Heft 
(1878) 35
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Befriedigung. Als seine amtlichen Anstrengungen sich vermin­derten, erwachten wieder die früheren Erinnerungen. Die ^ dunkele Zeit seiner Kindheit, die wie ein Nebelbild vor seinem I Geiste auftauchte, so wie die einst vernommenen Worte der be­geisterten jüdischen Jungfrau ließen ihm keine Ruhe. Ein un- i widerstehlicher Trieb, der ihn immer von neuem zu dem von I aller Welt verachteten jüdischen Volke hinzog, bedeutete ihn, daß er bei jenem Volke allein den Schlüssel zu dem Räthsel seines Doppelwesens finden werde.

Konnte aber schon früher der Bischof in Mainz dies nicht gut bewerkstelligen, wie viel weniger der höchstgestellte heilige Vater, den zu allen Zeiten ein Gefolge von Kardinalen und anderen Würdenträgern, wie ein Schwarm von Priestern und ! Mönchen umgab?

Als er noch darüber grübelte und auf einen Ausweg sann, da wird ihm eines Tages gemeldet, daß ein Mönch aus Deutsch­land sich in einer wichtigen Angelegenheit Audienz bei ihm erbitte. Als dieser vorgelassen wird, entdeckt er dem Papste, was er einst unter dem Siegel des Geheimnisses erfahren, nämlich, daß er, der jetzige Nachfolger Christi, von jüdischen Eltern aus der Stadt Mainz herstamme. Der greise Mönch ! war zur Zeit, als Adam Desiderius das Seminar zu Würz-

! bürg besuchte, als Lehrer daselbst angestellt, und hatte von dem

! Vorsteher der Anstalt kurz vor dessen Tode erfahren, daß der

damals vielversprechende Zögling der Sohn eines berühmten ! Rabbi zu Mainz sei. Weiteres aber wußte auch der Mönch

^ nicht mitzutheilen, da der einzige, der darüber Aufschluß hätte

! geben können, Pater Ambrosius, längst verstorben war. Der

Papst aber beschloß, diese Spur weiter zu verfolgen, und ver­fiel endlich auf folgendes Mittel. Er ließ durch den Erzbischof von Mainz an die Judengemeinde dieser Stadt,eine der i ältesten, und wegen der gelehrten Rabbis, die seit Jahrhun­derten an ihrer Spitze standen, berühmtesten in Deutschland", s die Aufforderung ergehen, sie möchten aus ihrer Mitte eine

Deputation nach Rom entsenden, um dort mit einigen christ­lichen Theologen, die der Papst bestimmen werde, eine Dis­putationüber die Unterschiede zwischen der jüdischen und der christlichen Religion" abzuhalteu. Solche Aufforderungen waren damals in Italien, Spanien und anderwärts nichts Ungewöhn­liches. Dennoch erregte diese plötzliche Aufforderung bei den Juden Besorgniß. Denn gar oft war eine solche Aufforderung blos eine Falle und ein Vorläufer von allerlei Schlimmem. Und da zumal solche Religionsgespräche auch in den besten Fällen, wenn sie nicht mit ganz besonderer Vorsicht und großem Takte von Seiten der Juden geleitet wurden, mit verhängnißvollen Folgen drohten, mußten die Juden in der Wahl ihrer Vertreter äußerst vorsichtig sein. Sie wählten immer die weisesten und bewährtesten ihrer Rabbis und zwar solche, die auch mit welt­lichen Kenntnissen ausgerüstet waren. Von christlicher Seite ging man oft nicht mit gehöriger Klugheit zu Werke. Manch­mal waren die Vertreter des Christenthums junge theologische Heißsporne oder eben erst übergetretene Konvertiten, die ihres jüdischen Wissens halber sich dieser Aufgabe gewachsen hielten. Es geschah nicht selten, daß diese bei der Gewandtheit ihrer Gegner den kürzeren zogen, und dann in Hitze gerathend, ihre gute Sache durch beleidigende Ausfälle und Schmähungen voll­ends zu Grunde richteten, indem sie die Juden dem wahren Glauben, den sie so schlecht verteidigten, immer mehr ent­fremdeten. Diesmal aber sollten die Juden es mit einem ge­wandten und nicht unerfahrenen Gegner zu thun haben mit dem Papste selbst.

Wie dieser es vorausgeahnt zu haben schien, wurde der greise Rabbi Simeon der Große von Seiten der Juden dazu ausersehen, den Kampf aufzunehmen, und zwei jüngere aber sehr tüchtige jüdische Gelehrte waren ihm als Beistand bei­gegeben. In allen Synagogen aber wurden, wie es immer in solchen Fällen geschah, Fasten und Gebete angeordnet, daß der Gott Israels der Sache einen guten Ausgang verleihen und alle schlimmen Folgen in Gnaden abwenden möge.

Als die Deputirten in Rom anlangten, wurden sie von dem Papste freundlich ausgenommen. Er ließ ihnen in seinem eigenen Palaste eine Wohnung anweisen und stellte ihnen eine

Anzahl jüdischer Diener zur Verfügung, gab auch Befehl, daß ihnen niemand in der Beobachtung ihrer rituellen Gebräuche hinderlich sein sollte. Nachdem sie von den Strapazen der Reise sich erhylt hatten, ließ der Papst den Rabbi Simeon allein zu sich bescheiden. Er unterhielt sich mit ihm aufs leutseligste, und richtete an ihn allerlei Fragen über seine häuslichen Ver­hältnisse. Die Antwort des Rabbi lautete ähnlich wie die des Patriarchen Jakob an Pharao. Er erzählte die mannigfachen Schicksälsschläge, die ihn betroffen, unter anderem das Schwerste, was ihm zugestoßen das unerklärliche Verschwinden seines einzigen hoffnungsreichen Kindes. Die Vermuthung, daß nie­mand anders als er selbst dieser verschwundene Sohn sei, ge­wann beim Papste immer mehr an Wahrscheinlichkeit, und diese steigerte sich fast zur Gewißheit, als der Rabbi ihm noch man­ches Einzelne über die Begebenheit mittheilte. Doch ließ er sich vorläufig nichts davon merken.

Er ging zunächst auf die Angelegenheit über, wegen welcher er den Rabbi zu sich entboten hatte. Der Rabbi hätte gern sich seine beiden Gehilfen zur Seite gewünscht, und suchte einem religiösen Gespräche auszuweichen, doch als der Papst ihn ver­sicherte, daß es nur eine vorläufige Privatunterhaltung sein sollte, fügte sich Rabbi Simeon. Der Papst führte alle Streit­kräfte seiner großen Gelehrsamkeit ins Feld und setzte den Rabbi durch sein vielfältiges Wissen, wie durch seinen Scharf­sinn in Erstaunen, während er ihm zugleich durch die liebe­volle Weise, mit der er ihn während des ganzen Gesprächs behandelte, und die sanfte eindringliche Beredsamkeit, die er anwandte, um ihn für die Kirche zu gewinnen, das Herz be­wegte. Der Rabbi fühlte sich wie noch nie zuvor in die Enge getrieben. Weil aber sein Gegner zu sehr in den Kirchen­traditionen und Heiligenlegenden befangen, und um so weniger in der heiligen Schrift begründet war, gelang es dem alten erfahrenen Rabbi, die Blößen, die er sich gab, zu erspähen und die Keile seiner Logik hineinzutreiben. Er widerlegte die mangelhaften Beweisführungen, und schließlich mußten des Pap­stes scholastische Argumente vor der schneidigen Kritik und sogar der satirischen Lauge des kühn gewordenen Rabbi die Segel streichen.

Der Papst brach die Unterhaltung ab unter dem Vor­geben, daß sie beide der Erholung bedürften, um sie, wie er sagte, am folgenden Tage wieder aufzunehmen. Inzwischen forderte er den Rabbi auf, eine Partie Schach mit ihm zu spielen. Auch hierin waren die beiden Gegner einander ziem­lich gewachsen; doch auch hier schien es, als ob die Ueberlegen- heit des Rabbi schließlich den Sieg davon tragen werde, denn er hatte mit meisterhafter Taktik seines Gegners rechten Flügel so eingeengt, daß er, um sich Luft zu verschaffen, eine wichtige Figur darangeben mußte; aber, wie einer plötzlichen Eingebung folgend, that der Papst einen Zug, der den Stand der Partie vollkommen änderte und in wenigen Zügen den Sieg, den der Rabbi schon in Händen zu haben glaubte, in eine vollständige Niederlage verwandelte. Der Rabbi sprang auf, taumelte hin und her und brach schier zusammen. Bleich, sprachlos und am ganzen Leibe zitternd stand er dem Papste gegenüber; auch dieser schwieg in Ahnung des Kommenden endlich schrie der Greis, in einen Thränenstrom ausbrechend:

Mein Sohn! Mein Sohn! Mein lang verlorener, tief beklagter Sohn Elchanan! Du List es und kein anderer. An diesem Schachzuge erkenne ich Dich; denn ich selbst habe ihn Dich als Kind gelehrt. O, daß ich Dich hier erblicken muß!"

Hier stockte seine Stimme. Auch der Papst stand über­wältigt da und brachte kein Wort über seine Lippen. Wie auf Verabredung fielen sie sich um den Hals und weinten. Eine halbe Stunde ungefähr wurde nichts gehört als ihr Schluchzen. Endlich fand der Rabbi die Sprache wieder. Mit aller Beredsamkeit eines um die Seele des geliebten Kindes ringenden Vaters stürmte er auf den tief erschütterten Sohn ein. Er schilderte ihm mit flammenden Zügen die teuflische Bosheit und Heimtücke, durch die er den elterlichen Armen ent­rissen worden sei, und die Mittel, welche angewandt worden, um ihn dem Glauben seiner Väter zu entfremden. Die er­wachenden Erinnerungen des Papstes bestätigten des Vaters