Heft 
(1878) 30
Seite
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Wor dem Sturm. G-k°"ki7vi°^

Historischer Roman von Theodor Fontane.

lFortsetzung.)

stochan. Einige der zur Herrschaft gehörigen Güter zogen

XXXII. Geheimrath von Ladalinski.

Das Haus, das der Geheimrath von Ladalinski bewohnte, lag in der Königsstraße, der alten Berliner Gerichtslaube schräg gegenüber. Es war ein aus dem Ansange des vorigen Jahr­hunderts stammender, damals auf Geheiß König Friedrichs I anfgeftihrter Spätrenaissancebau, der an seiner Fayade durch mannigfache geschmacklose Restaurationen gelitten, im Innern aber seine frühere Stattlichkeit vollkommen beibehalten hatte. Namentlich galt dies, neben Hof und Treppe, von dem ganzen ersten Stock, in dem die Empfangs- und Gesellschaftsräume lagen. Hier zeigten sich noch jene Stnckornamente, die den Barockbauten Schlüters so viel Reiz und Leben liehen, und vom Plafond herab grüßten, wenn auch stark nachgednnkelt, die großen nach Giulio Romanoschen Originalen im Corte reale zu Mantua ausgeführte Deckenbilder, mit denen der pracht­liebende König den ganzen ersten Stock hatte dekoriren lassen. An diese Gesellschaftsräume schlossen sich nach rechts und links hin zwei kleinere Zimmer, einfenstrig mit breiten Wandflächen, die, weil mehr benutzt, auch mehr eingebüßt und von ihrer ehemaligen reichen Ausschmückung nur die Deckenbilder, dar­unter einNacht und Morgen" und einenSturz des Phaeton" gerettet hatten.

Das eine dieser beiden kleineren Zimmer war das ge- heimräthliche Arbeitskabinet, dessen der Thür gegenüber be­findliche Längswand von zwei hohen, eine ganze Registratur bildenden Aktenrealen eingenommen wurde. Zwischen diesen Realen auf einem freigebliebenen Wandstreifen hing das Bildniß einer schönen jungen Frau, deren Aehnlichkeit mit Kathinka unverkennbar war. Dasselbe ins röthliche spielende, kastanien­braune Haar, vor allem derselbe Angcnausdruck, so daß das einzige, was abwich, das minder scharfgeschnittene Profil, als etwas gleichgiltiges erscheinen konnte. Durch die halbe Länge des Zimmers hin zog sich ein großer Arbeitstisch; er stand so, daß das Auge des Geheimraths, wenn er aufsah, das schöne Franenporträt treffen mußte. Im übrigen hatte das Kabinet manches, was an die Einrichtung eines Junggesellenzimmers erinnerte, stieben dein altmodischen, mit Bildern aus der biblischen Geschichte geschmückten Ofen machte sich ein ziemlich großer, aber flacher und mit rothen Tuchflicken angefüllter Korb bemerkbar, der einem englischen Windspiel als Lager­stätte diente, während in einem in der Fensternische stehenden Glasbassin mehrere Goldfischchen ihr munteres Spiel trieben. Die halb herabgelassenen Ronleaux dämpften ohnehin nur mäßig das einfallende Licht; alles war Wärme und Behagen.

Die kleine Pendule schlug eben zehn, als der Geheimrath eintrat, ein Sechsziger, groß und schlank, das knrzgeschnittcne graüe Haar voll und dicht nach oben gerichtet. Er trug einen veilchenfarbenen Sammtschlafrock, unter dem er sich in bereits sorglichster Toilette zeigte. Seine Haltung, vor allem die Adlernase, gaben ihm etwas entschieden Distinguirtes. Das Windspiel drängte sich an ihn, um ihn respektvoll aber ver­drießlich zil begrüßen, und zog sich dann zitternd, während das Glöckchen an seinem Halse hin und her tingelte, wieder in seinen warmen Korb zurück. Der Geheimrath seinerseits schritt auf das Bassin zu, um die Fischchen mit einigen Krumen und Jnsekteneiern zu füttern; er verweilte minutenlang dabei und nahm dann Platz an seinem Arbeitstisch, auf dem amtliche Schreiben, auch mehrere Zeitungen, darunter englische und französische, ausgebreitet lagen. Er pflegte zunächst alles Ge­schriebene zu erledigen; heute hielt er sich zu den Zeitungen und nahm den Moniteur.

Ueberlassen wir ihn auf eine Viertelstunde ungestört seiner Lektüre und erzählen, während er sich in Empfangsfeierlich­keiten und Loyalitätsadressen vertieft, einiges aus seinem Leben. Alexander v. Ladalinski war um die Mitte des vorigen Jahr­hunderts auf dem den Mittelpunkt der gleichnamigen Herr­schaft bildenden Schlosse Bjalanowo geboren. Die nächste größere Stadt, aber doch mehrere Meilen entfernt, war Czen-

stch westlich und griffen mit ihrem Hanptbestande ins Herzog­thum Schlesien hinüber, das eben damals preußisch geworden war.

Der junge Ladalinski empfing eine sorgfältige Erziehung, ging, um diese zu vollenden, erst nach Paris, dann nach Wien und hatte, dreiundzwanzig Jahre alt, eben die Verwaltung seiner Güter übernommen, als die Verhältnisse des Landes ihn in die politischen Kämpfe hineinzogen. So wenig er diese Kämpfe liebte, so gewissenhaft führte er sie durch, nachdem er erst in dieselben eingetreten war. Er saß im Reichstag und zählte zu den hervorragendsten unter den Führern der antirussischen Partei. Schon damals sprach sich in seiner Haltung eine bei mehr als einer Gelegenheit hervortretende Hinneigung zu Preußen aus. Diese Hinneigung, vielleicht auch der schon er­wähnte Umstand, daß ein Theil seiner Besitzungen dem preu­ßischen Staatsverbande zugehörte, war es wohl, was bei Ver­anlassung der Thronbesteigung König Friedrich Wilhelms II seine Mission an den Berliner Hof veranlaßte. Er fand an demselben ein ihn anszeichnendes Entgegenkommen, besonders von Seiten des Ministers von Bischofswerder, in dessen Hause er sehr bald ein täglicher Gast wurde. Hier war es auch, wo er die junge Comtefse Sidonie von Pndogla kennen lernte. Was ihn vom ersten Augenblicke an mehr noch als ihre Schön­heit bezauberte, war der heitere Uebermnth ihrer Laune, die mit graziöser Rücksichtslosigkeit geübte Kunst, den Schaum des Lebens wegzuschlürfen. Etwas Pedantisches, das ihm eigen und dessen er sich, in seinen jungen Jahren wenigstens, zu seiner eignen Unzufriedenheit bewußt war, ließ ihm diese Kunst aus­schließlich im Lichte eines Vorzugs erscheinen. Ehe er Berlin verließ, wurde die Verlobung gefeiert; in der Weihnachtswoche folgte dann die Hochzeit, die, unter Theilnahme des ganzen Prinz Heinrichschen Hofes, von dem Bruder und der Schwä­gerin der Braut, dem Grafen und der Gräfin von Pndogla, in Rhcinsberg ausgerichtet wurde.

Hatte schon die Hochzeitsfeier einen glänzenden Charakter gehabt, so noch mehr die Hochzeitsreise. Es war wie die Ein­holung einer Prinzessin. An jedem Rastplatze immer neue Ueberraschnngen, die sich steigerten, je näher man dem Ziele kam. Endlich lag Bjalanowo vor ihnen, hoch, im Abenddunkel eben noch erkennbar, und als mm der vorderste Schlitten in die breite, winterlich kahle Avenue einbog, da wurden auf den vier dicken Rnndthürmen vier große Feuer angezündet, in deren Schein jetzt der alte halbverfallene Backsteinban dalag wie ein Schloß aus dem Märchen. Unter dem jubelnden Zuruf aller Hintersassen fuhr das junge Paar in den Schloßhof ein.

Die Freude, die der Gemahl über die glückliche Durch­führung des von ihm selber angeordneten Schauspiels empfand, ließ ihn die Mienen seiner jungen Frau nicht aufmerksam be­obachten. Er hätte sonst wahruehmen müssen, daß sie für den eigentlichen Werth dieser Aufmerksamkeiten kein Verständniß hatte; was sich an Liebe darin aussprach, entging ihr oder berührte sie nicht. Sie war ohne Dank.

Und in dieser Stimmung verharrte sie. Ihr Gatte, der sie heiter sah, glaubte sie glücklich; aber sie war es nur oben­hin, und keine andere Verpflichtung kennend, als Genuß und Zerstreuung, erschien ihr das in Aufmerksamkeiten sich über­bietende Entgegenkommen ihres Gemahls gleichförmig und er­müdend, und nur noch die von außen her herantretenden Hul­digungen hatten Werth.

Es war ein Jahr nach der Hochzeit, als dem Hause ein Sohn geboren wurde. Er erhielt den Namen Pertubal, der von ältesten Zeiten her in der Familie heimisch und in jedem Jahrhundert wenigstens einmal glänzend vertreten war. Ein Pertubal von Ladalinski hatte den Zug gegen Zar Iwan mit­gemacht, ein anderer dieses Namens war in der Schlacht bei Tannenberg, ein dritter unter Sobieski vor Wien gefallen. Es hieß, der Name sei syrisch und stamme noch aus den Kreuz-