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Nachdruck vcrbvtni Gcs. v. 11, VI. 71 .
Mor dem Sturm.
Historischer Roman von Theodor Fontane.
<FortIetzung.)
XXXIV. Leichtes Gewölk.
Der andere Morgen war klar und sonnig und gab auch dem Arbeitszimmer des Geheimraths ein helleres Licht als gewöhnlich in Wintertagen darin anzutreffen war. Ein Strahl siel bis an den Korb in der Ofenecke, wo das Windspiel in seinem Zwischenzustande von Schlafen und Zittern lag. Die Pendule schlug zehn, und der Geheimrath, mit der Pünktlichkeit, die ihm eigen war, trat in das Zimmer und nahm seinen Platz vor dem Arbeitstische, auf dem auch heute wieder Zeitungen und einzelne an ihn persönlich gerichtete Schreiben unter einem Briefbeschwerer von schwarzem Marmor lagen. Daneben ein elfenbeinernes Papiermesser mit geschnitztem Schlangengriffe.
Es war ein klarer Tag, aber er hatte doch sein „leichtes Gewölk", wenigstens in dem Gemüthe des Geheimraths, der denn auch, die gewohnte Ordnung der Dinge verkehrend, heute seinen Frühbesuch bei den Goldfischchen hinausgeschoben und statt dessen sofort nach dem Zeitungsblatt gegriffen hatte. Er flog über die Spalten hin, aber sein Auge ließ unschwer erkennen, daß er nicht las, sondern nur bemüht war, die Unruhe, die ihn erfüllte, vor sich selber zu verbergen.
„Guten Morgen, Papa," klang es wieder wie bei einem früher geschilderten Besuche in seinem Rücken, und ehe er noch sich wenden und den Gruß erwidern konnte, war Kathinka an seiner Seite. Auch sie schien befangen, und ihm scharf nach den Augen sehend, sagte sie: „Du hast mich rufen lassen, Papa?"
„Ja, Kathinka, ich bitte Dich, Platz zu nehmen."
„Nicht so. Erst mußt Du mich freundlicher ansehen und nicht so feierlich, als ob sich eine Staatsaktion vorbereite."
Der Geheimrath klopfte mit der elastischen Spitze des Elfenbeinmessers auf seinen Schreibtisch und wandte sich dann, indem er dem Sessel eine kurze Drehung gab, der Fensternische zu, in der Kathinka, ihren Rücken dem Lichte zugekehrt, Platz genommen hatte. Sie saß in Folge davon in einem sehr wirkungsvollen Halbschatten, und der freudige Stolz über die schöne Tochter ließ den Vater auf Augenblicke das Peinliche des Momentes vergessen. Kathinka selbst war sich des Eindrucks, den sie machte, vollkommen bewußt. Sie trug ihr Haar wie gewöhnlich in den Vormittagsstunden in einem goldenen Netze, aber dies Netz hatte sich halb geöffnet und ein Theil der kastanienbraunen Locken fiel auf den Kragen eines weiten dominoartigen Morgenkleides. Ihre Füße, leicht übereinander geschlagen, steckten in kleinen Saffianschuhen, und schnell die Vortheile berechnend, die der Vater aus seinem Spielen mit dem Elfenbeinmesser zog, nahm sie die kleine neben den Goldfischchen liegende Netzkelle zur Hand, um damit zu spielen.
„Ich habe Dich bitten lassen, Kathinka. um ein Paar Fragen an Dich zu richten, Fragen, die mich seit Wochen beschäftigen. Der Brief Tante Amölies hat mir dieselben aufs neue nahe gelegt, und ich würde gleich nach Deiner Rückkehr mit Dir gesprochen haben, wenn nicht die Unruhe der letzten Tage mich daran gehindert hätte."
„Die gute Tante," sagte Kathinka. „Sie denkt mehr an mein Glück als ich selbst. Ich sollte ihr dankbarer dafür sein als ich es bin."
„Ich wollte, Du könntest es. Die Wünsche, die sie hegt, sind auch die meinen. Und ihre Erfüllung schien so nahe. Aber Du selbst hast alles wieder in Frage gestellt. Daß ich cs bekenne zu meiner Betrübniß. Wie stehst Du zu Lewin?"
„Gut."
„Dies „gut", das eine ganze Antwort zu sein scheint, ist doch nur eine halbe."
„Nun so will ich Dir unumwunden die ganze geben. Ich habe Lewin lieb, aber ich liebe ihn nicht. Alles an ihm ist Phantasie; er träumt mehr als er handelt. Dies mag als ein Grund gelten. Aber bedarf es denn der Gründe? Die Tante, die sonst so klug ist, oder vielleicht weil sie es ist, vergißt ganz und gar, wie wenig das warum? in unseren Neigungen be
deutet. Sie will mein Glück, aber sie will es auf ihre Art, und was mir Sache des Herzens ist, ist ihr nur Sache des Hauses. Ich fühle mich aber uicht getrieben, einer Guseschen Hof- und Hauspolitik zu Liebe ein Verlöbniß einzugehen oder gar ein Bündttiß zu schließen. Das sind Rheinsberger Remi- niscenzen, die für Tante Amölie sehr viel, für mich sehr wenig bedeuten. Sie behandelt alles wie die Verbindung zweier regierender Häuser; das mag schmeichelhaft sein; aber Lewin ist kein Prinz und ich bin keine Prinzessin."
„Du vergißt nur eins: Lewin liebt Dich."
Kathinka klopfte, während sie den linken Fuß hin und her schaukelte, mit der Netzkelle leicht auf den Rand des Bassins; der Geheimrath aber fuhr fort:
„Lewin liebt Dich, und es ist nicht lange, daß Du diese Liebe erwidertest oder doch zu erwidern schienst. Erst die letzten Monate haben alles geändert, und Du sprichst nun spöttisch von der Verbindung „zweier regierender Häuser". Ich schätze den Grafen, aber ich fürchte, es war keine glückliche Stunde, die ihn in unser Haus führte. Hat sich der Graf Dir gegenüber erklärt?"
Nein."
„Glaubst Du, daß er Dich liebt?"
„Ja."
„Und Du?"
Es kam Kathinka gelegen, daß das Windspiel, das sehr bald nach ihrem Eintreten seinen Korb verlassen und zur Empfangnahme von Liebkosungen und Zuckerbröckelchen sich bei ihr eingestellt hatte, inzwischen immer verdrießlicher geworden war. Es lief jetzt, weil die Bröckelchen noch immer ausblieben, zwischen ihr und der Etagöre, in der sich die Zuckerdose befand, hin und her und begleitete die Unterhaltung durch beständiges Klingeln und Bellen. Der Geheimrath empfand dies ersichtlich als eine Störung, und Kathinka, jede seiner Mienen verfolgend, benutzte die Gelegenheit, um eine Pause zu gewinnen. Sie erhob sich von ihrem Stuhl, holte die Dose herbei, und eines der Zuckerstücke zerbeißend und zerbrechend, warf sie dem Windspiel, das sich sofort beruhigte, die Krümel zu. Dann tauchte sie den Zipfel ihres Taschentuchs in das Bassin, benetzte ihre Fingerspitzen und sagte:
„Ich habe den Grafen gern."
Der Geheimrath lächelte. „Das wird dem Grafen nicht genügen, Kathinka. Wenn Du glaubst, daß er Dich liebt, so wirst Du Dir Rechenschaft geben müssen, ob Du seine Neigung erwidern kannst."
„Ich kann es."
„Und Du wirst es?"
Sie schwieg; man hörte den Pendelschlag der Uhr. Endlich sagte der Geheimrath:
„Du hast mir genug gesagt, Kathinka, auch durch Dein Schweigen. Ich ersehe eins daraus, eins, aus das ich Gewicht lege, daß Du statt einfach dem Zuge Deines Herzens zu folgen, Rücksicht nimmst auf das, was mein Wunsch ist."
Kathinka wollte antworten, der Geheimrath aber wiederholte „auf das, was mein Wunsch ist", und fuhr daun fort:
„Aber auch dieser Wunsch ist unbeugsam und unabänderlich, und ich kann ihn Deinen Wünschen nicht unterordnen. Es verbietet sich. Höre mich. Die Tante wünscht die Partie mit Lewin; ich wünsche sie auch; aber ich bestehe uicht darauf. Worauf ich bestehe, das ist allein die Nichtheirath mit Bninski. Sie darf nicht sein, so sehr der Graf persönlich meine Sympathien hat. Die Ladalinskis sind aus Polen heraus, und sie können nicht wieder hinein. Ich habe die Brücken abgebrochen. Ob das Geschehene das allein Richtige war, ist nicht mehr zu befragen; es genügt, daß es geschehen ist."
„Es war ein Scherz, Papa," nahm jetzt Kathinka das Wort, „daß ich von „Prinz und Prinzessin" und von einer Verbindung zweier regierender Häuser sprach. Es hat Dich verdrossen, und ich bedaure es. Aber hatt' ich nicht Recht, Papa?