Heft 
(1878) 35
Seite
567
Einzelbild herunterladen

567

aschgraugekleidete Männchen, und beide Vögel erheben sich Kreise über uns beschreibend bis zu schwindelnder Höhe. Um uns her aber sind Plötzlich alle Vogelkehlen verstummt. Wenn Räuber und Mörder über uns ihr Wesen treiben, ist uns wahrlich auch nicht wie singen und lachen zu Muthe.

Beim Weiterschreiten kommen wir auf einen ebenen trockenen Platz von fünf bis sechs Fuß Durchmesser, auf welchem das Gras vollständig niedergetreten ist. Wir heben ein paar der verstreut umherliegenden Federn auf und erkennen sie als dem Kampfläufer (Llaobet68 MAimx) zugehörig. Nun wird uns klar, wo wir sind. Wir befinden uns auf einer Kampfstätte, einem Duellplatze dieses genannten Vogels. Auch in ausgedehnten Sümpfen erwählen sich die Kampfläufer meistens blos einen einzigen Platz für ihre Zweikämpfe und, da sie nicht durch feinspürende Pedells gestört werden, benutzen sie dieselben viel­leicht Jahrhunderte hindurch. Wir sind nun zwar nicht als Pedells gekommen, aber doch finden wir, wie es jenen auch oft geht, das Nest leer, denn ehe wir noch eine Ahnung von dem Vorhandensein des Kampfplatzes hatten, wurden wir auch ohne zur Wache ausgestellte Füchse bemerkt, und schnell und ungesehen flogen die Duellanten aus. Der Kampfläufer ist ein merkwürdiger Vogel, nicht ganz von der Größe eines Kibitz, aber mit langen Beinen versehen. Das Weibchen geht un­scheinbar bräunlich Heller und dunkler gefleckt einher, das Männ­chen dagegen trägt sich sehr aufrecht und ganz martialisch, dabei zeigt es die verschiedensten Farben. Manche sind braun, manche rostroth, manche violet, manche hellgelb, manche grünglänzend, manche schwarzgebändert, manche weißgebändert auf verschieden gefärbtem Grunde, kurz selten ist ein Männchen dem andern gleich. Im Frühjahre wachsen demselben um den Hals herum mächtig lange Federn, welche eine große Krause bilden und sich etwas nach innen krümmend die Brust gleich einem Schilde bedecken; zu gleicher Zeit wächst um Stirn und Augen herum ein gelber horniger Schuppenpanzer. Beides, Krause und Panzer, machen die Binden und Bandagen beim Duelle aus; als Waffe des Angriffs dient der lange Schnabel.

Nachdem die Thiere im Frühjahre von ihrem feuchten Daheim Besitz genommen, beginnen auch sofort die Kämpfe, die sie täglich mit Passion sortsetzen. Kaum hat sich die Sonne über den Horizont erhoben, so kommt solch ein kleiner Rauf­bold zum Kampfplatz geflogen. Er findet denselben noch leer, brüstet sich, schüttelt sich, sträubt die Federn und kann vor Un­geduld kaum die Zeit der Ankunft des Gegners erwarten. Dieser stellt sich alsobald ein, und die Zurüstungen zum Kampfe be­ginnen. Beide Duellanten stellen sich in geduckter Stellung mit vorgestreckten Schnabelrappieren einander gegenüber und messen sich mit möglichst fürchterlichen Blicken und unter drohen­den Geberden. Das Paukfieber bleibt nicht aus und sie zittern vor innerer Erregung, daß die Federn wackeln. Endlich springen sie voller Wuth auf einander los, schlagen, rupfen, hauen und stechen sich bis zur Ermüdung, worauf sie sich einige Zeit zurückziehen, um nach kurzer Rast den folgenden Gang zu be­ginnen rc. Während dessen haben sich noch zwei oder drei Paare Kämpfer eingefunden, jeder Duellant behält seinen Gegner fest im Auge und es herrscht ein reges Kampfleben aus dem kleinen Platze. Sind die Streiter müde, so stieben sie ab nach Hause zur einst erstrittenen Gattin, wo sie meist unverwundet

anlangen, denn ihre Schnäbel sind so weich und biegsam, daß sie einander gar nicht verwunden, sondern sich höchstens einige Federn ausraufen können. Possierlich ist es, wenn einer, der sich eine Blöße gab, von dem andern an der Zunge erfaßt und ein paarmal um den Kampfplatz herumgeschleift wird wie weiland Hektors Leichnam von Achill vor Troja. So­bald die ehelichen und häuslichen Sorgen beginnen, hören die Duelle auf, und im Spätsommer fliegt die ganze Gesell­schaft weg in die Ferien ans mittelländische Meer, woher sie erst im nächsten Frühjahrssemester wiederkehrt, um die Kämpfe von neuem zu beginnen.

Fahren wir in unserer Wanderung fort, so stoßen wir noch auf gar manchen interessanten Vogel, von dem wir, wenn es uns der Raum gestattete, gern noch ausführlich berichteten. Hier ist der geeignete Ort für den langbeinigen Adabar, seiner Mord- und Zerstörungslust nachzugehen und neben dem quakendenPoggenkanter" so manches Ei, manches junge Vögel­chen in den weit dehnbaren Schlund zu versenken. Hier treibt im hohen geschossenen Rohrwalde am Abzugsgraben das laute Rohrsängervölkchen, welches man weithin hört aber selten zu Gesicht bekommt, sein geheimes Wesen. Hier baut, wenn auch die große brüllende Rohrdommel schon vertrieben sein sollte, wenigstens noch die kleine Rohrdommel an der schilf­umwachsenen Lache ihr hübsches Nest und legt ihre sechs weißen Eier hinein; hier begegnen wir aus den Lachen und Gräben den kleineren und größeren Wildenten, welche vielleicht schon ihre grüngelbe Jungenherde schnatternd und quakend auf Atzung ausführen und sich bei unserer unvermutheten Annäherung krank und lahm stellen, um uns zu verleiten, ihnen zu folgen und die liebe kleine Familie unbeachtet zu lassen. Ja, ist der Sumpf von großer Ausdehnung und kommen in demselben Strecken vor, über welche uns auch die besten Wasserstiefel nicht tragen, weil der Morast beim Betreten über unserem Haupte zusammen­schlagen würde, so ist auch Hoffnung, den schlauen Kranich dort noch brütend anzutreffen, dessen Junge uns gezähmt viel Vergnügen bereiten würden.

Doch unsere Zeit ist verstrichen. Wir kehren um; auf dein Wege nach Hause aber fragen wir uns: was ist ein Sumpf? und wir antworten: er ist ein übrig gebliebenes Stücklein aus der Jugendzeit unserer in der letzten Schöpfungs- oder Zeit­periode verjüngten Erde. Je mehr die Erde an Alter zu­nahm, desto mehr traten Sumpf und Sumpfleben in den Hinter­grund.

Blicken wir von der Gegenwart aus nur vierzig Jahre zurück, wie haben da die Sümpfe abgenommen! Die Kultur ist ja des Sumpfes siegreicher Feind; sie drängt ihn durch ihre Abzugsgräben mit mehr Sicherheit zurück, als weiland der Russe den Türken mit seinen Laufgräben. Doch das ist eigentlich nicht etwas Schlimmes zu nennen. Das Vorwärtsgehen in der kultivirten Welt ist nirgends aufzuhalten; aber das ist es, was uns leid thut, daß mit Abnahme der Sümpfe auch die Sumpfvögel abnehmen, ja theilweise anssterben und daß mit­hin eine Zeit kommen wird, wo auch Rohrdommel und Kibitz, Kranich und Bekassine auf dem Aussterbeetat stehen. Es ist wirklich gut, daß wir sie, lieber Leser, nicht erleben werden; von einem interessanten Sumpfspaziergange, wie wir ihn jetzt gemacht haben, könnte dann keine Rede mehr sein.

Am JamilienLische.

Der Herr Gemeindevorsteher.

(Zu dem Bilde auf Seite 565.)

So heißt jetzt der frühere Dorfschulze. Das Gefühl der alten und neuen Würde ist allerdings bei ihm gleich stark, und doch überkommt ihn eine gewisse Unbehaglichkeit im Besitze des neuen Titels. Die vielen schriftlichen Arbeiten, die er jetzt zu machen hat, sind ihm ein Gräuel, denn seine Hand führt lieber den Pflug als die Feder, und die Kritze­leien, die er mit der letzteren leistet, sind oft schon das Ergötzen der höheren Behörden gewesen, denen er seine Berichte abzustatten hat. Jedes Gemeindeglied, das mit irgend einem Anliegen an ihn heran­tritt, betrachtet er unter dem Gesichtspunkte: ob es ihm viel oder wenig Schreiberei veranlassen wird. Er schiebt die alte Brille mit den gro­ßen runden Gläsern auf die Nase, legt das bunte Taschentuch unter

den linken Ellenbogen, damit der Rockärmel sich nicht abschabe, und taucht bedächtig die Gänsefeder in das Tintenfläschchen. Schlau ist er, und die Fragen, welche er stellt, haben Hand und Fuß. Wenn es nur gleich alles auf dem Papier stünde!

Uebrigens ist er mir immer noch lieber als so ein halbstudirter moderner Gemeindevorsteher, der nicht Fisch noch Fleisch ist, kein Bauer und kein Städter, der das Hochdeutsch modern radebrecht und den guten alten Dialekt verabscheut. Solche Fledermäuse, die zwischen Licht und Finsterniß schwirren, mit ihrer Halbbildung und ihrer politischen Weisheit doch Politik wollen wir nicht treiben. Der Alte hier ist konservativ. Der Bart ist nur unrasirt, weil ihn wöchentlich blos ein­mal und zwar Sonntag morgens vor dem Kirchgänge das Schermesser berührt; einen Demagogenbart läßt der sich nicht wachsen. Bei Leibe nicht!