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XIV. ^ll!)l'ZÜNZ. Ausgrgebcn am 1. Juni 1878. Del Jahrgang laust vam Gktabek 1877 lila dahin 1878. 1878. 35.
Ktchanan, eine jüdische Wapstsage.
Nach mündlicher Ueberlieferung erzählt von <6. H. Händler.
(Schluß.)
Nachdruck verboten. Ges. v. 11./VI. 7».
Papst Gregor VIl hatte es zur Erreichung seiner hochstrebenden Pläne für gut befunden, die eifrigsten und fähigsten feiner Anhänger an die verschiedenen Höfe der regierenden Fürsten Deutschlands und der in fürstlichem Range stehenden Prälaten zu senden, theils um sie diesen als Hofprediger und Beichtväter zuzutheilen, theils um sich durch sie als Legaten oder Nuntien vertreten zu lassen. Sie waren angewiesen, mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln für die Begründung der Oberherrschaft des Statthalters Christi über Kaiser und
> König, so wie zur sonstigen Befestigung der Macht und des Ansehens des römischen Stuhles thätig zu sein. Unter diesen
> befand sich auch Elchanan, oder wie er jetzt hieß, Bischof Adam Desiderius, der seinem mächtigen Gönner und Beschützer mit Leib und Seele ergeben war. Durch eine besondere Fügung wurde ihm die Stadt Mainz als Wirkungskreis zugewiesen, wo er an dem Hof des damaligen Erzbischofs und Erzkanzlers des deutschen Reiches mit einer wichtigen Mission betraut ward.
Eines Tages, als Bischof Desiderius seinen täglichen Spaziergang in der Umgebung der Stadt machte, kam es ihm i vor, als ob er die Gegend schon früher einmal wie in einem Traume gesehen hätte, und zwar unter Verhältnissen, die von den jetzigen himmelweit verschieden waren. Dunkele Erinnerungen tauchten geisterhaft vor seiner Seele auf, aber wie sehr er sich auch bestrebte, sie zu klären, sie flössen immer chaotisch in und durch einander. Nur eine Vorstellung hielt in diesem bunten Gewirre mehr und mehr Stand. Es kam ihm vor, als ob ihn ein inniges Band mit dem jüdischen Volke verknüpft hätte. Vergebens suchte er sich darüber Rechenschaft zu geben. Aber dieser ihm selbst unerklärliche Herzenszug nahm immer mehr zu, und gewann eine solche Macht über ihn, daß ihn eine unwiderstehliche Sehnsucht ergriff, sich auf irgend eine Weise mit Juden in Verbindung zu setzen.
Wie sollte aber der hochgestellte Würdenträger dies bewerkstelligen?
XIV. Jahrgang. Sä. r.
Da trat ein Ereiguiß ein, welches dazu angethan war, ihm den Weg zu bahnen. Als er einen Ausflug nach dem nahe gelegenen Städtchen Bingen machte, warf sich plötzlich ein alter jüdischer Rabbi vor seine Karosse hin; nur mit Mühe vermochte der Kutscher die Pferde anzuhalten, daß sie den Greis nicht mit ihren Hufen zermalmten. Die Umgebung des Bischofs wollte den alten Mann mit Gewalt entfernen, doch der Bischof winkte ihm näher zu treten, erkundigte sich leutselig nach seinem Begehren und fragte, warum er in dieser verzweifelten Weise seinen Wagen angehalten habe.
Der Greis, zu aufgeregt, um eine zusammenhängende Antwort zu geben, konnte nur die Worte: „Gnade! Erbarmen!" Hervorbringen und überreichte dem Bischof eine Bittschrift, die er in den Händen hielt. Dieser nahm sie und las sie sofort. Der Inhalt mußte ihn eigenthümlich bewegen, denn seine Gesichtsmuskeln zuckten, und ein Zug tiefer Rührung verbreitete sich über sein edles Antlitz. Das Gesuch des Rabbi enthielt eine recht traurige Geschichte. Er besaß eine einzige Tochter, ein blühendes Mädchen, und diese war ihm, als sie mit ihren Gefährtinnen vor dem Thore der Stadt spazieren ging, von einem der Ritter, welche ihre Raubnester in der Nähe des Rheines hatten, entrissen worden. Vergebens bot der unglückliche Vater ein für seine Vermögensverhältnisse hohes Lösegeld, vergebens wandte er sich an die kaiserlichen Beamten und au die Stadtbehörden um Hilfe. Was vermochten diese in jenen Zeiten des Faustrechts gegen solche Landesplagen, auch wenn sie den ernsten Willen gehabt hätten, einem verachteten Juden beizustehen? Da hörte der verzweifelnde Vater von der Anwesenheit des fremden Bischofs, der in der kurzen Zeit seines Aufenthaltes in Mainz sich durch seine Menschenfreundlichkeit einen guten Namen erworben hatte; auch hatte der Greis ihn einst iu Mainz durch die Stadt fahren sehen und es auf seinem Angesichte gelesen, daß er bei ihm nicht vergebens Hilfe suchen würde. Er ließ sich daher eine Bittschrift anfertigen, welche