Heft 
(1878) 33
Seite
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die Gefühle übermannten, Rodrig das Geheimniß meiner kalten Bowle an; wir tranken am nämlichen Abend das erste Exemplar seiner Konstruktion, und die Freunde fanden diese Art, mich in der Kolonie für ewige Zeiten unsterblich zu machen, eben so würdig wie rührend. Am nächsten Morgen mit dem Frühsten brachte mich Rodrig in seinem Bendi nach dem Hafen hin­unter; unter der allen Seefahrern bekannten Tamarindengrnppe nahmen wir Abschied, mein Gepäck wurde in ein Boot geschafft und ich fuhr, etwas schwerfällig wegen der Last des Fahr­zeuges, auf die Rhede hinaus. Es war mehr als eine Stunde vergangen, als wir.uns dem Schooner näherten; die Leute holten so eben den Anker aus dem Grunde und machten sich daran, Segel zu setzen.

Als ich an Deck kam, begrüßte mich Behrensen mit einem freundlichen Nicken und stummen Händedruck, im übrigen nahm ihn das Manöver in Anspruch, und ich blieb mir selbst und den etwas erstaunten Blicken der Mannschaft überlassen. Der Junge bemühte sich, mein Gepäck unter Deck zu stauen, ich selbst besah mir die neue Umgebung, vorzugsweise allerdings die Menschen. Ein Seemann konnte zufrieden damit sein, wie diese Leute anpackten; es war das Werk weniger Minuten, bis alle unsere Segel voll im Winde standen, und der Kapitän nickte anerkennend, als er dem Manne am Steuer den Kurs gesagt hatte, und mich unter den Arm nehmend langsam nach hinten ging.

Seien Sie so unbefangen wie möglich, lieber Freund!" sagte er.Die Leute scheinen mir etwas verschnupft über Ihre plötzliche Erscheinung; wir thun gut, wenn wir ihrem Arg­wohn keine Nahrung geben. Uebrigens ist gestern Abend noch eine dunkle Geschichte Passirt, die mir zu denken gibt, ohne daß ich sie erklären kann; fast eine Wiederholung des neulichen Ueber- falls, nur allerdings harmloser. Ich kam in der Dunkelheit nach oben und machte einen Gang längs des Decks. Vorn sehe ich in der Finsterniß ein Boot liegen, hart unter der Ankertrosse; wie ich es anrufe, gibt es einen Stoß gegen das Tau und das Boot verschwindet in der Nacht. Bon meinen Leuten hatte einer in der Nähe gestanden, aber er behauptet, er habe nichts gesehen; als ich sie zusammenrief, fehlte keiner. Solche Geschichten berühren mich unheimlich, machen mich nervös.

Ich frage Sie, was hat nachts ein Boot vor meinem Bug zu thun, aus dem keine Antwort kommt, wenn man es anruft, und welche Rolle spielen meine Leute, die nichts davon sehen!

Ich begreife andererseits wieder nicht, was die Menschen Vor­haben könnten; wenn es ans eine Beraubung abgesehen wäre, könnten sie hundertmal in den vierzehn Tagen Gelegenheit ge­funden haben; es ist niemand im Stande, so vollständig die Nacht zum Tage zu machen, daß ich Einsamer nicht unzählige Mal kein Hinderniß gewesen wäre. Mich peinigt diese Unsicher­heit; ich wäre vergnügt, wenn mir endlich einmal eine wirkliche greifbare Gefahr die Zähne wiese!"

Ich verstand die Situation vollkommen, ich glaubte auch nicht zu irren, wenn ich in dem übermüdeten blassen Gesichte des Kapitäns die Spuren der verflossenen beiden Wochen finden wollte. Aber ich konnte ihm nichts weiter antworten, als daß wir zu zweien der Sache bald genug auf den Grund kommen würden, und einstweilen einer am anderen die wirksamste Unter­stützung finden müßte. Der Kapitän führte mich dann nach unten, wo vorn eine Kammer für mich hergerichtet war, gerade so wohnlich, wie man sie an Bord eines Handelssahrzeuges, das bis unter die Decksbalken voll Tabaksballen gestopft ist, sich denken mag. Ich überzeugte mich zunächst von der Sicher­heit der Einrichtung, namentlich des Verschlusses und von der Anwesenheit meines Gepäcks. Alsdann informirte ich den Kapitän darüber, daß in der einen Tasche meines bequemen Seemanns- jaquetts ein Revolver mit gefülltem Magazine, in der anderen ein Dutzend loser Patronen dauernd Quartier genommen hatten, und erfuhr, daß Behrensen in seltener Einmütigkeit der Ge­danken eine ganz gleiche Vorrichtung mit sich herumtrng. Schließlich überlegten wir, unter welcher Firma ich an Bord fahren sollte, und kamen zu dem Entschlüsse, mich als Steuer­mann zu installiren. Das mochte ein unerhörter Fall sein für ein Fahrzeug von dreihundert Tons, aber es brachte den großen Vortheil mit sich, daß ich den Leuten gegenüber mit einer

Autorität bekleidet wurde. Wir verbanden also den Gedanken mit der That und stiegen wieder an Deck; ein Ruf brachte die fünf Männer und den Jungen an den Kreuzmast, und ich hatte Gelegenheit, während der Kapitän zu den Leuten sprach, sie mir anzusehen. Es war in der That eine auserlesene Reihe von Hallunkengesichtern, diese Matrosen; keiner sah dem Sprecher oder mir in das Gesicht, aber alle warfen schielende Blicke ans den Augenwinkeln auf uns. Die Gesichter sahen verbissen oder- heimtückisch aus, aus allen stand es mit deutlicher Schrift zu lesen, daß sie mich für einen überflüssigen Gast an Bord an­sahen und Mißtrauen gegen mich hegten. Als sie entlassen waren, ging der Kapitän wieder nach unten, und ich setzte mich sofort in den Besitz meiner neuen Funktionen, indem ich den Kurs angab. Wir segelten vor einer frischen Brise mit Nord­westkurs. Hinter uns verschwammen allmählich die Küsten zu dunklen Strichen, deren Farbe Heller und Heller gegen das Grau des Meeres abstach; noch eine Viertelstunde, und wir konnten das Ruder Backbord legen, den Kurs hart West.

Der Tag verlief so eintönig, wie dies von unserer ein­samen Lage nur erwartet werden konnte; wir hatten wenig zu­sammen zu plaudern, zumal der Kapitän in den Stunden meiner Wache sich nicht viel an Deck sehen ließ. Das Mittag­essen wurde mir in meine Kammer gebracht, und Behrensen entschuldigte sich, mich seiner Frau noch nicht vorstellen zu können; sie sei 'nicht wohl, sagte er. Ich muß bekennen, daß ich von diesem unbegreiflichen Mißtrauen etwas verletzt war, aber ich hütete mich, meine Verstimmung sichtbar werden zu lassen. Ich hatte bisher dem Kapitän keinen Anlaß gegeben, über ineine Neugierde zu klagen, und ich nahm mir vor, der Achterkajüte so weit wie möglich aus dem Wege zu gehen.

Von den Nachtwachen nahm ich die erste und letzte; als mich Behrensen um Mitternacht ablöste, lagen die Leute in ihren Hängematten und schliefen; als ich um 4 Uhr morgens die neue Wache übernahm, herrschte tiefe Ruhe im Schiff und undurchdringliches Dunkel auf dem Wasser. Um sechs Uhr rief ich die Leute wach, und sie machten sich an die Geschäfte des Tages. In dem blendenden Lichte, das sich mit der Plötzlich­keit der Tropensonne über die Wasserwüste ergoß, war es mir in einem Augenblicke wie eine Vision. Ich sah vier von den Leuten in der Nähe des Bugsprits stehen, als sich ans dem Vorderluk ein Kopf erhob, um im nächsten Augenblicke wieder zu verschwinden. Ich sah mich nach dem Manne am Steuer um: er lehnte gedankenträge auf den Speichen; ganz hinten schoß der Junge eine Trosse ans. Es wäre nur der Kapitän übrig geblieben, aber dem Kopfe hatte der Bart gefehlt. Mir fuhr der Gedanke durch das Gehirn, daß wir einen geheimniß- vollen Passagier an Bord beherbergten, von dem auch der Kapitän keine Ahnung haben konnte, ein Mann, der wahr­scheinlich mit der Mannschaft zu irgend einem räthselhaften Zwecke im Einvernehmen stand und wohl die Triebfeder zu den­jenigen Ereignissen war, welche uns bevorstanden. Das ver­schlimmerte übrigens unsere Lage um ein Merkliches: wir waren künftig zwei gegen sechs. In den Stunden, welche meine Wache noch lief, versuchte ich ein paar Male, mir eine Täuschung einzureden, aber ohne nachhaltigen Erfolg: der Kopf stand mir unaufhörlich vor den Augen, und es fehlte derjenige, dem er gehören mußte.

Um acht Uhr machte der Kapitän, der an Deck kam, meinem Sinnen ein Ende. Während wir einen Spaziergang machten, theilte ich ihm meine Wahrnehmung mit, aber die Gelegenheit war nicht geeignet, einen Gedankenaustausch daran zu knüpfen; ich ließ ihn seinen Weg allein sortsetzen und notirte unsere Stelle auf der Karte. Es war Zeit zum Wenden, wir mußten mit Südwestkurs die Sündastraße passiren. Ich ries also die Leute an die Brassen und schaute nach dem Segelwerke; es war einer jener Momente, in welchen die Seele, wenn auch noch so intensiv mit einem Gedanken beschäftigt, durch äußere harmlose Vorgänge abgelenkt wird. Dem Kapitän erging es anscheinend ebenso: er hatte sein Glas genommen und schaute in die See hinaus, dahin, wo die Küste von Sumatra in unserem Lee unsichtbar bleiben sollte.

Mit diesem unbewachten Augenblicke waren wir im Nu

(Fortsetzung auf S. 526.)