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Der Stapellauf der Panzer-Csrvette „Daiern".
Unsere Flotte ist ein Schoßkind der Nation; vielleicht weil alles, was den Pygmäenkanipf gegen die unermeßliche Kraft des Meeres anf- zunehmen wagt, vom sagenreichen Zauber der Romantik nmwoben ist; vielleicht weit der Begriff der Machtentfaltnng sich nicht imposanter verkörpern kann, als in den schwarzen eisenstarrenden Leibern eines Geschwaders, wenn die Anker fnnkensprühend in die Tiefe rasseln, oder wenn eine Wolke weißer Segel sich bläht, wo im Augenblicke vorher noch das Spinnengewebe von Tauwerk sich gegen den Himmel abzeich- ncte, oder gar, wenn aus den Geschützpforten Feuerströme aufflammen, Rauchwolken sich ins Unendliche dehnen und hundertfacher Donner von Ufer zu Ufer rollt!
Am 13. Mai d. I. ist wieder ein Glied geboren dieser buntscheckigen Familie, welche ihren Stammesnamen bildlich an den Gaffeln führt, die Panzer-Corvette „Baiern", und wie der Name sagt, daß unter dem Schutze des Reichsadlers im Mittelfelde sich die Stämme des Vaterlandes zur gemeinsamen Wehr einigen, „Preußen", die thurm- bcwehrte Fregatte, „Sachsen", das Schwesterschiff, „Baiern", der neue Täufling, und die noch unbekannten Größen 0, I) und bl der Schiffslisten, so hat das geeinigte Vaterland als Taufzeugen die Männer gesendet, welche an anderer Stelle selbst am Baue der Einigkeit arbeiten.
Vor zehn Jahren, an einem weniger sonnigen Maitage des Jahres 1868, war das erste deutsche Zollparlament einer Einladung der norddeutschen Marineverwaltung gefolgt, den Kieler Hafen in Augenschein zu nehmen. Diesmal war das Vaterland weniger zahlreich vertreten in den 35 Herren vom Bundesrathe und Reichstage, aber gewiß kraftvoller als damals. Und was sie diesmal sahen von unseren maritimen Schöpfungen, war mehr, als vor einem Dezennium die Phantasie wagen durfte, und es war zugleich eine Thal, welche sie beim Scheiden reicher machte, als beim Kommen: unsere Flotte zählte ein Schiff mehr!
Ein Extrazug brachte in später Abendstunde die Gäste von Lübeck; die alte Hansestadt hatte als Erquicknngsstation mit ihrer festlichen Be- wirthung eine lange Eisenbahnfahrt angenehm unterbrochen, aber in Kiel angekommen, mochte die Sehnsucht nach Ruhe doch Wohl gewaltiger sein, als die Freude an dem solennen Zapfenstreich und der militärischen Eskorte, Dinge, welche jedenfalls nicht zu den gewohnten Ehren für einen Reichsboten gehören. Das Programm des folgenden Tages gab den Gästen mannigfache Gelegenheit, die geräumigen Ufer der Kieler Bucht zu besichtigen. Der Anfang wurde mit den Werftanlagen bei Ellerbeck gemacht, dem weltbekannten Räucherorte des Kieler Sprotts. Dann beförderte die kaiserliche Jacht „Grille", zur Feier des Ereignisses mit besonders schön gelb gemaltem Schornsteine, die Gäste nach Friedrichsort, der Seefestung, welche den Eingang der Kieler Bucht schließt, und hier war ihnen, nach einer Besichtigung der Befestigungen, das für Sterbliche seltene Schauspiel anfbewahrt, eine Torpedv- nbung ernsthaften Stiles zn erleben. Was der Torpedodampfer „Ziethen" und das Kanonenboot „Skorpion" mit Fischtorpedos und Lanzirapparaten an Exerzitien leisteten, bot des Interessanten sicherlich genug, aber es fehlte die Möglichkeit, sich von dem Erfolge solcher Ucbungen für den ernsthaften Gebrauch richtige Vorstellungen zu machen; dagegen wird es für die Zuschauer ein unvergeßlicher Anblick bleiben, als ein dumpfer Knall und eine himmelanstrebende Wassersäule von kolossalster Ausdehnung die Stelle wiesen, an der im Augenblicke vorher der respektable Holzbau eines ausrangirten Kanonenbootes lag, bestimmt, von den 70 Kilogrammen gepreßter Schießbaumwolle einer auf elektrischem Wege vom Land aus entzündeten Seemine in die Luft gesprengt zu werden. Der Versuch glückte so vollkommen, daß nichts als unzusammenhängendcs Trümmerwerk in dem kreisenden Wasser die Stelle des Ereignisses verrieth.
Eine Fahrt in See und ein flüchtiges Dejeuner füllten die Pause bis zu dem Glanzpunkte des Tages: dem Stapellauf. Daß es an festlichen Vorbereitungen hierzu nicht gefehlt hat, an der Entfaltung militärischen Glanzes und an der zuschauenden Volksmenge, an einer- ganzen Flotte von Fahrzeugen aller Art, welche den Hafen bedeckten und an einem Walde von Fahnen, die lustig im Winde flatterten, ist selbstverständlich; im übrigen gehört eine Feier dieser Art zu den Annehmlichkeiten des Lebens schon deswegen, weil sie durch ihre bewunderungswürdige Kürze imponirt: eine Rede von zwei Minuten, der Moment des Zcrschellens der traditionellen Champagnerflasche, vielleicht noch ein paar Hammerschläge, aber nur eine Minute lang, dann die letzte große That des leitenden Ingenieurs — und der stolze Ban gleitet unter tausendstimmigem Hnrrah zn Wasser!
Die Zeitungen haben es verkündet, daß der Vicepräsident des Reichstages, Freiherr von Stauffenberg, die Taufrede gesprochen hat, und wenn es schon anerkanntermaßen eine Kunst ist, mit wenigen Worten viel zu sagen, so verdient es diese jüngste der Taufreden, vor mancher, länger zn leben, als der Tag. Der Redner sprach: „Vom Fels zum Meer, wie der stolze Wahlspruch unseres Kaiserhauses lautet, vom Fels zum Meer sind die Abgeordneten aus allen deutschen Gauen erschienen, um in diesem symbolischen Akt die Sympathien des deutschen Volkes für seine Marine zn bekunden. Es war ein tiefer und bedeutungsvoller Zug der Zeit, daß immer die Sehnsucht nach Einheit auch in der kaiserlosen Zeit sich mit der Sehnsucht nach der deutschen Flotte eng verbunden hatte. Und deshalb soll dieses Schiff den Namen tragen des tapfern und treuen Baiernstammes, damit es bekunde, daß auch fern am Fuße der Alpen Herzen schlagen, welche eine treue und warme Sympathie haben mit der Machtentfaltung Deutschlands zur See. Und
so taufe ich dich im Aufträge Seiner Majestät des Kaisers: „Baiern!" Ich übergebe dich deinem Element. Trage deine stolze Flagge, die Flagge Deutschlands, rühm- und siegreich mit Gottes Hilfe durch alle Meere!"
Solange ich selbst ans den Vorzug warten mußte, einem Stapellauf beizuwohnen, hat der Gedanke meine Phantasie beschäftigt, wie es möglich ist, einen Schiffsbau, dessen Gewicht nach tausenden von Centnern zählt, der Jahre hindurch unverrückt ans seiner Stelle verharrte, im gegebenen Momente von einer einzigen schwachen Menschenhand zum Niedergleiten zu bewegen. Wer bedenkt, daß das Schiff auf seinem Kiele wie das Messer ans der Schneide balancirt und während der Fahrt zu Wasser durch kein tragendes Element aufrecht gehalten wird, nimmt vielleicht so viel Interesse an der Sache, um einer Beschreibung des Vorganges zu folgen.
Der Helling, auf dem die Schiffe gebaut werden, ist an sich eine schwach geneigte Ebene, welche allmählich in das Wasser des Hafens verläuft, aber in einiger Wassertiefe durch ein Schleusenthor abgeschlossen wird, um Sicherheit gegen hohe Fluten zn bieten und gelegentlich leer gepumpt zu werden. Auf den Helling wird zunächst eine Holzbahn von einigen Fuß Breite gelegt, bestimmt, auf seinem Hinteren Theile den Ban zn tragen und nach vorn in das Wasser hinab dem Schiffe künftig einmal den Weg zn weisen. Auf diese Holzbahn wird der Kiel gelegt, aber am Bug und Heck (vorn und hinten) wird er sogleich durch ein massives Zimmerwerk verstärkt, das die Breite der Holzbahn erreicht und an den Rundungen des Schiffes eine breitere Basis bietet. Wenn sich nun mit fortschreitendem Bau die Seiten des Fahrzeuges über den Kiel ausdehnen, wäre dies breitere Zimmerwerk der Schlitten, wie ihn die Techniker nennen, schon allein im Stande, den Bau im Gleichgewicht zu halten, aber zur größeren Sicherheit werden zahlreiche Stützbalken angebracht und ein engmaschiges Rüstwerk verhüllt fast, was inmitten dieses Holzbaues entsteht. Für den Stapellauf ist natürlich das ganze Beiwerk niedergelegt, noch in der letzten Stunde fallen die letzten Stützbalken, und das Schiff würde vergeblich versuchen, in freier Luft auf seinem Kiel zu balanciren, wenn nicht der breitere Schlitten eine solidere Tragfläche böte. Aber da alles auf einer schiefen Ebene ruht, so muß Vorsorge getroffen werden, daß das Schiff nicht vor der Zeit ins Gleiten geräth, und für diesen Zweck hat der Schlitten am Vordertheile des Fahrzeuges (cs ist bestimmt, rückwärts zn Wasser zn gehen, weshalb das Heck seewärts und der Bug landwärts schaut) jederseits einen winkeligen Einschnitt, in welchen, der Schwerkraft entgegen wirkend, je ein Balken eingestemmt ist. Das freie Ende dieser sogenannten Schlaghölzer ist nicht gegen die Erde gestützt, sondern es wird, nachdem der Balken in seiner Milte auf solider Unterlage um seine Axe drehbar gemacht ist, nach vorn und hinten mit starken Trossen vertäut und wartet in dieser neutralen Verfassung der Dinge, die da kommen sollen. Die beiden Trossen spannen das Schloßholz gerade so, daß es, in den Einschnitt des Schlittens gepreßt, das Schiff fcsthält; wird die eine der Trossen durchschnitten, so schnellt der Balken unter der spannenden Kraft der anderen aus seinem Einschnitt, und nichts hindert das Schiff mehr, auf seiner Holzbahn abwärts zn gleiten. Da nun die Neigung des Hellings niemals so stark sein darf, daß die bloße Schwerkraft das Schiff unbedingt in Bewegung setzen müßte, zumal, wenn die Unwetter mehrerer Jahre den Kiel fest auf seine Unterlage gekittet haben, so wendet man kleine Aufmunterungen an, indem man durch Eintreiben zahlreicher Holzkeile den Kiel ein Weniges von seiner Unterlage lüftet und den freien vorderen Theil der Holzbahn mit einigen Centnern schwarzer Seife willfähriger macht. Der entscheidende Moment wird in folgender Weise herbeigeführt: Die beiden Trossen, welche die Schloßhölzer gegen den Schlitten gepreßt halten, führen durch Galgen, in deren Höhe schwere Fallbeile hängen; diese Instrumente sind an dünnen Leinen befestigt, welche von rechts und links kommend, über dem scharfen Bug des Schiffskörpers zusammengeknüpft sind. Wenn das Schiff ablaufen soll, setzt der Ingenieur einen Spatel ans diese Leinen und trennt sie mit einem Schlag der Hand; rechts und links zischen die beiden Fallbeile nieder und durchschneiden die spannenden Trossen; die Schlaghölzer, nur noch einseitig angezogen, schlagen polternd ans den Einschnitten des Schlittens, und im gleichen Moment gleitet der Bau mit schnell wachsender Geschwindigkeit zn Wasser. Das Heck wühlt sich tief in die Wogen ein und schiebt einen Berg wallenden Wassers vor sich her, die Holzbahn raucht unter der gewaltigen Reibung, dann hebt das Wasser den Ban, und die gequetschten Hölzer des Schlittens am Bug splittern auseinander, dann strömt die Flut heftig zurück in den verlassenen Raum und draußen klirrt ein Anker in die Tiefe: das Werk ist gethan!
Auch am 13. Mai war es damit abgethan; daß sich ein feierliches Diner an Bord der Kriegsschiffe „Friedrich der Große", „Arcona", „Preußen" und „Niobe" anschloß, war nicht mehr als billig, und gehört, von dem Schauplatze abgesehen, nicht gerade zu den seltenen Ereignissen für einen Reichsvertreter. Am nächsten Morgen entführte die „Grille" die Gäste nach Wismar. Bernhard Wagen er.
Inhalt: Elchanan, eine jüdische Papstsage. (Schluß.) Von I. G. Händler. — Der letzte Schmuck. Zn dem Bilde von Geertz. — Eine Villegiatur in Rußland. Von M. Calm. — Bismarck im Lichte der Geschichte. — Eine merkwürdige Postreise. Von Arnold Friedrich. — Vor dem Sturm. (Fortsetzung.) Roman von Theodor Fontane. — Der Herr Gemeindevorsteher. Zn dem Bilde von Eggert. — Der Stapellauf der Panzer-Corvette „Baiern". Von Bernhard Wagener.
Herausgeber: vr. Aobert Aoenig und Theodor Kerman» Santenius in Leipzig. Für die Redaktion verantwortlich Kilo Ktastng in Leipzig. Verlag der Itaheim-Expedition (Sethagen L Ktastng) in Leipzig. Druck von U. H. TenSner in Leipzig.