Heft 
(1878) 33
Seite
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Diese außerordentlichen Ereignisse hatten zunächst nicht gehindert, daß dem Doktor Schrade die Regierungsbelohnung von zehntausend Gulden für den Fang des Negers ausgezahlt wurde; nachdem er unseren Bootsführer aus der Nacht des Abenteuers zufriedenstellend entschädigt und den übrigen Theil- nehmern vergebliche Anerbieten gemacht hatte, blieb ihm ein ansehnliches Kapital übrig, um seine Studien ohne Neben­erwerb fortznsetzen; er schwor, die ostasiatische Inselwelt nur zu verlassen, wenn von dem Gelde nichts mehr übrig sei, als die Kosten der Rückreise nach Europa.

Von da ab waren zwei Monate verflossen, welche ich im Innern der Insel zugebracht hatte; seit einer Woche saß ich wieder auf der Veranda bei Freund Rodrig und zeichnete Karten. Leider war Doktor Schrade davon gegangen, eine Lücke in unserer Gesellschaft, welche von befreundeten jungen Männern des Ortes nicht vollständig ausgefüllt werden konnte. Ich hatte Aussicht, in vierzehn Tagen meine Arbeit soweit zu beendigen, daß ich zu den abschließenden Geschäften nach Amsterdam zu­rückkehren konnte, und da es mich trotz der Behaglichkeit meiner Lage gewaltsam nach dem alten Kontinente zog, so zeichnete ich mit rühmenswerther Ausdauer.

Ich hatte den Kapitän Behrensen seit meiner Abreise in das Innere nicht wieder gesehen und war erfreut, als er eines Abends bei uns vorsprach. Zu Bekenntnissen war es merk­würdigerweise zwischen uns beiden überhaupt nicht gekommen; mir war es bis auf den letzten Tag so gewesen, als ob Beh­rensen einen Rest von Mißtrauen gegen mich hegte; jedenfalls wurden die Erlebnisse von früher mit keiner Silbe erwähnt. Heute Abend begrüßten wir uns auf das freundschaftlichste und plauderten, während der Thee gebracht wurde, über meine letzten Erlebnisse.

Und Sie, Kapitän," fragte ich endlich,wie weit sind Sie mit Ihrer Reparatur?"

Behrensen nahm den Schnurbart zwischen die Lippen und machte ein so nachdenkliches Gesicht, daß wir aufmerksam wurden.

Ich bin so weit, daß ich in spätestens vierzehn Tagen mit Fracht in See gehen kann!" sagte er.

Wohin zunächst?" fragte ich weiter.

Ich nehme Tabak für Rotterdam."

Es war die unverhoffte Aussicht, nach Holland zu kommen, welche mich zu der schnellen Frage drängte:Wollen Sie mich mitnehmen?"

Behrensen schaute auf, immer noch den Bart zwischen den Zähnen, und fragte mit einem Ansdrucke gespannten Interesses: Ist das Ihr Ernst?"

Allerdings!" versicherte ich.Ich bin in vierzehn Tagen hier fertig und muß zunächst nach Amsterdam."

Der Kapitän schwieg eine Weile und ließ den nachdenk­lichen Blick von mir zu Rodrig und wieder zurück zu mir schweifen. Endlich sagte er, indem er sich zu einem Entschlüsse zwang:

Ich bin eigentlich in der Absicht hergekommen, Ihnen etwas zu erzählen; aber wenn mir in einer Schwierigkeit der Zufall halbwegs entgegenkommt, werde ich meiner Natur nach zunächst mißtrauisch, nicht gegen die Person, sondern gegen den Zufall. Hören Sie, wie es mir geht. Mit der Reparatur bin ich so weit zu Ende, daß sie mich nicht mehr auf der Rhede festhält. Mit Eliah Brothers habe ich eine volle Ladung Tabak nach Rotterdam akkordirt, und ich könnte jeden Tag die Fracht ein­nehmen, wenn ich Leute hätte. Sie wissen, daß mir der Sturm, in dem ich Havarie bekam, nur den Jungen übrig ließ, und ebenso werden Sie wissen, daß man um jetzige Jahreszeit in Batavia nur schwer brauchbare Matrosen bekommt. Ich habe mir ein paar Tage große Mühe darum gegeben, aber es fanden sich keine Leute. Heute vor drei Tagen kam nachmittags ein Boot zu mir, in dem zwei Matrosen saßen; der eine blieb unten, der andere kam an Deck. Der Mann setzte mir aus­einander, daß er sich selbst und vier Kameraden bei mir für die Reise nach Rotterdam verheuern wolle. Sie seien vor etlichen Monaten einem holländischen Wollschiffe entlaufen und hätten sich seitdem im Innern der Insel verborgen gehalten; ich bekam eine lange Erzählung über die Rohheit ihres frühern

Kapitäns zu hören, und der Mann wußte mir die Geschichte, die übrigens alle Tage Vorkommen kann, so plausibel zu machen, daß ich zusagte, besonders, weil ich so aus aller Noth war.

Wie das hinterher mit der Verklarung werden sollte, blieb mir zwar etwas zweifelhaft dabei, aber ich faßte zunächst zu. Am folgenden Morgen präsentirten sich meine fünf Leute bei mir an Bord, und es blieb mir nichts übrig, als sie an die Arbeit zu stellen, obgleich es mir beim Anblick der Menschen fast leid wurde. Der erste, mit dem ich akkordirt hatte, konnte allenfalls passiren, aber mit den vier anderen war kein Staat zu machen, wahre Buschklepperphysiognomien, Menschen, denen der Galgen­strick auf dem Gesichte geschrieben steht. Merkwürdigerweise sind zwei unter den Leuten verwundet, der eine am rechten Arm, den er umwickelt hat und nur schlecht gebrauchen kann, der andere an einem Beine, auf dem er hinkt. Man kann sich drinnen in der Wildniß solche Dinge freilich mit Leichtigkeit holen, aber es ist mir trotzdem unter den Kerlen unheimlich geworden. Seitdem habe ich sie so sorgfältig und so verborgen wie möglich beobachtet, ohne etwas Verdächtiges zu bemerken; der Junge behauptet freilich, sie hätten ab und zu zusammen zu zischeln, aber am Ende ist so ein Junge, besonders wenn er Furcht vor den Leuten hat, keine ganz zuverlässige Quelle.

Ich bin drei Tage lang nicht von Bord gegangen, und habe heute nur die Gelegenheit benutzt, wo ein halbes Dutzend Zimmerleute mit der Takelage meines Schooners beschäftigt sind, um zu Ihnen heraufzukommen. Sie können sich denken, wie überraschend mir Ihr Anerbieten war, mich zu begleiten; es gehört gerade noch ein entschlossener Mann zu mir, mit dem ich leichten Herzens an das Abenteuer gehen würde. Aber Sie haben es nicht um mich verdient, daß ich Sie in etwas locke, das mir wie eine Gefahr aussieht, ohne Sic über die Lage der Sache anfzuklären."

Ich war schon lange entschlossen, bevor der Erzähler ge­endet hatte; in jenen Jahren des Thatendranges kam mir ein solches Abenteuer eben recht. Ich überlegte in der Schnellig­keit, daß wir unser zwei gegen fünf noch kein ungünstiges Ver- ! hältniß abgaben, zumal wir, mit Schießwaffen versehen, gegen Menschen, welche im Falle eines Konfliktes sich ans Handspaken und derartige Waffen beschränken mußten. Ich reichte also Beh­rensen die Hand und sagte:Kapitän, ich bin Ihr Mann!"

Behrensen drückte die Hand mit mehr Wärme, als ich bis­her an ihm verspürt hatte; dann nahm er wieder den Schnur- bart zwischen die Lippen und sagte etwas zögernd:

Wenn das nun eine abgemachte Sache ist, so muß ich Ihnen noch eine weitere Mittheilung machen."

Es schien dem Manne Ueberwindung zu kosten, bis er­sieh diese Mittheilung abrang; wir sahen ihn gespannt an, ohne zu antworten.

Ich habe meine Frau an Bord!" sagte er endlich mit einem Ruck.

Ah!" machte ich erstaunt.

Aber Behrensen war völlig am Ende seiner Bekenntnisse.

Er erhob sich schnell und brachte, um jede weitere Frage ab­zuschneiden, das Gespräch sofort auf die Details unserer Fahrt.

Es wurde verabredet, daß ich erst am Morgen der Abreise an Bord kommen sollte, wohl bewaffnet und mit Munition ver­sehen; wir hielten es für nöthig, die Leute sorgfältig zu über­wachen, unterwegs niemals sich selbst zu überlassen, und theilten uns den Dienst in zwei Wachen. Es war also nichts weniger als ein Vergnügen diese Reise, aber es war unter Umständen ein unberechenbares Abenteuer. Dann verließ uns Behrensen, der es eilig hatte, an Bord zurückznkehren.

Der Rest der Zeit verstrich uns beiden Unzertrennlichen mit dem störenden Bewußtsein, daß einer der beiden Ruheplätze auf der Veranda künftig leer bleiben, und daß ich meine Beine vielleicht niemals wieder unter einen so gastlichen Tisch strecken würde. Eines Tages hatte ich meine Arbeit beendet und meine Geschäfte bei der Kolonialregierung abgewickelt; um uns den Abschied leichter zu machen, hatte Rodrig einige junge Männer unserer Bekanntschaft für den Abend geladen, und wir waren so lustig, wie es die Situation zuließ. Als schwachen Beweis ! meiner Dankbarkeit vertraute ich in einem Momente, in dem mich