Heft 
(1878) 30
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sich zu erheben, aber bereits sein rechter Arm von der kräftigen Faust des Siegers an der Handwurzel gepackt und nach hinten in die Höhe gedrückt wird. Der untenliegende hatte offenbar nicht übel Lust wie Alcibiades, als er einst in gleichen: Falle war, zu beißen, ob auch nach Art eines Löwen, oder ob nach Art der Frauen, will ich nicht entscheiden.

Zwischen diese fünf klassischen Wettkämpfe wurden noch drei Kletterübnngcn an einem schlüpfrigen Mastbaume, an einer schiefen Stange und an einem Seile eingeschoben. Ueberall wurde vorzüglich geklettert, namentlich an dein Mastbaum, wo I gleich der zweite bis hinauf gelangte, und unter dem Jubel der Menge die griechische Fahne, ein weißes Kreuz in blauem ! Felde, ans die Spitze pflanzte. Der dritte kletterte so gemäch-

! lich, daß alle Welt zu lachen anfing; er schien sich indessen

sehr wenig daraus zu machen, schleppte sich noch ein Stück­chen weiter und ließ sich dann in höchstem Gleichmuthe mit herunterhängenden Armen an den Beinen abwärts gleiten, wo­durch er zum zweiten Male die allgemeine Heiterkeit erregte. Der vierte holte die Fahne wieder herab; er hatte unstreitig gleiches Verdienst mit dem zweiten, der sie aufgesteckt, dennoch erhielt dieser den Kranz; denn die Fahne hinanfbringen ist größer, als sie hernnterlangen, und wer erst kommt, mahlt erst, bei den olympischen Spielen und überall.

Olympische Spiele ist ein großer Name und derselbe nicht ohne Gefahr zu brauchen; ja ich weiß Wohl, daß es leicht wäre, über dieOlympien" von 1875 und über die zugleich in der Universität gefeiertenPythien" Glossen zu machen wie über andere etwas hochklingende Phrasen der Hellenen. Dennoch wollen wir es ihnen lieber danken, alte Traditionen aufrecht

zu erhalten und eine Idee zu bewahren, die mit den höchsten Interessen der Menschheit verkettet ist.

Welches ist diese Idee? Nicht etwa die der Gymnastik überhaupt, die längst ein Gemeingut der europäischen Nationen geworden ist, ja vielleicht von der deutschen eifriger als von der griechischen gepflegt wird. Nein, die Idee des Wettkampfes und was damit identisch ist, des Spiels, die zu jenen großen Festen Veranlassung gegeben, die Blume und sozusagen die Frucht aller Gymnastik, ist heutzutage schier vergessen.

In unserer Zeit wird viel geturnt, aber fast niemals mehr gespielt. Ich war kurz darauf in Florenz zufällig Zeuge von zwei Festen, bei denen sich Gymnastik öffentlich sehen ließ, einmal am Tage Johannis des Täufers, wo bei Gelegenheit der üblichen Wagenwcttrennen auf dem Platze von Santa Maria Novella zwei Stunden lang die ergötzlichsten Turnübungen vor­genommen wurden; das andere Mal war ich zu einer so­genannten Akademie geladen, die verschiedene Dilettanten der Turnkunst unter Leitung des Meisters Enrico Mangani gaben. Bei solchen Gelegenheiten ist es schwer, sich nicht zu lang­weile::, weil hier das Element der Rivalität ganz fehlt. Jeder macht ein eqnilibristisches Knnststückchen am Trapez, eine Kraft­probe an Barren oder Reck für sich; ich frage mich höchstens: Könntest Du das etwa auch machen?" Aber mein Interesse ist nur schwach; es find vortreffliche, nützliche Hebungen, die jeder bei sich zu Hause oder in der Turnhalle machen mag, die aber nicht vor ein schaulustiges Publikum gehören.

Wie ganz anders, wo einer es den: andern zuvorthnt und ein edler Wettstreit glühender Jünglinge entsteht wie bei den großen Nationalspielen der Hellenen!

Am JamittenLische.

Eine neue Leistung auf dem Gebiete französischer Länderbeschreibung.

Unsere französischen Nachbarn haben das Unglück, daß, wenn sie von deutscher Geographie zu reden aufaugen, sich die Mienen deutscher Leser zur Heiterkeit zurechtlegen. Der Franzose hat einmal keinen smmim AsoArnpliiorm, er reist auch nicht so leicht ins Ausland, wenig­stens nicht zum Vergnügen, sondern ans Beruf, als Commis Voyageur oder Croupier, oder im Dienste der Kirche, oder mittelst Zwangspaß. Letztere Art von Reisenden hat das Jahr 1870 in großer Menge her­vorgebracht, und viele unter ihnen haben ihre praktisch-geographischen Studien veröffentlicht. Aber das alte Geschick hat sie auch hier nicht verlassen, die Gabe passiven Humors, wie es Falstaff nennt.

Vortreffliches in dieser Beziehung leistet ein französischer Offizier, der neulich in einem Buche unter anderem seine Erlebnisse als Ge­fangener zu Naumburg beschreibt. Seine Sentimentalitäten und Phrasen wollen wir ihm schenken, aber eine kleine Blumenlese ethnographischer Feinheiten möge uns gestattet sein mitzutheilen.

Was die mir zur Gewohnheit gewordenen Geschichtsstndien an­betrifft," schreibt unser Held,so führen dieselbe hinsichtlich Naumburgs

in die weite Vorzeit zurück.Die Stadt ist noch jetzt befestigt durch

Ringmauern, Thürme und Wallgräben. (Werden sich die Nanmbnrger wundern!) Trotz dessen ist sie mehrfach zerstört, einmal im dreißig­jährigen Kriege, sodann durch die Hnssiten, ein benachbartes Volk." Die Hnssiten, ein benachbartes Volk, zerstören Naumburg nach dem dreißigjährigen Kriege das ist genial!

Naumburg ist Sitz eines natürlich lutherischen Bischofs, welcher mit seinen Canonicis in alterthümlichen Kurien um die Kathedrale herum wohnt. Die Kathedrale ist äußerst ärmlich und kann keinen Anspruch machen, mit den Denkmälern kirchlicher Bau­kunst verglichen zu werden, an denen unser Land so reich ist..." Das ist wieder nicht wahr, denn der Nanmbnrger Dom ist bekanntlich eine Perle romanischer Baukunst.Ein Kloster habe ich nicht gesehen, dagegen junge Knaben, welche jede Woche an einem Tage die Pflicht haben, die Stadt zu durchziehen und neuen ReligionSeif er zu er­wecken, der sehr erkaltet schien.

Naumburg ist der Sitz eines preußischen Tribunals, eines Ge­richts, welches Friedrich der Große gestiftet hat. (Hört, hört!) Die Präsidenten und Räthe sehen gerecht und würdig aus. Ihre Amtstracht ist entsprechend der des preußischen Heeres, blau in der Form eines Leibrockes. Geschmückt sind die meisten von ihnen mit einem silbernen Schilde...." Hier ist es dem geist­reichen Beobachter gelungen, daß er die Gerichtsboten und Exekutoren für die Appellräthe ansah und ihnen Gerechtigkeit und Würde von den Mienen ablas.

Weit größer ist die Zahl der Advokaten, kleiner emsiger Leute, die auf der Straße nach Clienten suchend, viel zu

sehen sind. Sie unterscheiden sich in nichts von ihren Kollegen in Frankreich, nur daß ihr Verdienst vielleicht noch kärglicher ist Einer der Advokaten sprach französisch, er war sehr höflich und stets bereit, uns über alle unumgänglichen Verhältnisse Auskunft zu geben." Jeder, der Naumburg kennt, sieht auf der Stelle, daß mit den kleinen emsigen Advokaten die Herrn Referendarien gemeint sind, die freilich viel spazieren gehen, aber nicht um Clienten zu suchen, und deren Verdienst allerdings ärmlich ist.

Den Nanmbnrger Wein nennt ervraimont lormickalüoch und als noch schlechter bezeichnet er das Bier. Das sind Geschmacksachen und mag der Herr meinetwegen recht haben, aber ergötzlich ist es, wenn er die kleinen Mädchen aus der Schule kommen sieht und findet, daß sie bereits so sehr eingesoldatet sind (cmmilitarmLo»), daß sie kleine Tor­nister tragen."

Der zukünftige Militärhistoriker hat sich auch die Umgegend von Naumburg angesehen und strategische Studien gemacht. Das Dorf Roßbach wird besucht.Das nahebei gelegene Schlachtfeld habe ich genau besehen und ein Croqui entworfen. Dasselbe erregt Verwun­derung darüber, wie es dem Heere von Sedlic möglich war, dort so große Reitermassen in stark conpirtem Terrain zum oiroe zu bringen. Bon einem hohen Berge sieht man die Schlachtfelder von Leipzig und von Lützen." Sehr schön, nur ist leider der Herr nach einem falschen Roßbach gerathen, einem harmlosen Dorfe an der Saale, mitten zwischen steilen Bergabhängen gelegen, während das Schlachtdorf Roßbach fünf Stunden von dort in der Gegend von Merseburg liegt! Daß Seidlitz seine Noth gehabt haben würde, Berge steilrecht in die Höhe zu reiten, begreifen wir. Was der Autor für die Schlachtfelder von Lützen und Leipzig angesehen hat, ist nicht gut zu sagen, zu sehen ist von dort ans weder das eine noch das andere.

Dies sind nur einige kleine Leistungen; wir gratnliren dem lesenden Pnbliko, welches aus diesem oder ähnlichen Büchern seine Belehrungen entnimmt.

Fritz Anders.

Inhalt: Im Wahn. Seenovelle von Beruh. Wagener.- Warum der Maikäferzählt". Bon Dr. Paul Friederich.Zurück nach Asien!" Des alten Moslem Auszug ans Bulgarien. Nach einer Aquarelle von K. Haag. Farbenstndien. II. Das Blau des Himmels. Bon Prof. Franz Delitzsch. Vor dem Sturm. (Fortsetzung.) Roman von Theodor Fontane. Ein Hofprediger des XVII. Jahrhunderts. Mit Abraham a Sancta Claras Bildniß. Die olympischen Spiele des heutigen Athen. Von Dr. Rudolf Kleinpaul. Am Familien­tische: Eine neue Leistung ans dem Gebiete französischer Länder- beschreibnng. Von Fritz Anders.

Herausgeber: l>r. Wabert Koenig und Theodor Kermann Wantenius in Leipzig. Für die Redaktion verantwortlich Htto Ktastug in Leipzig. Verlag der Daheim-Expedition (Wethagen L Klasing) in Leipzig. Druck von A. H. Teubner in Leipzig.