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XIV. IllljUgtMg. AusgczUen MN 29. Juni 1878. Drr Iahrgung läuft vsm GktuLcr 1877 bis bühin 1878. 1878. ^5 39.
IIn eaxrleeio.
Novelle aus der italienischen Gesellschaft von M. Lion.
(Fortsetzung.)
Nachdruck verboten. Ges. v. 11./VI. 70.
Es war gegen Abend, als ich in meiner Heimat wieder anlangte. Unsere Equipage, und in ihr meine Mutter, warteten bereits auf dem Bahnhofe; am Schlage stand, man denke sich meine Verwirrung — der blau-silberne Capitano, bleich zwar und etwas schmal geworden, aber elegant und stattlich wie immer. Ich glaubte zu bemerken, daß er noch bleicher wurde vor Erregung, als ich hinzutrat und er mich mit wenigen angemessenen Worten begrüßte; die Freude mich wiederzusehen spiegelte sich unverkennbar auf den krankhaft blassen Zügen. Augenscheinlich wußte er nichts mehr von meinem beleidigenden Lachen und meinen unartigen Lügenbnlletins während meiner Halsentzündung. „Vielleicht hat er von alledem gar nichts bemerkt," sagte ich spöttisch zu mir; „er denkt ja nur an seine Bücher und Karten."
„Ich freue mich, Signore, daß Sie sich so schnell von Ihrem mißglückten Kunstreiterversuch erholt haben," bemerkte ich ziemlich unartig, als ich eilig in den Wagen stieg.
Er verneigte sich still und lächelte wie jemand, der sich über die Belebungsversuche eines erzürnten Kindes amüsirt.
„Sehr gütig, gnädiges Fräulein — wie immer! Wenn die Damen es gestatten, werde ich also morgen um die Vormittagsstunde . . ."
„Ja wohl, Signore, wie ich Ihnen so eben sagte."
Meine Mutter sprach die Worte, während die Pferde schon anzogen; noch ein ehrerbietiger Gruß, ein Neigen von unserer Seite, und wir rollten der Stadt zu.
Mein Herz jubelte auf in Heller Freude, als ich wieder die altvertrauten Stufen in unserm Palazzo emporsprang und in den Salon stürmte. Die Balkonthüren standen weit offen; ein Tischchen war davor geschoben, und auf ihm erblickte ich meinen Nelkenstock in voller, übervoller Blüte, ach ^ weißer Nelken!
Ich stand wie erstarrt; diese Enttäuschung, wenn auch in einer eigentlich so geringfügigen Sache, verband sich mit meinem
XIV. Jahrgang. SS. -»I.
nenerwachten Aberglauben, um mir eine alberne kindische Furcht einzuflößen. Bei meinem ersten Schritt ins Vaterhaus schauten mich, die ich so jnbelvoll, so freudefordernd eintrat, diese bleichen, schwermüthigen, matten Blumenaugen an, als hätten sie mir ein Verhängniß zu künden, als gemahnten sie mich an irgend etwas, an das ich mich nicht erinnern könnte — an irgend etwas Trauriges, Vorwurfsvolles!
Der Abend ging in lebhaftem Geplauder hin, wie dies nach meiner Abwesenheit so natürlich war; aber als ich früh mein Lager suchte und dann der Schlummer auf mich niedersank, träumte ich von weißen Nelken und traurigen Augen, und traurigen Augen und weißen Nelken, in wirrem Phantastischen Durcheinander.
Der folgende Morgen schien hell in mein anmuthiges kleines Zimmer, als Giovanna die schweren grünen Jalousien lüstete und mir Schlafrock und Morgenhäubchen vor das Bett legte. Ich schaute verwundert ans die Pendule über dem Kamin; bis halb zehn Uhr hatte ich geschlafen.
Was hatte man denn heute vor? War irgend etwas in Aussicht genommen? Ich dachte nach. Richtig, der Capitano kommt in zwei Stunden. Da wollen wir uns doch nach und nach erheben und in Toilette werfen. Und die eitle kleine Person saß vor dem Ankleidespiegel und ließ sich während des Frisirens allerlei thörichtes Zeug von der Giovanna in den Kopf schwatzen. Eine Stunde später klappte ich das Piano im Salon aus. Ich spielte und spielte; alles um mich her vergessend, schwelgte ich in dem Vergnügen, nach einer Zeit fortwährenden Gesellschaststrubels wieder einmal ganz nach Gefallen für mich allein musiziren zu dürfen.
Als ich eines meiner liebsten Musikstücke beendet hatte und mich zu dem Notenpult herabbog, um das Heft wieder einzureihen, hörte ich ein diskretes Husten hinter mir, und als ich mich umwandte, sah ich zu meinem Erstaunen den Capitano mitten im Zimmer stehen.