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In der Uovns ln-itnniiicino, einer sehr angesehenen französischen Monatsschrift, schreibt ein Herr Petermann Berichte über Deutschland und die Deutschen, in denen er alles, was bei uns mangelhaft ist, gehörig hervorhebt und ausschmückt, kein gutes Haar an uns läßt und das seinige dazu beiträgt, uns bei den Franzosen lächerlich und verhaßt zu machen. Das geschieht zwölf Mal im Jahre, und kaum einmal entgeht Berlin seinem Zorn. Er hat fast alle Monate an dieser Stadt etwas ansznsetzen. Die Preußen, schreibt er z. B., würden 1871 Paris vollständig mit wilder Freude zerstört haben, falls es möglich gewesen wäre, nur um diese Stadt vor ihrer Hauptstadt zu erniedrigen, vor diesem großen Dorfe, welches sie „Berlin" nennen.
Für jeden nichtpreußischen Deutschen, fährt dann Ehren-Peter- mann fort, besteht zwischen London und Paris auf der einen und Berlin auf der andern Seite ein so großer Unterschied, wie zwischen der kleinsten Provinzialstadt und einer Hauptstadt. Berlin ist ein Be- völkernngsmittelpunkt, eine gewisse Menschenanhäufnng, vereinigt durch die Nothwendigkeit des Regierungssitzes; aber man findet hier fast nichts von dem, was den Reiz und die Annehmlichkeit einer Hauptstadt ausmacht. Uebrigens kann inan auch nicht von Reichthum in Berlin, von Luxus, von schönen Häusern, von prächtigen Lüden reden. Was die Theater betrifft, so gibt es etwa vierzehn; doch zeichnen sie sich mehr durch die Anzahl als durch künstlerische Leistungen nnd gute Darstellungen aus. Wien besitzt nur halb so viel Theater, aber es ist ein Athen gegenüber Berlin.
Die Umgebungen der preußischen Hauptstadt sind abscheulich, flach, traurig, ohne Wasser und Schatten. Wenn diese Einfachheit, diese Abwesenheit von Luxus das Ergebnis; einer spartanischen Tugend wäre, könnte man sie bewundern, aber es ist einfach einheimische Barbarei — daher crröthen die Preußen auch und werden eifersüchtig, wenn man von der Eleganz und dem Glanze anderer Hauptstädte redet.
Berlins Bevölkerung hat sich in der letzten Zeit stark vermehrt und die Stadt zählt jetzt eine Million Einwohner. Doch sind seine Annehmlichkeiten, sein Luxus, seine Eleganz nicht in dem gleichen Maße gewachsen. Während Paris das Stelldichein aller großen Vermögen von Frankreich, ja gewissermaßen von Europa ist, während man dort die Millionäre nach Hunderten zählt, besteht Berlins Bevölkerung fast nur ans Preußen, die dort in der allerbescheidensten Weise leben.
Und in dieser Weise be - richtet Ehren-Petermann eine hervorragende französische Revue.
Das Jubiläum eines alten Hausfreundes.
Fünfzig Jahre sind verflossen, seit Friedrich August v. Ammon, ein Sohn des berühmten Theologen und Kanzelredners gleichen Namens, ein Buch herausgab, das sich rasch in zahllosen deutschen Häusern einbürgerte, nnd sich immer mehr als ein echter nnd rechter Hausfreund bewährte. Es war betitelt: „Die ersten Mutterpflichten nnd die erste Kindespflege", nnd wollte jungen Frauen nnd Müttern ein Rather nnd Helfer sein, ohne irgendwie den Arzt überflüssig zu machen, ja vielmehr demselben nur vor- nnd in die Hand arbeiten. Taktvolle Reserve und doch erschöpfende Belehrung nnd Anweisung, decente Haltung und doch genügende Aufklärung zeichneten dieses kleine treffliche Buch vor so vielen ähnlichen aus. Dazu erfüllte es eine ernste ethische Aufgabe. Der Verfasser wollte, wie er es selbst ansdrückt, „in einem warmen, sittlichen, das religiöse Gefühl des jungen Mutterhcrzens ansprechenden Tone seine Leserinnen über die Bedeutung des Mutterbernfes unterrichten, er wollte ihnen eindringlich sagen, daß sie zur Nachahmung der sich aufopfernden Caritas, und zur Geduld bei der Geburt und in der Pflege des Kindes bestimmt seien, er wollte ihnen von der Ansdauer und der Ergebung des Weibes sprechen." Durchweg weist er sie ans das rechte Gottvertraucn als auf etwas für ihren Beruf Unerläßliches hin, nnd er schließt sein Buch in dein Abschnitte über die „erste geistige Entwickelung des Kindes" mit einem Mahnruf an die Mutter, ihr Kind beten zu lehren. Das Buch fand die verdiente Aufnahme aller Orten; Auflage folgte auf Auflage, Volkskalender und periodische Schriften gaben Auszüge daraus, es wurde ins Norwegische, Holländische, Englische übersetzt, nnd als der Verfasser 1801 starb, sorgte der Verleger, der an allen seinen Veröffentlichungen thätig mitwirkende Dr. Salomon Hirzel, für einen ebenbürtigen Herausgeber in der Person des Dr. Grenser. Auch diesen hat es überlebt; seit 1872 ist der auf seinem Gebiet als Autorität geltende Dr. Winckel zu Dresden mit der Herausgabe betraut. So ist das Buch, das man in seiner Art ein klassisches nennen darf, in guten Händen. Ohne es in seiner bewährten Ureigenthnmlichkeit, namentlich in seinem religiösen Charakter anzutasten, hat es Dr. Winckel doch nicht unterlassen, mit leiser Hand jeden Fortschritt seiner Wissenschaft zur zeitgemäßen Verbesserung zu verwerthen und insbesondere wichtige Zusätze über die Ernährnngsart der Kinder, neu empfohlene Nahrungsmittel und den Gebrauch des Thermometers bei kranken Kindern zu machen, die allen Müttern willkommen sein werden. Wir wünschen dem jetzt in einnndzwanzigster Auflage vorliegenden Buche bei Vollendung seiner halbhundertjährigen Wirksamkeit von Herzen Glück und hoffen, daß dieser altbewährte Hausfreund auch die Säknlarfeier einst erleben werde. R. K.
Das Tholuck-Convikt.
Als 1). Tholuck vor nun 40 Jahren sein eigenes Haus bezog, äußerte er gegen feine Gattin: „Nun miethe mir ein Hans in der
Nachbarschaft zu einem Studentenconvikt." Erst nach seinem fünfzigjährigen Jubiläum ist es derselben gelungen, wirklich ein Nachbarhaus für diesen Zweck zu erwerben. Unter Leitung eines theologischen Inspektors erhalten in dieser Anstalt etwa acht Studenten der Theologie gegen geringes Entgeld Wohnung und Kost. Die berühmte Bibliothek Tholncks soll ganz diesem Convikt überlassen bleiben Eine sogenannte Jnbiläumstiftung ließ sich der Anstalt nicht zuwenden. Dieselbe mußte seitens der Stifter seit 1871 ganz aus Privatmitteln erhalten werden. Diese sind durch v. Tholncks Tod sehr geschmälert. Dennoch ist es der herzliche Wunsch der Wittwe, dem Heimgegangenen „Studentenvater" seinen Wünschen gemäß in seinem Eigenthum diese Anstalt als Denkmal zu bewahren und dereinst als solches zu hinterlassen. Jede Unterstützung bei diesem Versuch wird dankbar angenommen. Zur Vermittlung nnd näheren Auskunft ist Professor Lic. Kahler in Halle a. S., Wilhelmstraße 33, bereit.
Die Engländer als Volksvergifter.
Der Massenmord ans unersättlichem Golddnrst hat schon längst die Blätter der Geschichte des Völkerverkchrs besudelt und am schwärzesten nnd unverantwortlichsten die des Verkehrs christlicher Nationen mit heidnischen. So ruft schmerzerfüllt Prof. Th. Christlieb ans, indem eres unternimmt in einer so eben erschienenen Broschüre „Der indobritische Opiumhandel und seine Wirkungen" (Gütersloh, C. Bertelsmann), die ganze Schändlichkeit dieses von der englischen Regierung betriebenen Gewerbes auseinander zu setzen und an der Hand einer reichen Literatur kritisch zu beleuchten. England erscheint als eine Zwiltergestalt, die mit der einen Hand großmüthig Freiheit und Leben den Negern spendet, während sie mit der andern dem zuckenden Riesenleib Chinas gewaltsam Tod und Knechtschaft durch ihr Gift einimpft. „Die stolze Flagge Albions trägt einen breiten Schmutzflecken." Nicht verschwiegen darf hierbei werden, daß viele Engländer, namentlich die zahlreichen Missionsfreunde, dies längst mit liefer Scham fühlen und gegen den scheußlichen Opiumhandel laut Protest erhoben haben, bisher jedoch ohne Erfolg.
Das Opium, welches in Indien auf Regiernngsländereien gebaut wird, gelangte im vorigen Jahrhundert noch als Medicin nach China, wurde dann gefährliches Reizmittel, und als die chinesische Regierung dies erkennend 1799 die Einfuhr verbot, begannen die Engländer die Zollbeamten zu bestechen und einen großartigen Schleichhandel mit dem gefährlichen Gifte zu organisiren. Es ist bekannt, wie England sich 1842 zu einem der schmachvollsten Kriege, der je geführt worden ist, zum „Opinmkriege" Hinreißen ließ, der zu dem ausgesprochenen Zwecke unternommen wurde, den Chinesen das Opium wieder anfzudrängen, wenn dieser Handel im Frieden von Nanking auch nicht legalisirt wurde. Dies geschah aber nach dem späteren Kriege, der 1860 mit dem Vertrage von Tientsin endigte, wo das niedergeworfene China dem englischen Willen sich beugen mußte. Im Namen der Königin Viktoria wurde durch eine starke militärische Expedition die Legalisirung der Volks- Vergiftung in China zu Gunsten der englischen Geldbeutel durchgesetzt und die indische Opinmansfnhr, welche 1800 erst 5000 Kisten betragen hatte, war 1875 auf fast 90,000 gestiegen!
In Indien werden gegenwärtig über eine Million Acker mit Mohn bepflanzt, um Opium daraus zu gewinnen, und hierdurch werden in einem Lande, das periodisch schwerer Hungersnoth ausgesetzt ist, nützliche Früchte, wie Korn, verdrängt. Dafür beträgt aber das Einkommen der indischen Regierung ans dem Opiumhandel über 150 Mill. Mark oder ein Siebentel der ganzen indischen Staatseinnahmen, die somit wesentlich auf das Vergiftungsgeschüft angewiesen sind. Welche Moral! Die schlimmste Folge für England ist aber die, daß dort der geheime Opiumgenuß mit allen Zeichen moralischer und physischer Verwüstung sich einznbürgern beginnt. In einigen Theilen Englands rauchen die Feldarbeiter, ehe sie die Ernte beginnen, eine Opiumpille als Reizmittel, unbekümmert um die traurigen Nachwehen; denn diese Opiumraucher werden, ganz abgesehen von den moralischen Folgen, auch für äußerliche Arbeit ganz untauglich. Langsam verbreitet sich anfangs der Opiumgenuß; ist er aber eingeführt, dann steht er plötzlich als kaum besiegbares verheerendes Uebel da. Sollte an England auf diese Weise für seinen fortwährenden Massenmord in China Vergeltung geübt werdend
Wie der Opiumgennß auf die Ostasiaten selbst wirkt, möge man an ein paar Beispielen erkennen, wobei wir von den schrecklichen Folgen für den einzelnen ganz absehen und nur Völker im Auge haben. In Arakan erösfneten die Engländer Opiumläden, woselbst junge Leute umsonst mit dem Gifte regalirt wurden, um den Genuß wachzurufen. Nach einiger Zeit verkaufte man es um geringen Preis, wieder nach einiger ward dieser erhöht. Die Taschen der Kanfleute füllten sich, die Einnahme der indischen Regierung stieg. Und das Resultat? Auf ein schönes gesundes Geschlecht starker Männer folgte eine verkommene Generation leidenschaftlicher Opiumraucher, leichtsinniger Spieler und Verschwender, die sich durch diese Laster um ihre geistigen und körperlichen Kräfte zugleich bringen. „Gibt es," ruft Prof. Christlieb aus, „eine teuflischere Art, ein Volk systematisch zu vergiften?" Auch in Assam, wohin die Engländer die Opiummanie einführten, wirkt sie wie eine Pest. Auch dort ist aus einem schönen und kräftigen Menschenschläge ein verworfenes, hinterlistiges, serviles und sittenloses Volk geworden.
„Die Weiber," schreibt der dortige Handelssuperintendent Bruce, „haben weniger Kinder als die anderer Länder, und diese Kinder werden selten alt. Nur wer längere Zeit in diesem unglücklichen Lande