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Linien wagerecht gelegt und die oben stehenden Fünfer in die Zwischenräume eingerückt, so kommt ganz genau die mittelalterliche Rechentafel heraus.
Aus dem Linienabakus entwickelte sich im Lause der Zeit der Kolnmnenabakus, den Boethius (500 n. Chr.) die Pythagoräische Tafel nennt. Hier sind die Fünfer weggefallen und die Einer werden nicht mehr durch einzelne Einheiten, sondern symbolische Ziffern ausgedrückt. Hier würde 1878 so aussehen:
Es ist von hieraus bis zum Ziffersystem, in welchem die Einheiten zwischen 1 und 10 eigene Schriftzeichen haben und erst durch ihre Stellung in der Reihe der übrigen zu Zehnern, Hunderten re. gemacht werden, nur ein Schritt. Dieser Schritt wurde mit Einführung der arabischen Ziffer wirklich gethan und in Gelehrtenkreisen gewürdigt; doch zählte das Volk in alter Weise weiter, ja ihre Rechentafel behielt die alte Form und selbst die Fünfer bei, da es ersichtlich bequemer ist, 2 Fünfer als 10 Einer zu setzen.
Nach Adam Riese gehen die letzten Reste dieser Rechnungsart, die pädagogisch hervorragenden Werth hat, verloren, nm in freierer Weise erst neuerdings wieder in der Methode cingeführt zn werden. — —
Adam Riese war ein alter Praktikus. Das macht sein Buch werthvoll nach einer Seite, daran er selbst schwerlich gedacht hat. Für den Kulturhistoriker ist der schwartenbranne Band ein wahrer Leckerbissen. Was der Historiker mit vieler Mühe und unendlicher Geduld ans alten Rechnungen, Quittungen, Küchenzetteln und dergleichen zusammenkombiniren mußte, das findet er hier klar und rund auf wenigen Seiten. Unser Rechenmeister führt uns mitten in Handel und Wandel seiner Zeit ein; wirerfahren, was Leinwand, Parchend, Tuch, Harras (ein schweres niederländisches Tuch), Sammat, Lündisch, Mech- lisch und pnrpurianisch Tuch gilt. Wir werden in die Niederlagen der Materialwaarenhändler geführt und werden des ge
nauesten unterrichtet über die Preise von einem Centner Zucker, Wachs, Unschlitt, Malz, einem Säcklein Ingwer, einer Tonne Häring, einem Stumpf Saffran, einem Läget Seife zu Nürnberg oder Venedig. Die folgende Rechnung stellt uns einen ganzen Haushalt vor Augen: „Einer hat 5 Pferde und ist selb elf, macht sein Rechung auf 1 Jahr also, daß er haben muß die Woche auf 1 Pferd einen halben Scheffel Hafer, auf 1 Pferd Tag und Nacht für 6 Pf. Rauchfutter. Des Hadern gilt 1 Scheffel 19 Gr. Rechent auf jedes Pferd für Lohn, Kleidung und Schmiedckost 16 Fl., dem Koch, Schließerin und der Hausmagd 17 Fl. Muß haben die Wochen ^2 Scheffel Korn, gilt 1 Scheffel 32 Gr. Mehr will er haben alle Mahlzeit 1 Kandel Wein und 6 Kandel Bier, giebt für
1 Eimer Wein 3 Fl. und für l Faß Bier 3 Fl. 15 Gr. Das Faß für 5 Eimer und 1 Eimer für 64 Kandel gerechnet. Muß ferner haben die Wochen 1 Fl. 3 Gr. zu Fleisch, 12 Gr. zu Fischen, 8 Gr. zu Eiern und Zugemns, 3 Kandel Butter zn 2 Gr. 9 Pf. Mehr 3 Tonnen Käs zu 3 Fl. 17 Gr., für Salz und Würz 18 Fl. und 20 Fl. für Holz und Kohlen. Wieviel muß er des Jahres haben? Fazit: 629 Fl. 20 Gr. 10 Pf. 1 Hlr. und F,."
Wie wird bei solchen billigen Preisen der sorgsamen Hausfrau zn Muthe? Sie möge indessen bedenken, daß der damalige Geldwerth etwa der fünffache des heutigen war — dann kommt es so ziemlich wieder heraus. — Ein Knecht erhält 9 Fl. 5 Gr. Lohn, die Magd 4 Fl., 4 Paar Schuhe und 9 Ellen Leinwand zu 16 Pf. die Elle.
Wenn wir das dringende Bedürfnis; der Zeit durch Rechenbücher und Rechenmeister für den praktischen Gebrauch belehrt zn werden berücksichtigen, und finden, daß Adam Riese zwar nichts neues und besonderes bietet, aber, was er schreibt, praktisch anfaßt und genau auf das praktische Bedürfnis; zuschneidet, so nimmt uns nicht Wunder, daß er, der Adam Riefe, des Sprichworts geworden ist. Also sind „nach Adam Riese"
2 X 2 4, wie er selbst in sein Wappen geschrieben hat.
Nachdruck verboten. Ges. v. II./VI. 7».
Ire Tintenfische im Berliner Aquarium.
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Da die Tintenfische im Berliner Aquarium zur Zeit viel von sich reden machen, so wird es den Lesern des Daheim gewiß lieb sein, näheres über diese seltsamen Geschöpfe zn erfahren.
Unsere Thiere haben mit dem Gefchlechte der Fische absolut nichts zu schaffen; wir haben es vielmehr mit den Repräsentanten einer Klasse aus dem Geschlecht der Weichthiere, Mollusken zu thun, mit wirbellosen, in der Mehrzahl im feuchten Elemente heimischen und vorzugsweise die Meere bewohnenden Geschöpfe. Sämmtliche Vertreter dieser Klaffe fassen wir unter der Bezeichnung der Kopffüßer (Osplmlopoclsn) zusammen, weil ein dem Fuße der übrigen Mollusken morphologisch gleichzufetzendes Organ, von dem wir später noch reden, entwickelnngs- geschichtlich der Ausgangspunkt für die Bildung des Kopfes gewesen ist.
Bei äußerer Betrachtung unserer Thiere unterscheidet man am Körper derselben zwei scharf voneinander abgesetzte Theile: einen vorderen, sehr ansehnlichen Kopf und einen dahinter gelegenen Rumpf, welcher von einem glockenförmigen stark gewölbten Mantel umgeben wird. Oftmals birgt derselbe ein inneres Schalenrudiment, in Form einer ovalen, in einer besonderen Rückentasche des Mantels gelegenen Platte. Diese ist entweder biegsame Hornsubstanz oder eine aus Kalisalzen gebildete poröse Masse, welche unter dem Namen 08 86pm6 jedermann bekannt sein dürste. Unseren Aquariumbewohnern aber fehlt dieses Skelettstück.
Der Kopf trägt jederseits zwei große, mit länglicher Pupille und goldglänzender Iris versehene Augen, welche, wie die der Katzen, bei Nacht leuchten und namentlich bei größeren Arten einen ungemein wilden und stieren Ausdruck haben.
Das Cephalopodenange steht dem des Menschen und der höchst entwickelten Thiere an Vollkommenheit wenig nach und ist mit demselben in seinem inneren Bau fast identisch. Jeder Augenbulbus liegt in einer besonderen Augenhöhle und wird von einer Kapsel umschlossen, welche bei unseren Octopoden
unter einer lidartigen Hautfalte eine Oeffnung zeigt, durch welche wunderbarer Weise das Seewasser in die Augenkammer eindringt. — Bor allem aber fallen dem Beobachter die mächtigen Arme auf, welche acht an der Zahl dem Kopfe angewachsen sind und demselben einen unheimlichen Charakter verleihen, so das; er sich gleichsam als schlangentragendes Gorgonenhanpt ausnimmt. Eine Hautsalte, welche sich, wie die Schwimmhaut zwischen den Zehen mancher Wasservögel, zwischen ihnen ausspannt, bildet dadurch zugleich vor der inmitten des Armkranzes gelegenen Mundöffnung eine Art Trichter, der sich je nach der Bewegung des Kopfschmuckes erweitert oder verengert.
Jeder Arm trägt an seiner inneren Fläche eine große Zahl reihenförmig angeordneter Saugnäpfe, welche von der größten Bedeutung für das Thier sind. Wenn dasselbe kriechen will, so sixirt es mit Hilfe derselben seine Arme an feste Körper der Umgebung und zieht dann den übrigen Leib nach. Die Festigkeit, mit welcher diese Saugnäpfe anhaften, wird uns begreiflich, wenn wir das Thier, wie es im Aquarium häufiger geschieht, nachdem es sich in eine Felsenspalte verkrochen hat, mit weit ausgerecktem Arm Steine, die an Gewicht dem ganzen Körper gleichkommen, mit Leichtigkeit zu sich heranziehen sehen, um sie vor dem Schlupfwinkel anfzupflanzen. Zugleich offenbart sich durch diese Leistung das Kraftmaß des Cephalopoden, welches hier, wie bei allen Organismen, von der Größe der Querschnitts der Muskeln abhängig ist. Aber abgesehen von der Hilfeleistung, welche die Arme bei der Fortbewegung gewähren, dienen sie vor allem zum Fangen und Ergreifen der Beute.
Wehe dem Krebs oder einer anderen Lieblingsspeise unseres Octopoden, dem auch nur eine Saugscheibe an den Kragen geht. Alles Zappeln und Geberden ist vergebens. Das Greifwerkzeug hastet — und wäre die betreffende Ansatzfläche noch so glatt und schlüpfrig — als wäre es mit dem Körper des Bentethieres verwachsen. Der ergriffene Bissen wird dann zum Munde geführt, wo zwei mächtige hornige Kiefer, welche
!