Heft 
(1878) 30
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Aus dem Mpierkorbe des Daheim

Jer Werzehnte.

Eine Plauderei über nachfolgende Plaudereien.

Ich bin als Subalternbeamter auf die Welt gekommen, und lange Zeit kämpfte ich redlich mit der Gunst meiner Vorgesetzten und dem Hungertods. Aber das rapide Anwachsen meiner Familie und der Kommünalsteuern nöthigte mich endlich doch, an einen Nebenberuf zu denken.

Zunächst gewöhnte ich mir das Dichten und die Schriftstellerei an, aber ich kam nicht weck damit. Außer Tinte, Feder und Papier fehlte mir bald noch eine Kleinigkeit nämlich die Gedanken. Meine Gefühle wollte nie­mand Honoraren. Dann versuchte ich mich als Harmonikabläser, allein auch das ging nicht recht. Beharrlich verwechselte ich die Melodien vonHeil Dir im Siegerkranz" undGott erhalte Franz den Kaiser." Auf öster­reichischem Territorium blies ich die preußische Hymne und umgekehrt. Die Recensenten behaupteten einstimmig, daß ich kein Gehör besäße, und so sagte ich auch der Kunst unter Thränen Valet.

Da führte ich eines Sonntags nachmittags meine stille Verzweiflung spazieren, und dieser Sonntag Nachmittag sollte verhüngnißvoll für mein ganzes Leben werden. Ich begegnete nämlich einem Herrn, dem ich es an der Uhrkette und den Mundwinkeln ansah, daß er Banquier sei > er ward mein Retter. Cr hieß:Guido Meyer." Den Namen dieses Edlen brauche ich nicht zu verschweigen; diese Zeilen sind bestimmt, zugleich ein Denkmal semer schönen That zu werden.

Haben Sie einen Augenblick Zeit?" fragte er mich schnell und ich nickte bereitwillig.

Dann speisen Sie bei mir zu Mittag" rief er freudig erregt,denn ich habe sonst gerade dreizehn Personen zu Tische und Lin in der tödtlichsten Verlegenheit. Einen Frack können Sie von mir geborgt bekommen aber, bitte, verrathen Sie mich und sich selbst nicht; es soll Sie nicht gereuen."

Gesagt gethan! Nach einer Stunde saß ich in Guido Meyers Frack an Guido Meyers Tafel und Guido Meyers Austern, zu denen ich behaglich auch seinen Steinberger schlürfte. Ein Lichtstrahl aber fiel plötzlich in mein dunkles Innere; ich glaubte meine Bestimmung erkannt zu haben. Ja, diese schnöde, rafsinirte Welt hatte noch ein langgefühltes Bedürfnis; aufzuweisen, dem abgeholfen werden konnte. Bei aller Uebervölkerung gab es noch einen leeren Platz zu füllen. Ich war sofort entschlossen, Vierzehnter von Berus zu werden. Noch an demselben Tage erwarb ich mir Guido Meyers Hoch­achtung durch meinen Appetit und meine Diskretion. Er empfahl mich an seine zahlreichen Freunde, und ich machte schnell Karriere. Mit Stolz darf ich hinzusetzen, daß ich dies auch verdiente, daß ich bald mit Recht für den beliebtesten und gesuchten Vierzehnten in ganz Berlin galt. Als Dichter und Schriftsteller war ich an der Kraft meiner Erfindungsgabe, als Künstler an der Nachhaltigkeit meines Talents verzweifelt. Hier, wo es sich lediglich darum handelte, zu essen und zu schweigen, fehlte es mir an nichts, um es mit den Größten meinesgleichen aufzunehmen.

Wie männiglich bekannt, ist die Zahl dreizehn eine Unglückszahl, und der alte Aberglaube besagt, daß, wo dreizehn beisammen seien, einer jeden­falls zuerst sterben müsse. Eine Tante sah ich in Ohnmacht fallen, weil sie un­versehens dreizehn Tassen Kaffee getrunken hatte, und sie beruhigte sich erst, als ihr die vierzehnte eingeschenkt war. Niemals hätte Guido Meyer einen derartigen Verstoß gemacht, daß er Dreizehn zu Tische lud. Er war indessen durch unerwartete Absagen in letzter Stunde auf diesen entsetzlichen kaux pas gekommen. Wie viel er mir schuldete, übersah ich erst, als die lebenslustigen Rothweinnasen rings um mich her saßen. Sie hätten ihren: Wirthe die Freundschaft gekündigt, wären sie zu dreizehn gewesen, denn augenscheinlich hatte keiner Lust, von dieser schönen Erde zu scheiden, auf der es ihm so gut erging. Mir aber schoß es durch den Kopf, wie oft sich in der vornehmen

Gesellschaft der Residenz das gleiche Unglück ereignen müsse, und das gab mir meinen Plan ein. Seitdem leistete ich der spckssnden Menschheit die ersprießlichsten Dienste. Es ist schwer zu sagen, wieviel kostbare Leben ich gerettet habe mehr jedenfalls, als die berühmtesten Aerzte. Wo bei Diners und Soupers, bei Kindtaufen oder Landpartien, bei Theegesellschaften oder Theaterproben zufällig dreizehn Personen beisammen waren, stellte ich mich auf einen geheimen Wink zur Essenszeit ein, und meine Praxis dehnte sich wie ein Lauffeuer aus.

Es ist mir gut gegangen seitdem. In der Gründerzeit grenzten meine Honorare, die ich für die stumme und speisende Thätigkeit erhielt, an Ber- thold Auerbach. Ich bin zu einer respektabel:: Wohlhabenheit gelangt, an welche weder der Dichter noch der Harmonikabläscr jemals hätte denken können. An Stelle des Ordens trage ich eine rothe Nelke im Knopfloch, und mein uir hat schon die gewiegtesten Helden der Salons dazu verleitet, michHerr Kommerzienrnth" anzureden. Von Jugend auf ist es ferner mein Streben gewesen, mich zu vervollkommnen. Dies wandte ich jetzt auf meine geselligen Tugend.:: an. Ich lernte noch in alten Tagen Kartenkunststücke machen, Tänze spielen und mit vertheilten Rollen lesen. Keine Thür ist jetzt noch verschlossen für mich. Ich setze meinen Lackstiefel auf die feinsten Parguets von Berlin, und die größte Genugthuung für mich ist es, daß ich gar häufig innerhalb meiner Praxis auch aus reiner Freundschaft als zwölfter und elfter, ja selbst als achter und neunter eingeladen werde. Ueberall aber finde ich reiche Ge­legenheit zu ergötzlichen Beobachtungen.

Auch bei den: behaglichsten Geschäfte wird man endlich einmal alt und bekommt graue Haare. Da regt sich denn leise im Busen das Verlangen, nicht umsonst gelebt zu haben. So möchte auch ich die Resultate meines langjährigen Wirkens auf irgend eine Art verewigen. In bunten Bildern will ich daher der Nachwelt ineine Beobachtungen wiedergebeu, freilich ohne zu wissen, ob sie Notiz davon nehmen wird.

Ist es nicht auch vielleicht von Nutzen, kommenden Geschlechtern treulich zu berichten, wie ihre Väter in der großen Weltstadt dinirten und soupirtcn, wie sie am Theetisch saßen und sich abends unterhielten, wie sie auf der Promenade ihre Nächsten lobten, sich in den Konzerten räusperten und in den klassischen Schauspielen einschliefen? Auch daS gehört zur Geschichte unserer Zeit. Niemand aber ist wohl mehr dazu berufen, den modernen Gesellschnftsmenschen auf Schritt und Tritt zu schildern, ihn: gerecht zu werden und ihn zu überliefern, wie der Vierzehnte, der sein Leben dein einen Zwecke widmete, ihn zu ergänzen, sobald es nöthig war.

Doch lieben Leser, es ist in den folgenden Blättern keiner von Euch persönlich gemeint. Ein Vierzehnter von echten: Schrot und Korn ist viel zu diskret, um das zu wagen. Selbst wo er Schwächen zeichnet, glaubt nur, da sind es nur die liebenswürdigen, an die er sich hält. Sollte sich jemand getroffen fühlen, so mache er es mit sich selbst aus, ich wasche meine Hände in Unschuld.

Dann aber null ich durch diese Aufzeichnungen den: schmählichen Gerücht entgege-ntreten, das mir so oft zu Ohren gekommen ist, als seien nur Vier­zehnte überhaupt keine reale Existenz, sondern nur ein guter Witz, ein Mythus, eine Lustspielsigur. O nein! wir cxistiren und stehen unseren Mann.

Daß ich mich nicht'mit Namen nenne, lieber Leser, bitteich zu verzeihen, allein mein Beruf als Vierzehnter erfordert diesen Schleier gebieterisch. Es könnte mich ja jemand zu einem diplomatischen Tiner brauchen, bei dem nur er selbst wissen darf, wer ich bin. Drum nichts für ungut, wenn ich auch die Skizzen in diesen Spalten künftig nur zeichne als

der Vierzehnte.

Unsere Hifchmiterhattmig.

In. Norddeutschland beginnt die Tischunterhaltung bekanntlich stets mit der Frage:roth oder weiß?" Diese Frage richtet der Herr mit einen: ver­bindlichen Lächeln an seine Dame und wartet gespannt auf deren Antwort; denn in der Regel lernt er seine Tischgenvssin in demselben Augenblicke erst kennen, und weiß keineswegs, weS Geistes Kind er vor sich hat.

Da wir Deutschen nun bekanntlich nicht allein ein tapferes und groß- müthiges, sondern auch ein höchst geistreiches Volk sind, so würde ein Fremder unter "dieser Frage jedenfalls ein sehr tiefsinniges Rüthsel verinuthen. Ein Engländer müßte naturgemäß an die alte Fehde der Jorks und Lancasters erinnert werden, ein Perser dächte wohl an das Rosenthal von Schiras, ein junger Poet an Milch und Blut, die er beide schon unzählige Male mit dem Teint seiner Angebeteten lyrisch in Verbindung gebracht.

Nichts von alledem. Jedermann, der in unserem lieben Vaterlande ein­mal in Frack und weißer Binde bei seinem Ressortchef Fischmajonnaise und Kalbsbraten gegessen hat, weiß, daß es sich einfach um die Weinsorten handelt.

Die Frageweiß oder roth"? eignet sich auch für den Fall, daß nur eine Meinsorte auf der Tafel steht, trefflich dazu, das Gespräch einzuleiten; denn an den Mangel der anderen Sorte lassen sich zahlreiche, höchst unter­haltende Bemerkungen knüpfen. Mm: redressirt nämlich sofort seinen Ver­stoß damit, daß man eifrig zugibt, es sei das allerbeste, nur Moselwein im Keller zu halten. Weiter geht man dazu über, daß, wenn inan auch Noth- wein daneben haben wolle, jedenfalls Bordeaux vorzuziehen sei. Vom Bor­deaux kommt inan leicht auf die landschaftlichen Schönheiten von Südfrankreich, auf das Bedauern, daß wir 1870 nicht bis dorthin vorrückten, auf den Loire- seldzug, Orleans, dis Jungfran von Orleans und die Jungfrauen in: allge­meinen. Dies ergibt dis passende Gelegenheit, seine Dame nach ihren Pen­sionsfreundschaften zu befragen, einige Bemerkungen über die moderne Er­ziehung fallen zu lassen, und endlich in den Hafen der Fra-uenemanzipation einzulaufen. Dieses Thema ist so unerschöpflich, daß man mit Zuversicht rechnen kann, bis zu den Knackmandeln und den Knallbonbons damit auszukommen.

Wie jeder Genuß auf dieser Erde sich endlich einmal erschöpft, so geht's

auch mitroth oder weiß." Zu Ende Februar, wenn inan seine fünfzigste Abendgesellschaft antritt, hat inan die Empfindung, etwas recht Banales da­mit zu sagen, wie ungefähr:mein Name ist Meyer" oder dergleichen. Unsere Damen kennen außerdem diesen Anfang schon und verweigern den Start in der Tischunterhaltung, weil sie fürchten, daß dieselbe langweilig werden würde. Oder es plagt sie gar ein neckischer Kobold, und sie pariren geschickt den Schlag, den sie voraussahcn, wie ich es unlängst erfahren sollte.

Rächt sich einer unserer Bekannten für die ihn: beigebrachte Antritts­visite durch eine Einladung zur Soiree, so werden wir sofort unserer persön­liche:: Freiheit beraubt. Der Lohndiener stopft uns den Mund mit darge­reichte:: Theekuchen und beschäftigt unsere Hände mit Tasse und Theelösfel. Unsere Augen werden durch die Schiller- und Goethegalerien, deutsches Leben in Bild und Wort, Tores Prachtwerke, verschiedene illustrirte Ausgaben, und durch Photographie-Albums in Anspruch genommen, welche die Dame des Hauses und deren Töchter zu ihren zahlreichen Geburtstagen geschenkt bekommen haben. Das Trommelfell schlügt eine Nichte mit KelterersSil­berfischchen" in Banden, und auf unseren Fußzehen etablirt sich ein wohlbe­leibter Rentier, welcher ruhig behauptet, er könne in den: Gedränge nicht anders stehen. Gleich darauf fallen wir den: Gastfreunde persönlich in die

Hände und er flüstert uns ins Ohr:Sie führen.

zu Tische", nachdem er einen vielsagenden Blick auf seine Kommandirrolle geworfen. Eine Minute später befinden wir uns mit der Gebehrde eines höflich gewordenen Henkeltopfs am Arme irgend einer Schönen und verwün­schen unser Mißgeschick, nicht im Besitze eines Berliner Adreßkalenders zu sein, denn den Namen haben wir nicht verstanden und ebenso wenig eine Ahnung davon wen, als worüber wir unterhalten sollen.

So weit war ich gediehen, und nachdem das Zettelsuchen in einer Vier­telstunde glücklich erledigt war, befand ich mich aus meinem rechtmäßigen Platz neben einer Blondine mit rothen Backen, einem spitzen Naschen und sehr beweglichen Augen, ohne zu ahnen, ob ich eine Geheimrathstochter oder eine jugendliche Oberstenwitwe vor mir hatte.