Heft 
(1878) 35
Seite
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vorwärts! Bald werden wir eine Menge von Vögeln vor uns sehen, die uns beide interessiren, von denen wir aber natürlich nur einige hervorstechende Vertreter näher beleuchten.

Schon beim Betreten des feuchten Terrains tönt uns ein lautes Stimmengewirr entgegen, ein Piepen und Glucksen, ein Ticken und Schnarren, ein Pfeifen und Krächzen, daß wir bis­weilen die einzelnen Töne gar nicht wohl unterscheiden können.

Auf dem nächsten Erlenbusche läßt sich ein dunkelgefärbtes Vöglein nieder, nachdem es zuvor in schwankendem Bogenfluge uns umkreiste. Aengftlich piepend fleht es uns an, die Stätte seines Heims zu verlassen, damit sein brütendes Weibchen :ja nicht gestört werde. Es ist eine unserer deutschen Pieperarten, der Wiesenpieper (^mtlms pratansts), ein nettes schlankes Vögelchen, oben olivengrün gefärbt, unten hell und unten an der Brust drosselartig mit einigen dunkeln Längsflecken ver­sehen. Daß dieser Vogel kein Bnschvogel ist, zeigt er uns so­fort dadurch, daß er sich nur auf dem Gipfel des Busches nieder­läßt, dies auch nur flatternd und mit einer gewissen Unsicher­heit thnt. Durch das Geäst schlüpfen und behend von Zweig zu Zweig Hüpfen ist seine Sache nicht, und das klassische Wort: Was kraucht denn dort im Busch herum" findet auf ihn keine Anwendung; aber das feuchte Gras vermag er behend laufend mit etwas nach vorn gestrecktem Kopf und Oberkörper schnell zu dnrchkriechen. Dort sucht er auch seine aus Kerbthieren und Würmchen bestehende Nahrung, dort legt er sein Nest an.

Dieses ist schwer zu finden, denn wohlverborgen steht es unter einer Graskufe, und wenn es uns das vor unfern Füßen auffliegende Weibchen nicht verriethe, könnten wir lange dar­nach suchen. Während wir die dunkelgraubraunen Eier be­trachten, welche denen des Feldsperlings (Lauser irxmtauus) recht ähnlich sehen, schwirren die beiden Eltern ängstlich über uns weg und lassen sich dann in einiger Entfernung ans der Spitze eines Büschchens flatternd nieder. Erst unser Borwärts- schreiten beruhigt sie, und bald begibt sich das Weibchen wieder auf das unversehrte Nest.

Dieser kleine Sumpsbewohner ist an günstig gelegenen Orten sehr häufig. Im Herbste schließt er sich seinen Gattungs­verwandten, den Feldlerchen an und zieht mit ihnen über die Aecker, wo dann der Jäger bei der Hühnersuche sein piependes Geschrei auch weit vom Sumpfe mitten im Krautfelde hören kann. Dieser herbstliche Umgang mit seinen Vettern wird unserm Wiesenpieper aber oft gefährlich, denn nicht selten gerätst er mit ihnen ins Netz und dann heißt's:Mit gefangen mit gehangen!" und beim Jagddiner wird er als Leipziger Lerche verspeist, der er gebraten auch täuschend ähnlich sieht.

Der unvermeidliche Schreier in jedem Sumpfe, der Kibitz (Vgn6ltn8 aristaUm) erblickt uns kaum, so schwebt er ebenfalls über unserm Haupte, und hat er einmal sein gellendes Kiwit" über uns ausgerufen, werden wir ihn sobald nicht wieder los. In gewandten Schwenkungen umfliegt er uns desto heftiger stoßend und desto gellender schreiend, je näher wir seiner Niststätte sind. Uebrigens ist Freund Kibitz mit seinem schillerndem Federbusche, seinem glänzend grünen Rücken und weißen Unterleibe, den er uns bei seinen kurzen Schwenkungen oft präsentirt, ein ganz netter Gesell. In ausgedehnten Sümpfen wohnt er zu tausenden, wovon die massenhaft gesammelten und zu Markte gebrachten Kibitzeier sprechendes Zeugniß ablegen. Dieses Eiersammeln trägt indes durchaus nicht zu seiner Ver­mehrung bei und so nimmt denn seine Anzahl von Jahr zu Jahr ab. Nach seinem auf einem Grasbusche erbauten, mit wenig dürren Grasblättern ausgelegten und mit 3 4 Eiern versehenen Neste suchen wir nicht; denn wir wissen, daß zur Brutzeit des Wiesenpiepers die jungen Kibitze längst dem Neste entlaufen sind.

Wir schreiten weiter. Ein merkwürdig summender, fast meckernder Laut, in kurzen Absätzen ausgestoßen, richtet unfern Blick nach oben, und wir begegnen in der That dort einem merkwürdigen Schauspiele: Ein Vogel von der Größe einer Drossel, mit einem Schnabel, dessen Länge gerade ein Viertel der ganzen Körperlänge ausmacht, schießt in schräger Richtung ziemlich hoch nach oben. Dort angekommen macht er Halt, läßt die Flügel und den Schwanz ausgebreitet und sinkt nun mit

beiden genannten Extremitäten zitternd langsam ein gutes Stück im Bogen herab, wobei man den angegebenen Ton hört. Dem kurzen Sinken folgt ein abermaliges lautloses Aufsteigen und ein wiederholtes meckerndes Herabsinken. So geht es eine gute Weile fort, bis endlich von unten her aus dem Grase ein Helles Ticken hinaufschallt, worauf das Thier urplötzlich seine Flügel einzieht und pfeilschnell, fast senkrecht herabschießt.

Wir haben hier die leibhaftige Himmelsziege vor uns, welche in der Jägersprache Bekkasine heißt und vom Natur­kundigen gemeine Sumpfschnepfe (OaltiimAo sootopaotuus) genannt wird. Das Meckern und die Schwenkungen sind weiter nichts als die Touren eines Liebestanzes, den ein gefiederter Bräutigam vor seiner im schwellenden Snmpfgrase hingegossenen Schönen, welche kein Auge von dem Zukünftigen verwendet, aus­führt. Wie der feurige Tänzer in der Fran^aise vor seinem schönen Bis-L-vis die zierlichsten Verbeugungen macht, sich in den graziösesten Pas mit ihr und vor ihr schwenkt und dreht und durch jeden Blick ihres Auges angeseuert wird, kühner und gewandter zu avanciren und retonrniren, gerade so macht es unser zitternder und meckernder Bekkasinenjüngling auch, bis er endlich ein Umstand, der ans einem anständigen Thö-dan­sant der menschlichen Gesellschaft gewöhnlich unterbleibt durch ein lautes Ticken der Geliebten aufgefordert wird, ihr an den Hals zu fliegen, was er auch in möglichst schnurgerader Rich­tung vollzieht.

Es ist etwas Eigenes um das Meckern der Bekkasine. Der Ton klingt so hohl, so geheimnißvoll, daß man früher gar nicht wußte, woher er kam und wie er hervorgebracht wurde. Ge­lehrte und Ungelehrte stritten unter einander darüber. Die einen sagten, er käme wohlgerundet und voll aus der Kehle, gewinne aber durch die zitternde Bewegung von Flügeln und Schwanz jene sonderbar meckernde Gestalt. Andere glaubten die die Luft durchschneidenden Flügelsedern brächten ihn hervor, und Thatsache ist, daß er beim Sitzen des Vogels niemals ge­hört wird. Nun jetzt aber wissen wir es, und ob auch mancher Leser vielleicht ungläubig lächelnd den Kopf schütteln mag, ich entdecke ihm die Wahrheit, wenn ich ihm sage: das verliebte Bekkasinenmännchen meckert seiner angebeteten Schönen etwas vor mit den fächerförmig ausgebreiteten Schwanzfedern ge­wiß ein merkwürdiges Musikinstrument! Befestigt man an ein meterlanges schwankes Rüthchen vorn eine solche Feder und fährt damit zitternd durch die Lust, so ist das Meckern da; eine Schwungfeder aus dem Flügel thnt es nicht.

Nun das Meckern gehört mit zu den angenehmen Ab­wechslungen, welche das Ohr auf einem Snmpfspaziergange erfreuen. Brütet das Weibchen, so wird noch einige Zeit fort­gemeckert, wie ja auch der junge Ehemann bisweilen noch eine Fran^aise tanzt. Nehmen erst die Heranwachsenden Kinder die Sorgen in Anspruch, so hört beiderseits wohl der Contretanz ans. Die jungen Söhnchen und Töchter der Bekkasine sind übrigens außerordentlich niedliche Thicrchen, welche sich in zarten braunen und gelblichen Flaum gekleidet mit ihren langen Schnäbelchen ganz allerliebst ausnehmen. Jede Kinderstube enthält vier solche kleine Geschöpfe, welche schon am dritten Tage ihres Daseins mit den fürsorglichen, braun- und gelb­gescheckten Eltern anheben, die schlammigen Stellen des heimat­lichen Sumpfes nach Gewürm zu dnrchschnattern.

Eine schwarze Rabenkrähe, welche dem herumlnngernden unverschämten Bettler gleich überall zusieht, wo sie etwas weg­bekommt, gleichviel ob auf rechtmäßige oder unrechtmäßige Weise, fliegt jetzt über das Sumpfland. Ein Beobachter muß alles im Auge haben, und so verfolgen wir ihren Flug. Plötz­lich beschreibt sie einen kleinen Kreis, um gleich darauf weiter zu fliegen. Eine verschmitzte Krähe thnt nichts ohne Grund. Es mußte an der Stelle unter ihr etwas Auffallendes vor­handen sein, was sie näher betrachten wollte. Wir steuern direkt drauf los, und nachdem wir ein paar hundert Schritte gegangen sind, erhebt sich 20 Schritt vor uns aus dem hohen Riedgrase ein großer brauner Raubvogel, den wir sofort als das Weibchen der Kornweihe (Oirous e/aimaH erkennen. An bezeichnter Stelle finden wir den aus Reisern gebauten Horst mit sechs weißen Eiern. Zum Weibchen gesellt sich bald das