Heft 
(1878) 32
Seite
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Der Graf, wie Du Dich ausdrückst, hat persönlich Deine Sym­pathien; er ist reich, angesehen, ehrenhaft, und unsere Herzen und Charaktere stimmen zu einander. Und doch ist alles um­sonst, weil es, vergib mir den Ausdruck, in Dein Lebensexempel nicht Paßt. Der gütigste der Väter, immer bereit, mir jeden ileinsten Wunsch zu erfüllen, versagt mir den größten, weil es ihm seine politischen Pläne stört, weil es ihn kompromittirt."

Ich lasse das Wort gelten, aber in meinem Sinne. Die Furcht vor Kompromittirung ist nicht immer kleinlich und unter­geordnet, sie kann auch berechtigt und Existenzfrage sein. Sie ist es für mich. Es handelt sich nicht um Einbildungen oder einen launenhaften Einfall; all dies berührt meine Ehre mehr als Du glaubst. Ein Mißtrauen gegen mich hat nie geschwiegen, auch nicht nach meinem Uebertritt. Von dem Augenblicke an, wo Du nach Polen zurückkehrst, mit meiner Zustimmung und an der Seite eines Mannes, dessen preußenfeindliche Gesinnungen kein Geheimniß sind, gebe ich dem Verdachte Nahrung, in meiner jetzigen Stellung, die mich Einblick in so manches gewinnen ließ, nur ein Aufhorcher gewesen zu sein. Ich wiederhole Dir, was Du selber weißt, nur widerstrebend ist die Gesellschaft dem Vertrauen gefolgt, das mir der Hof entgegenbrachte, und büße ich dieses Vertrauen ein, sehe ich es auch nur erschüttert, so schwindet mir der Balken unter den Händen fort, der nach dem Schiffbruch meines Lebens mich noch trägt. Lächle wer mag. Ich bedarf der Gunst des Königs, der Prinzen; wird mir diese Gunst genommen, so bin ich zum zweiten Male heimatlos. Und davor erschrickt mein Herz. Nenne das politisch oder nenne es Furcht vor Kompromittirung. Was es auch sein mag, es ist Sache meines Lebens, nicht meiner Eitelkeit."

Kathinka schritt auf den Vater zu, ihm die Stirn küssend, während sie ihren Arm um seine Schulter legte. Dann sagte sie:Laß mich Dir wiederholen, es ist noch kein Wort zwischen mir und dem Grafen gefallen. Ich glaube, daß er absichtlich eine Erklärung vermeidet, denn um ihn auch vor Dir zu verklagen er hat wie Du die Untugend, politisch zu sein. So viel ich weiß, trägt er sich mit dem Gedanken, wieder in die Polnische Armee des Kaisers einzutreten. Gerade der gegen­wärtige Augenblick scheint einen solchen Schritt zu fordern. Was aber auch kommen möge, eines verspreche ich: Dich für meine Person weder mit Wünschen noch Bitten zu beunruhigen. Ich werde schweigen und nichts soll durch mich geschehen, das Deine Stellung nach oben hin gefährden oder Deine Zugehörig­keit in diesem Lande neuen Verdächtigungen aussetzen könnte."

Dem Geheimrath entging nicht, daß die Worte Kathinkas, trotz eines scheinbaren Eingehens auf seine Wünsche, mit be­sonderer Vorsicht gewählt waren. Aber er empfand gleichzeitig, daß es zu nichts führen würde, sich minder zweideutiger Zu­sagen versichern zu wollen. So ließ er es sich an dem halben Erfolge genügen und brach die Unterredung ab.Es wäre mir lieb," so schloß er,Du schriebest einige Worte an die Tante. Störe ihr ihre Pläne nicht. Auch um Deinetwillen nicht. Die Tage wechseln und wir mit ihnen. Das wandelbarste aber sind Frauenherzen. Was Dir heute nichts ist, kann Dir morgen etwas sein. Brich nicht ab; ich brauche Dir keine Namen zu nennen. Es gibt ja Halbheiten des Ausdrucks, eine Sprache, die Du, wenn mich nicht alles täuscht, wohl zu sprechen verstehst."

Ich werde schreiben. Und Du magst die Zeilen lesen, Papa."

Ich vertraue Deinem Wort und Deiner Klugheit. Und nun halte Dich bereit. Ich habe den Wagen um zwölf bestellt. Der alte Wylich ist immer ein Pünktlichkeitspedant, doppelt bei seinen Matineen. Wir werden übrigens eine neue Zeltersche Komposition hören; Rungenhagen begleitet."

Damit trennten sie sich.

Eine Woche verging, ohne daß in dem Bekannten- und Freundeskreise Lewins und der Ladalinskis etwas Berichtens- werthes vorgekommen wäre. Und was von diesem Kreise galt, galt von der ganzen Stadt. Auch in dieser hatte sich die durch die Nachricht von General Jorks Kapitulation hervorgerufene Aufregung längst wieder gelegt und war einer unbestimmten, aber die Gemüther erhebenden Vorstellung von dem Anbrechen einer neuen Zeit gewichen. Wie gewaltige Kämpfe es noch be­dürfen würde, um diese herauf zu führen, das ahnten die wenigsten; die Mehrzahl lebte der Ueberzeugung, daß ihnen der Sieg als ein Resultat der napoleonischen Niederlagen wie von selber zufallen würde, und selbst die vielen immer neu wieder­holten Versicherungen, daß der König in seinem Bündniß mit Frankreich auszuharren, den General Jork aber, der dies Bündniß gefährdet habe, vor ein Kriegsgericht zu stellen ge­denke, konnten an dieser Zuversicht nichts ändern. Man sah in diesem allen ein aufgezwungenes Spiel eine bloße Maske, die jeden Augenblick abgenommen werden könne. Die Em­pfindung des Volks, wie so oft, war den Entschlüssen seiner Machthaber weit vorgeeilt. Am Tage nach der Gesellschaft bei Ladalinski las Fichte von elf bis zwölf über denBegriff des wahrhaften Krieges". Es war ein EotwAinrn xmdlicmin, für das, ebenso mit Rücksicht auf das Thema wie auf die Popu­larität des Vortragenden, von Anfang an der größte der Hörsäle gewählt worden; nichtsdestoweniger war alles längst besetzt, als Lewin eintrat, und nur mit Mühe gelang es ihm, sich auf der letzten Bank einen halben Eckplatz zu erobern. Aller Erwartungen waren gespannt und diese sollten nicht ge­täuscht werden. Das akademische Viertel war noch nicht um, als der kleine Mann mit dem scharfgeschnitteueu Profil und den blauen aber scharf treffenden Augen auf dem Katheder er­schien. Er hatte sich mühevoll den Aufgang erkämpfen müssen. Meine Herren," begann er, nachdem er nicht ohne ein Lächeln der Befriedigung seinen Blick über das Auditorium hatte Hin­gleiten lassen:meine Herren, wir sind alle unter dem Ein­druck einer großen Nachricht, die nicht kennen zu wollen mir in diesem Augenblick, das eine so schlimm wie das andere, als eine Affektation oder eine Feigheit erscheinen würde. Sie wissen, worauf ich Hinziele: General Jork hat kapitulirt. Das Wort hat sonst einen schlimmen Klang, aber da ist nichts, das gut oder böse wäre an sich; wir kennen den General und wissen deshalb, in welchem Geiste wir sein Thun zu deuten haben. Ich meinestheils bin sicher, daß dies der erste Schritt ist, der, während er uns zu erniedrigen scheint, uns aus der Erniedrigung in die Erhöhung führt. Es werden auch andere Worte und Auslegungen an Ihr Ohr klingen. Die Feigheit, weil sie sich ihrer selber schämt, sucht sich hinter Autoritäts­aussprüchen oder einem Codex falscher Ehre zu decken; ja, sie flüchtet sich hinter den besten Wappenschild dieses Landes. Aber das Nest des Aares ist kein Krähennest. Es kann nicht sein, daß die große That kleinmüthig gemißbilligt worden sei, und wäre es doch, nun so kräftige sich in uns der Glaube: es ist nicht, auch wenn es ist. Seien wir voll der Hoffnung, die Muth, und voll des Muthes, der Hoffnung gibt. Vor allem thuu wir, was der tapfere General that, d. h. ent­schließen wir uns."

Enthusiastisch antwortete das Auditorium, dann schwieg alles und keine weiteren Demonstrationen wurden laut, auch nicht, als mit dem Glockenschlage zwölf der Vortragende ab­brach und rasch das Katheder verließ. Nur wie zum Zeichen persönlicher Verehrung folgten ihm viele durch die laugen Korridore hin, bis er, ans dem westlichen Flügel des Ge­bäudes ins Freie trat. (Fortsetzung folgt.)

Am Jamitientische.

Gestörtes Liebesglück.

(Zu dem Bilde aus Seite 509 .)

Es ist eine gar sittsame Zeit, in die uns unser Bild führt, und die heißen Herzen der Jugend hatten es damals schwerer als heutzu­tage. Aber sie machten doch ihr Recht geltend trotz alledem und alle­dem. Der Jüngling ging natürlich zufällig am Fenster vor­über, und die Jungfrau hatte gerade natürlich zufällig in der

Fensternische zu thnn. lind wenn sie nun gerade jetzt die Rose vom Stock brach und hinabwarf ans die Straße, so war das natürlich auch nur ein Zufall.

Die eben eintretende Mutter scheint freilich, nach alter Leute Art, nicht an solche Zufälle glauben zu wollen. Ans ihrer Stirn liegt es wie Wetterwolken, aber wir brauchen uns deshalb nicht zu beunruhigen: des Töchterleins frischer rother Mund ist ein bewährter Blitzableiter.