486
Die olympischen Spiele des heutigen Athen.
Von Dr. Rudolf Kleinpaul.
Nachdruck Vrrbvtcu. Ges. v. 11./VN 70 .
Auf dem Schiff, das zu Pfingsten von Korfu nach dem Piräus fuhr, war eine bunte Gesellschaft. Eine Truppe italienischer Schauspieler, die ein Bologneser Impresario für ein athenieusches Svmmcrtheater angeworben hatte, jedes Glied von der Primadonna bis zu dem phantastischen Kinde, das die Violine spielte und von dem wohlbeleibten Tenor bis herab zu dem nomadisirenden Studenten einer besonderen Beschreibung würdig; ein Neapolitaner Klavierstimmer und Klavierfabrikant mit seinem Sohn, gute Menschen, Freunde des Sparens, mit aller Welt gemein, aus einer Kunstreise begriffen; Fischer aus Molfetta, die ans einen guten Fang im griechischen Meere hofften; walachische Hirten in ihrer malerischen Tracht; viele Griechen. Unter den letzteren erregten namentlich zwei meine Aufmerksamkeit, die in orientalischer Weise auf dem Verdeck ihre Teppiche, d. i. ihr Bett ausbreiteten, Kaffee kochten, Cigar- retten rauchten und mit unter-geschlagenen Beinen ruhig und würdevoll dasaßen und schwiegen.
Der eine, eine ehrfurchtsgebietende Gestalt, schien mir mit seinem vollen Barte und dem langen, hinten zusammen- gebundenen Haupthaar ein Papas zu sein und war es auch in der That. Der jüngere, der wie die meisten Griechen nur den Schnurrbart trug, hatte ein martialisches Gepräge. Ich betrachtete sie einen Augenblick und fragte dann: „Hellenen?"
„Konstantinopolitaner Griechen."
„Nach Athen?"
„Zu den olympischen Spielen nach Athen. Tn auch?" ^ „Gleichfalls nach Athen."
^ „Es lebe Griechenland!" — und hiermit bot er mir einen
Krug voll rothen, wie es dort heißt, schwarzen Weines.
> Es war das erste Mal, daß ich einem Griechen Bescheid
thun sollte, und ich that es. Mit meinem Griechisch war es indessen noch nicht weit her; ich wußte nicht einmal, wie man sagte: Ich danke schon; und gleichwohl verstanden die beiden Leute weder italienisch, noch französisch, noch sonst eine Sprache . der Christenheit. Es gab daher eine komische Unterhaltung.
Bei alledem war mir die Bemerkung nicht entgangen, daß sie nach Athen reisten, um den olympischen Spielen beiznwohnen. Olympische Spiele! Ich dachte, die sollten erst von den Deutschen wieder ansgegraben werden und dazu seien E. Curtius und Adler vor einem Jahre in Griechenland gewesen. Dazu olympische Spiele in Athen! Was sollte denn das bedeuten? Sie schienen ungemein viel Aufhebens davon zu machen, sprachen zugleich vou einer Ausstellung, als ob die auch mit dazu gehörte — ich wurde in der That nicht klug daraus, dachte aber, in Athen werde ich es wohl werden.
! Als ich nun in die Haupt- und Residenzstadt kam und
anfing mit meinem Bädeker die Merkwürdigkeiten zu betrachten, sah ich einen alten Tempel des olympischen Jupiter, einen großartigen Bau, von dem noch fünfzehn Säulen aufrecht stehen, während eine sechszehnte, durch einen heftigen Sturm umgestürzt, am Bodeu liegt, und daneben etwas wie ein Ausstellnngs- gebäude, mit griechischen Fahnen und Wimpeln geschmückt. Jetzt schien mir ein Licht aufzugehen. Jedenfalls hatteil die Griechen, von der Wiener Weltausstellung begeistert, eine griechische Ausstellung unternommen, und Ausstellungen sind ja gewissermaßen die Wettkämpfe der modernen Zeit; weil nun diese auf dem Platze des Olympions lag, so erhielt sie den Namen der Olympien. Aus der Spur war ich; aber meine Vorstellung war noch keineswegs richtig.
Ich lernte in Athen mehrere vortreffliche junge Männer kennen, — ein frisches, bewegliches, gastfreies Völkchen, das mich sehr bald zum Philhellenen machte, und das gar wohl zu Hellas paßte, dem frohesten Lande der Welt. Bon ihnen erfuhr ich nun, daß die Ausstellung nur ein Theil einer großen . Festfeier sei, die wie die olympischen Spiele alle vier Jahre ! abgehalten werde, daß man sie in den fünfziger Jahren aus ! Grund des Vermächtnisses eines reichen Epiroten, Namens Engenios Zappas, eingerichtet habe, desselben, dessen Bildsäule, einen Kranz in der Hand, im Ausstellungsgebäude stehe; daß
das letztere nur ein provisorisches und in der Nähe bereits zu einem größeren der Grund gelegt sei und was dergleichen mehr.
Ich war also, ohne es zu ahnen, zu den olympischen Spielen und zur dritten Olympiade der neueren Zeit nach Griechenland gekommen; in acht Tagen sollten in dem Sta-dium am Jlissos die gymnastischen Spiele, die eigentlichen Agonen der alten Griechen, zu sehen sein.
Das Ganze war unstreitig von Interesse, und würde es, meine ich, für alle Freunde des Alterthums gewesen sein. Ich erlaube mir daher, die olympischen Spiele im Stadium in Kürze zu beschreiben
Es muß ein Anblick ohne gleichen gewesen sein, wenn am ersten Vollmond nach der Sommersonnenwende Männer und Jünglinge aller Stünde, nicht blos ans den Staaten und Städten des eigentlichen Griechenlands, sondern auch aus Kleinasien und den Kolonien in Clis zusammenströmten, um dem großen Nationalfest der olympischen Spiele beiznwohnen; wenn durch Zeus' Friedensboten geladen die Abgesandten der an der Festfeier sich betheiligenden Städte und Herrscher dorthin zogen, Schisse von fernen Gestaden Scharen schaulustiger Hellenen herbeiführten, dorthin die Blüte griechischer Jugend und alles, was auf den heimischen Ringplätzen sich ausgezeichnet hatte, eilte, um unter den Augen einer unermeßlichen Volksmenge im edlen Agon um den Kranz des Zeus zu ringen. Waffenruhe wurde im ganzen Peloponnes ausgeschrieben, die Unverletzlichkeit des Festes und der zum Feste Reisenden verkündet; es war, als ob die Menschheit auf der Wanderung wäre und die Erde verließe, um in den Himmel einznziehen.
Ja schon das muß erhebend gewesen sein, wenn sich die alten Athener um Mitte August am Feste der Panathenäen in Prozession ans die Akropolis begaben, die Bildsäule der Athena mit einem reichgestickten Gewand bekleideten und am Ufer des Jlissos die gymnastischen Wettkämpfe der attischen Jünglinge erwarteten. Für sie war das Stadium, eine Rennbahn bestimmt, die etwa 200 Meter Länge und 32 Meter Breite hatte und hinten durch einen Halbkreis abgeschlossen ward; es enthielt nicht weniger als fünfzigtausend Sitzplätze, die seiner Zeit ein reicher Privatmann, Herodcs Attikns, mit Platten pente- lischen Marmors überkleiden ließ. Ein Strom von fünfzig- tansend Athenern wälzte sich demnach über die Brücke des Jlissos und die Gefilde wogten von der wandernden Stadt Athen.
Und solch ein Anblick war es in der That, als am letzten Sonntag des Mai 1875 nachmittags gegen 4 Uhr die fünfzig- tansend Athener von heute in eben dieses Stadium zogen, um ihren olympischen Spielen zuznsehen. Wie, lebt denn das alte Hellas wieder auf? Verschüttetes Stadium, wie baust du dich wieder aus? Seht, noch ist cs eingerahmt vom Hymettos wie zu Platons Zeiten. Noch thürmcn sich rechts und links die ewigen Felsen des Lykabettvs und der Akropolis empor. Noch zeichnen sich in der Ferne die klassischen Linien der attischen Berge am Hellen Himmel ab. Nichts erscheint von der Stadt als gerade aus das königliche Schloß.
Athener und Athenerinnen. Bei den olympischen Spielen war den Frauen mit Ausnahme einer Priesterin der Zutritt verboten, und diejenigen, welche dieses Gesetz übertraten, sollten von einem Felsen hinabgestürzt werden. Heute sah man die athenische Bürgersfran mit dem rothen auf die Seite gedrückten Fez, die albanesische Bäuerin in ihrem langen Hemd und dem weißen Wollenrvck darüber ungestraft mit ihren Männern durch die Reihen wandeln. Diese Männer selber sehen nur zum Theil aus wie andere Europäer; die Zahl ihrer Trachten ist Legion, doch lassen sich zwei Hauptgattungcn, die der sogenannten Fustanelladen und der Brakaden unterscheiden, Namen die von den charakteristischen Kleidungsstücken der Fnstanella oder dem Albaneserhemd und den weiten bauschigen Hosen von bunter Baumwolle (Braka) hergenommen sind. An jener erkennt man die Bewohner des Festlands, an diesen die der Inseln und Seestädte; ein Brakade war zum Beispiel der Admiral Miaulis von Hydra; ein Fustanellade der Suliot
V