, welches wie griechisch lateinisch lli§6i-6 schlagen bedeutet. Wenn jemand mit einem stumpfen Instrument gewaltthätig geschlagen wird, so zerreißen die Weichtheile unter der Haut, das Blut ergießt sich in sie und die Haut wird von dem durchscheinenden Bült blau ge­färbt. Blau ist demgemäß die Farbe der in Folge heftigen Schlagens oder Stoßens blutunterlaufenen Haut. Erft von da ans verbindet sich mit dem (auch in Luthers Bibelübersetzung zweimal vorkommenden) Zeitwort bleuen rückwirkend der Be­griff des Blauschlagens, so daß wir nun das Bläuen der Wäscherin, welche mittelst des sogenannten Neublaues die Wäsche bläuet, lind das Bleuen des Schulmeisters, welchen Klopftock dcfinirt alsden Buchstabirer, welcher die Wichter bläuet", in der Schreibung und wohl auch in der Vorstellung nicht mehr unterscheiden. Auf so sonderbarem Umwege haben die germani­schen Völker ein Wort für die blaue Farbe und insbesondere für die Farbe des unbewölkten Himmels gewonnen: sie haben sich das Wort für Blau erprügclt oder, um es etwas edler auszudrücken, sie haben es sich mit der Faust erobert. Ein Ge­fühl des Zusammenhanges verrätst sich noch, wenn wir bei Jakob Ayrer, dein berühmten Dramatiker des 16. Jahrhunderts, die Drohung lesen: oller iell solllnA lliell llimeUllab.

So schwer ist es menschlicher Reflexion und Sprache ge­worden, die Empfindung des Blauen zu fixiren und auszndrücken. Wir haben in Skizzirnng dieses langsamen und schwerfälligen Entwicketungsganges die heilige Schrift alten und neuen Testa­ments bisher außer Betracht gelassen. Jedoch haben wir be­reits bemerkt, daß die nordsemitischen Sprachen, zu denen das Hebräische gehört, gar nicht so weit gekommen sind, ein Eigen­schaftswort für blau ausznprägen, und daß auch die griechische Sprache wenigstens eine spezifische Benennung der Himmels­bläue nicht besitzt. Wir dürfen also nicht erwarten, daß irgendwo in der alt- oder nentestamentlichen Schrift der Himmel blau ge­nannt werde; die Sprache der heiligen Schriftsteller hatte da­für kein Wort. Wo wir von Himmelsbläue reden, sagt die Schrift Himmclsglanz, Himmelsschöne, Himmelsheitere. Was Goethe mit Verwendung des deutschen Farbworts ansdrückt:

Wenn der Aether, Wolken tragend, Und ein Ostwind, sie verjagend,

Mit dem klaren Tage streitet, Blaue Sonnenbahn bereitet,

das sagt Horaz ohne Farbwort:Wie das Gewölk der Süd abstreift vom düsteren Himmel Oft mit erhellendem Hauch . .", und das Buch Hiob (26, 13) sagt es gleichfalls ohne Farb­wort unnachahmbar kurz in drei majestätischen Worten bsrUobo Lolmirrüjirir Sübilra, d. h. fein Windhauch schafft Himmelsschöne.

Aber obgleich die Bibelsprache über kein Eigenschaftswort

XIV. Jahrgang, so. ->u* -

für blau verfügt, so bewährt das Buch der Bücher doch auch darin seine Einzigartigkeit unter den Literaturen der Volker, ! daß es indirekt der Himmelsbläue das herrlichste und schönste Zeugnis; gibt. Denn in der Geschichte der Sinaigefetzgebnng wird erzählt, daß, nachdem Israel die Grundgesetze vernommen und das Versprechen des Gehorsams geleistet hatte und durch !

Besprengung mit dem Bundesopferblute zum Bundesvolke ge- ^

weiht war, Mose, Aaron und die andern Vertreter Israels, j

göttlicher Weisung folgend, den Sinai bestiegen, und da sahen ^

sie, wie wir 2 Mos. 24, 10 lesen, den Gott Israels undunter (

seinen Füßen gleich einem Werke durchsichtigen Saphirs und !j

gleich der Substanz des Himmels an Reinheit". Dem Volke hatte die Herrlichkeit Gottes ihre Gegenwart kund gegeben in ; der Wolke, welche den Berggipfel bedeckte und aus welcher Feuer ! flammte; denn in: Gesetze offenbart sich Gott als verzehrendes ! Feuer. Aber seine heilige Strenge hat zur Innenseite feine heilige Liebe, und von dieser sollen die Vertreter Israels jetzt wo der Bund geschlossen war einen Eindruck bekommen. Des- !

halb erblicken sie über sich den Standort Gottes wie aus durch- !

sichtigem Saphir gebildet und gleich der Substanz des Himmels an Reinheit, d. i. so rein wie den durchsonnten Himmel ohne die Spur einer Wolke dazwischen. In Ezechiels gestalt- und farbenreicher Vision des göttlichen Cherubwagenthrons, durch die er zum Propheten geweiht wird, wiederholt sich das Saphirbild der Gesetzgebungsgeschichte. Auf den Häuptern der throntragenden Wesen schwebt das Firmament wie ein riesiger !

Krystall, und über dem Firmament zeigt sich ein Thron wie ^

Saphirstein, und ans diesem ein Thronender wie in Menschen- i

gestalt, von den Hüften aufwärts blendend wie Elektron, von ^

den Hüften abwärts glühend wie Feuer, und um ihn herum ö

wie der Glanz des Bogens im Gewölk am Regentage.

Wenn hier der Thron des himmlischen Königs wie Saphir ^

erscheint, so liegt die Gleichung faphirblan -- himmelblau unter, ,

welche 2 Mos. 24, 10 ausdrücklich vollzogen wird. Beide Visionen fordern den durchsichtigen Saphir, der um so höheren Werth hat, je tiefer sein Blau ist. Saphir heißt bei den Alten aber auch der Laznrftein, welcher sich von jenem durch Undurchsichtig­keit und durch die, wie es scheint, im Buche Hiob 28, 6 er­wähnten eingesprengten goldigen Punkte unterscheidet. Er er­gab, geglüht und gepulvert, das alte echte Ultramarin. Sein Name la^vsill, latbvearä, ln^vvsrä ist aus dem Persischen und Arabischen in der Form luxar oder kmiir ins Abendland her­übergewandert. Seitdem dient bald dieser bald jener blaue Stein zur Bezeichnung der Himmelsbläue. Uin imebt 8nx>1iU, sagt der Meistersinger Museatblut, ist lliraslblä. Und ein Ge­dicht in Maßmanns Denkmälern sagt von dem Himmel bei schönem Wetter: äm- liiinsl äso vin vmi- imlls lumirblL. -

Obgleich also die heilige Schrift den Himmel nicht gerade- ^ zu blau nennt, weil die Sprache ihr kein Wort dafür bot, > so sind es doch die heiligen Bücher alten Testaments, welche (

schon vor Abfassung der heiligen Bücher der Chinesen den (

Himmel in schönster bedeutsamster Weife mit Zuziehung des ( Saphir als blau bezeichnen, und zwar den Himmel, in dessen ) wolkenlose reine Tiefen sich das Auge des Beters versenkt, um )

der Stätte Gottes, um dem Throne der Gnade sich zuzuwenden. )

Wir verftehen's nun, wenn der Gottesstadt, welche jetzt die Elende l!

ist, über die alle Wetter gehen, im Buche Jesaia (54, 11) ver- ^ heißen wird:Siehe, ich will deinen Grund mit Saphiren legen". Saphirblau ist Himmelsblau, Blau ist die Farbe der von der i Sonne geklärten Atmosphäre, durch welche die dunkele Tiefe des > Weltraums hindurchscheint, die Farbe des vom Unendlichen durch­drungenen Endlichen, die Farbe der Versenkung des Ueberhimm- ^ lischen in das Irdische, die Farbe des Bundes Gottes und der Men­schen. Uns gilt Blau gemeinhin als Farbe der Treue. Schon im Mittelhochdeutsch ist blL symbolisch so viel als stnetsund otustsirsit. Mittelst welcher Apperzeption es diese Bedeutung gewinnt, zeigt das Sanskrit, wo der in seiner Zuneigung Beständige so unwandel­bar heißt wie die Jndigofarbe, die nicht nur schöne, sondern auch dauerhafte. In der biblischen Symbolik aber verbindet sich mit Blau die Vorstellung des blauen Himmels und mit dem blauen Himmel die Vorstellung der ans ihrer geheimnißvollen Jenseitigkeit heraustretenden und gnädig zur Kreatursich herablafsenden Gottheit.