seine Leidensgeschichte erzählte, und nahm die Gelegenheit wahr, durch eine Verzweiflungsthat die Aufmerksamkeit des Mannes auf sich zu ziehen. Der Erfolg rechtfertigte sein Wagniß. Der Bischof reichte nach Beendigung des Durchlesens dem Rabbi die Hand, welche dieser tiefgerührt an seine Lippen führte, und versprach, daß er sich seiner Sache annehmen werde. Er hielt Wort. Durch seinen Einfluß am Hofe des Erzbischofs war er binnen kurzer Zeit im Stande, die Auslieferung der Jungfrau zu erlangen und sie ihrem Vater zuzustellen.
Diese Handlung gewann ihm die Herzen aller Juden. Die That des christlichen Bischofs ging von Mund zu Mund, und der Name des Bischofs wurde den späteren Geschlechtern als der eines Freundes Israels überliefert. Eine Zeit lang wurden Fürbitten für sein Wohlergehen in allen Synagogen veranstaltet.
Die Tochter des Rabbi kam sofort nach ihrer Befreiung in Begleitung ihres Vaters zu dem Bischof, um ihm zu danken. Wohlgefällig ruhte das Auge des jungen Prälaten auf den schönen Zügen der Jungfrau, die den Typus ihres Stammes in seinen edelsten Formen darstellten. Auf ihre schüchtern gestammelten Dankesworte erwiderte der Bischof in freundlicher Weise und, seines Amtes eingedenk, wies er sie auf den Messias Israels hin und äußerte den Wunsch, daß sie den Heiland der Welt anerkennen und den wahren Glauben annehmen möchte. Die Jungfrau wich einer bestimmten Antwort aus, indem sie ihre Dankesworte in noch nachdrücklicherer und wärmerer Weise, als sie es bei ihrer anfänglichen Verlegenheit gethan, wiederholte. Als aber der Bischof fortfuhr, ihr die Annahme der christlichen Religion eindringlicher zu empfehlen, da flammte eine Röthe der Scham und des Unwillens auf ihrem Antlitze auf, und die sonst so schüchterne Jungfrau fand den Muth, dem hohen Würdenträger ihre Weigerung unumwunden auszusprechen, indem sie ihre Gründe angab. Sie sprach zuerst mit Wärme und Begeisterung von dem hohen Alter und den Vorzügen ihres Glaubens, und dann, kühn zur Offensive übergehend, griff sie die Mängel der römischen Kirche schonungslos an und legte ihre Gebrechen an den Tag, besonders ihre Verfolgungssucht und ihren Bilderdienst. Und als der Bischof mit Unwillen das Gesicht wegwendete, warf sie sich ihm zu Füßen, und seine Knie umfassend rief sie mit tiefem Schmerz und von Thränen überströmend aus:
„O vergib, hoher Herr und edler Wohlthäter, daß ich mich von meinem Eifer weiter fortreißen ließ, als es sich ziemte Dir gegenüber! Wende Dein Antlitz nicht von Deiner Magd und entziehe ihr nicht Dein Wohlwollen, die gern bereit ist, ihr Leben, das Du vor Elend und Schande bewahret hast, Dir als die niedrigste Deiner Mägde zu weihen. Es lag nicht in meiner Absicht, Deinen Gefühlen nahezutreten, nicht Den zu beleidigen, für den ich gern meinen letzten Blutstropfen opfern würde. Ich wollte nicht gegen den Glauben reden, der sich in solchen edlen Werken, wie die Deinen es sind, offenbart, sondern nur gegen den, dessen bittere Früchte mein Volk seit Jahrhunderten gekostet hat. Handelten alle, die den Namen Jesu bekennen, wie Du, wer könnte sich gegen diesen Namen auflehnen oder sich seinem Einfluß entziehen? Was wir aber und unsere Väter bis jetzt von den Bekennern dieses Namens erfahren haben, ist wahrlich nur dazu geeignet, uns ihm immer mehr zu entfremden. Du allein, hoher und edler Herr, machst unter tausenden eine Ausnahme, und ich fühle es," führ sie, durch sein Schweigen kühner gemacht, mit Begeisterung fort, „ja eine innere Stimme sagt es mir, daß Du uns näher stehst, als alle anderen Deinesgleichen. Dein Name wird einst," fuhr sie mit immer steigender Extase fort, „unter Gottes Auserwählte gezählt werden, wenn das jetzt verachtete und in den Staub getretene Volk Gottes den Platz einnehmen wird, der ihm von dem Heiligen, gebenedeiet sei Er, bestimmt ist."
Wohl hätte der Bischof ihr entgegnen können, daß ihre Einwendungen gegen die Handlungsweise einzelner Christen, die Wahrheit der Thatsachen und der göttlich erhabenen Lehren des reinen Christenthums, wie sie im Evangelium enthalten sind, durchaus nicht herabsetzen können; wohl hätte er sie auf
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die sich selbst für sein Volk opfernde Liebe des Heilands und die in ihm erfüllten Weissagungen von dem schuldlos Durchbohrten Hinweisen können. Da er aber selbst, trotz seiner großen Gelehrsamkeit und seines von Natur edlen Gemüths von der reinen evangelischen Lehre selbst wenig wußte, obwohl er sie unbewußt übte, mußte er das Unhaltbare seines Standpunktes, der sich auf die Autorität der Kirche stützte, einigermaßen selbst einsehen, so daß er nur noch einige schwache Versuche der Abwehr machte, welche wie stumpfe Pfeile wirkungslos abprallten.
Bald nach dieser merkwürdigen Unterredung riefen ihn wichtige Geschäfte nach Rom zurück, wo er bei den damaligen Zwistigkeiten zwischen dem Kaiser und dem Papste von diesem zur Mittelsperson wichtiger Verhandlungen ersehen war. Dort nahmen die Angelegenheiten seines Gönners Gregor VII ihn dermaßen in Anspruch, daß er den Rabbi, dessen Tochter und die Juden überhaupt aus dem Gesichtskreise verlor.
Der Streit zwischen Gregor VII und Heinrich IV nahm immer größere Dimensionen an, bis schließlich der Kaiser, von den Fürsten Deutschlands im Stich gelassen, nicht mehr im Stande war, dem hochmüthigen Priester die Spitze zu bieten, und seine tiefe Demüthigung mit der schimpflichen Tragikomödie auf dem Schlosse zu Canossa ihren vorläufigen Abschluß fand. Unser Desiderius soll als Kardinal-Staatssekretär an der Seite des Papstes gestanden haben, als Heinrich, nachdem er drei Tage lang im Büßerhemde auf Einlaß hatte warten müssen, endlich halberstarrt vor Kälte dem Nachfolger Petri, dem „Knechte aller Knechte", zu Füßen fallen mußte, um vom Kirchenbanne befreit zu werden.
Doch der Rückschlag sollte bald folgen. Die zu hoch gespannte Saite mußte springen. Das übermüthige Gebahren des Statthalters Christi hatte den Fürsten Deutschlands über die gemeinsame Gefahr die Augen geöffnet. Den Uebergriffen des römischen Pontifex mußte um jeden Preis Einhalt gethan werden; dies sahen sie klar ein. Der Sieg Gregors über den Kaiser, den er bis aufs äußerste ausgebeutet, verschaffte dem Kaiser wieder Anhänger unter den Fürsten, die über die Behandlungsweise, die ihm widerfuhr, empört waren, so daß er dann seinerseits den Papst züchtigen und ihm die Schmach, die er ihm angethan, heimzahlen konnte. Er setzte Gregor ab und berief einen andern Papst, Clemens III, auf den Stuhl Petri, und der hochmüthige Mann, vor dem sich alles hatte beugen müssen, mußte seine Tage im Exil beschließen, wo er, seinen geistlichen Hochmuth selbst im Tode bewahrend und der Sache, für die er lebte und kämpfte, bis zum letzten Athemzng getreu, mit den Worten: „Oiloxi so.8titig.iQ, 6t ocki inic^itgtom; pro- xtsrsg Qiorioo in sxilio," (Ich habe die Gerechtigkeit geliebt und das Böse gehaßt; deshalb sterbe ich in der Verbannung) seinen Geist aushauchte.
Aus dem Conclave, welches die Partei des Papstes nach dem Tode Gregors abhielt, ging der Kardinal Adam Desiderius „als der erwählte Nachfolger Petri" unter dem Namen Viktor III hervor. Er behauptete sich auch eine Zeit lang gegen den Gegenpapst Clemens III, aber die Hoffnung der Curie, daß er, auf den der Mantel jenes großen Kämpen für das Patrimonium Petri gefallen war, auch im Geiste desselben das Werk weiter führen, und die Unterwerfung der weltlichen Macht unter die der Kirche vollenden werde, sollte eine arge Täuschung erleiden; denn Victor III, obwohl früher ein eifriger Anhänger Gregors, zeigte, seitdem er Papst geworden, keine Neigung, in die Fußtapfen seines Vorgängers zu treten. So lange Gregor lebte, hatte er aus persönlicher Anhänglichkeit die hochstrebenden Pläne seines Gönners mit allen seinen Gaben und Kräften eisrigst gefördert und unterstützt. Mit dem Tode seines Beschützers jedoch schwand sein Interesse an den von seinem Vorgänger angeknüpften Verbindungen und Machinationen, er führte sie nur insoweit fort, als es nöthig war, um sich auf dem päpstlichen Stuhle zu behaupten.
Obwohl an dem Ziele angelangt, welches von allen, die sich der Kirche weihen, als das höchste betrachtet wird, und eine Stellung einnehmend, in der er von Königen und Fürsten, umworben ward, fand er in seinem Innern doch keine rechte